Was wir zum angeblichen Angriff auf Putins Waldai-Residenz wissen

Faktencheck

Vorwurf der Drohnenattacke:Was wir zum angeblichen Angriff auf Putins Residenz wissen

ZDFheute Update - Jan Schneider

von Jan Schneider

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Russland wirft der Ukraine einen massiven Drohnenangriff auf Putins Waldai-Residenz vor - doch für die schwere Anschuldigung fehlen jegliche Belege. Was wir bisher wissen.

Russlands Präsident Putin

Russland wirft der Ukraine einen Drohnenangriff auf eine Residenz von Präsident Putins vor. Kiew weist das als Lüge zurück – doch US-Präsident Trump scheint Moskau zu glauben.

30.12.2025 | 1:52 min

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat schon viele Vorwürfe gegen die Ukraine erhoben, was er am Montag aber vorbrachte - mitten in den diplomatischen Bemühungen, den Krieg zu beenden - war eine besonders schwere Anschuldigung: In der Nacht von Sonntag auf Montag soll Kiew einen massiven Drohnenangriff auf die Waldai-Residenz von Präsident Wladimir Putin in der Region Nowgorod geflogen haben.

91 Langstreckendrohnen seien im Anflug auf die Präsidentenresidenz abgeschossen worden, behauptete Lawrow. Es habe keine Schäden oder Verletzte gegeben. Lawrow kündigte umgehend Vergeltungsschläge auf Kiew an und warnte, Russland müsse seine Verhandlungsposition überdenken.

Die Behauptung wirft allerdings erhebliche Fragen auf. Die Ukraine bestreitet den Angriff kategorisch, und unabhängige Belege für den angeblichen Vorfall fehlen vollständig. Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte die russischen Angaben eine "Lüge" und warnte, Moskau wolle damit einen Vorwand schaffen, um die Angriffe auf ukrainische Regierungsgebäude zu rechtfertigen.

Der russische Präsident Wladimir Putin nimmt an einem Treffen mit den stellvertretenden Verteidigungsministern Russlands in Moskau teil.

Die russische Seite habe bislang keine Beweise vorgelegt, sagt ZDF-Korrespondent Klauser zu den Vorwürfen. "Das sei eine Lüge", sagt sogar Ukraines Präsident Selensky.

30.12.2025 | 2:45 min

Drohnenabschüsse aus mehreren Regionen wurden zusammenaddiert

Die Spurensuche führt in diesen Fällen meist in die Telegram-Kanäle der jeweiligen Gouverneure der betroffenen Regionen und den Kanal des russischen Verteidigungsministeriums. Am Morgen des 29. Dezember meldete das Verteidigungsministerium in seiner ersten Stellungnahme 89 abgeschossene Drohnen insgesamt: 49 über der Region Brjansk, eine über Smolensk und 41 über der Region Nowgorod - 18 am 28. Dezember, 23 am 29. Dezember. Weder in dieser Mitteilung noch in den Telegram-Beiträgen des Gouverneurs der Region Nowgorod, Alexander Dronow, wurde der mutmaßliche Angriff auf die Präsidentenresidenz erwähnt.

Erst später am Tag veröffentlichte das Verteidigungsministerium eine zweite, deutlich detailliertere Erklärung, in der nun von 91 Drohnen die Rede war, die "auf die Residenz des Präsidenten der Russischen Föderation in der Region Nowgorod" gezielt hätten.

Donald Trump steht am Rednerpult mit ernstem Blick. Hinter ihm die US-Flagge und doe ukrainische Flagge.

Mit einer bizarren Aussage hat US-Präsident Trump bei einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj für Verwunderung gesorgt. So wolle Russland eine "erfolgreiche Ukraine sehen".

29.12.2025 | 0:44 min

Offenbar hat das Ministerium alle Drohnenabschüsse in den Regionen, die ungefähr auf der Luftlinie zwischen der Ukraine und Waldai liegen, nachträglich als gegen die Präsidentenresidenz gerichtet deklariert. Tatsächlich liegen Brjansk, Smolensk und Nowgorod in etwa auf dieser Route, doch die Annahme, dass sämtliche in diesem weiträumigen Gebiet abgeschossenen Drohnen dasselbe Ziel hatten, erscheint konstruiert.

Moskau hat bisher keinerlei Beweise für den Angriff vorgelegt

Was bei einem solchen angeblichen Großangriff auf eine Präsidentenresidenz zu erwarten wäre, fehlt komplett: Es gibt keine Satellitenbilder von Bränden oder Explosionen in der fraglichen Region. Das FIRMS-Satellitenüberwachungssystem der Nasa, das weltweit Brandherde in Echtzeit erfasst, registrierte in der Nacht vom 28. auf den 29. Dezember keinerlei thermische Anomalien im Bereich der Waldai-Residenz. Es gibt keine Fotos oder Videos von Trümmerteilen abgeschossener Drohnen, keine Berichte von Anwohnern über Explosionen oder Luftabwehrfeuer. Bei vergleichbaren Vorfällen präsentiert Russland normalerweise umgehend Wrackteile als Beweis - hier fehlt jegliches Material.

Putins Waldai-Residenz
Quelle: ZDF

"Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es null Beweise dafür, dass der Angriff stattgefunden hat", erklärt Militärexperte Christian Mölling im Interview mit ZDFheute: "Wir haben es mit einem Regime zu tun, das jeden Tag Desinformation für seine eigenen Menschen und den Rest der Welt produziert."

Warum wir ausgerechnet jetzt dieses eine Mal glauben sollen, dass das jetzt die Wahrheit wäre, ohne dass es irgendeinen Bildbeleg gibt (...), das zeigt doch eigentlich, dass wir die Information in Zweifel ziehen müssen.

Christian Mölling, Militärexperte

Das Institut für Kriegsstudien (ISW) aus Washington kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Bisher habe der Kreml keine Beweise für seine Behauptung vorgelegt, dass ukrainische Streitkräfte am 29. Dezember Putins Residenz ins Visier genommen hätten. Dort geht man davon aus, Moskau könnte beabsichtigen, den angeblichen Angriff zu nutzen, um seine Ablehnung jeglicher Friedensvorschläge zu rechtfertigen, die aus den Gesprächen zwischen den USA und der Ukraine sowie den multilateralen Gesprächen zwischen den USA, der Ukraine und Europa hervorkommen können.

Lawrows Alarmmeldung wurde nur einen Tag nach dem Treffen zwischen Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump in Mar-a-Lago veröffentlicht, bei dem über mögliche Friedensgespräche beraten wurde.

"ZDF-Mittagsmagazin": Sendungslogo.

Trump sieht die USA "in einer reinen Vermittlerrolle"- dies zeige sich durch maximal unkonkrete Aussagen, so die Einschätzungen der Korrespondenten David Sauer (Washington) und Tim Kröger (Ukraine).

29.12.2025 | 3:18 min

Die Waldai-Residenz: Putins geheimer Rückzugsort

Die Residenz Dolgije Borody in der Region Nowgorod liegt etwa 350 Kilometer nordwestlich von Moskau auf einer Halbinsel am Waldai-See. Das weitläufige Gelände ist auf drei Seiten von Wasser umgeben und gilt als eine der am stärksten gesicherten Einrichtungen Russlands. Satellitenaufnahmen zeigen eine massive Konzentration von Luftverteidigungssystemen: Mindestens zwölf Pantsir-S1-Kurzstrecken-Luftabwehrsysteme wurden im August 2025 rund um die Residenz identifiziert, viele davon auf speziellen Türmen montiert. Zusätzlich ist mindestens ein S-400-Langstreckensystem stationiert.

Zum Vergleich: Im gesamten Großraum Moskau mit über 20 Millionen Einwohnern gibt es etwa 60 solcher Luftabwehrstellungen - nur fünfmal mehr als um die Waldai-Residenz allein.

Raketensystem Pantsir-S1 in der Nähe von Putins Residenz in ‌der Region Nowgorod

Raketensystem Pantsir-S1 in der Nähe von Putins Residenz in ‌der Region Nowgorod

Quelle: Google Maps

Investigative Recherchen von Radio Free Europe belegen, dass Putin die Waldai-Residenz seit Beginn des Ukraine-Kriegs zunehmend bevorzugt. Die Analyse von über 700 offiziellen Kreml-Veröffentlichungen zeigt, dass Putin sich dort nahezu identische Büros zu seinen anderen Residenzen einrichten ließ, um seinen tatsächlichen Aufenthaltsort zu verschleiern. In Waldai soll sich auch Alina Kabajewa aufhalten, die weithin als Putins langjährige Lebensgefährtin und Mutter mehrerer seiner Kinder gilt. Die abgeschiedene Lage im Wald, die massive Sicherung und die strategische Bedeutung machen die Residenz zu einem der wichtigsten Rückzugsorte des russischen Präsidenten.

Trump "sehr wütend" über mutmaßlichen Angriff

Die Reaktionen auf Lawrows Behauptungen fielen unterschiedlich aus. Donald Trump zeigte sich zunächst "sehr wütend" über den angeblichen Angriff und kritisierte, es sei eine Sache, militärisch offensiv zu sein, aber "eine andere Sache, sein Haus anzugreifen". Bemerkenswert ist jedoch, dass Trump auf Nachfrage einer Journalistin einräumte:

Vielleicht hat der Angriff gar nicht stattgefunden. Aber Putin hat es mir heute Morgen gesagt.

Donald Trump, US-Präsident

Kritik an Trumps voreiliger Reaktion kam aus den eigenen Reihen: Der republikanische Kongressabgeordnete Don Bacon, ein ehemaliger Luftwaffen-General und Mitglied im Verteidigungsausschuss, mahnte öffentlich: "Präsident Trump und sein Team sollten sich zunächst über die Fakten informieren, bevor sie Schuldzuweisungen vornehmen. Putin ist bekannt dafür, dass er unverhohlen lügt."

Fazit: Die Behauptung russischer Behörden über einen massiven Drohnenangriff auf Putins Waldai-Residenz kann nicht verifiziert werden und weist erhebliche Schwachstellen auf. Die Zahlenangaben zu den abgefangenen Drohnen wirken konstruiert, Belege wie Satellitenbilder von Bränden oder Trümmerteilen existieren bisher nicht. Das ungewöhnliche Prozedere der Verkündung des mutmaßlichen Angriffs durch den russischen Außenminister statt das Verteidigungsministerium sowie der verdächtige Zeitpunkt unmittelbar nach dem Treffen zwischen Selenskyj und Trump sprechen gegen die Glaubwürdigkeit der russischen Darstellung.

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