Der 28-Punkte-Plan:Ein Kapitulationsvorschlag für die Ukraine
von Christian Mölling, András Rácz
28 vage Punkte: Ein rechtlich-technisch schwacher Text fordert die Rückkehr zur Ära der bipolaren Weltordnung des Kalten Krieges - und überlässt die Ukraine der Gnade Russlands.
Wenn dieses Abkommen in seiner jetzigen Form umgesetzt würde, würde es die Ukraine in einer militärisch extrem schwachen, exponierten Position zurücklassen - die Militäranalyse. (Archivbild)
Quelle: Andriy Andriyenko/Ukraine's 65th Mechanized Brigade via APDer 28-Punkte-Plan, der Berichten zufolge von Steven Witkoff und Kirill Dmitriev in seiner jetzigen Fassung ausgearbeitet wurde, kommt praktisch einer Kapitulation der Ukraine gleich, im Austausch für vage, schwer durchsetzbare Versprechungen seitens Russlands.
Das Dokument würde die Ukraine dazu verpflichten, alle verbleibenden Teile der Regionen Luhansk und Donezk aufzugeben, einschließlich des gesamten "Festungsgürtels", der derzeit die stärkste Verteidigungslinie der Ukraine darstellt. Kiew soll seine Streitkräfte von derzeit mehr als 800.000 auf 600.000 reduzieren, und die Ukraine dürfte keine Langstreckenwaffen mehr besitzen.
Bis Donnerstag soll die Ukraine dem sogenannten "Friedensplan" der USA zustimmen. Andernfalls könnte Selenskyj Trump als Verbündeten im Krieg gegen Russland verlieren.
21.11.2025 | 3:46 minKeine militärischen Bündnisse
Der Plan sieht vor, dass die Ukraine ihre Verfassung ändert und sich verpflichtet, nicht der Nato beizutreten. Ebenso sollte die Nato sich verpflichten, die Ukraine nicht als Mitglied aufzunehmen und keine Nato-Truppen in der Ukraine zu stationieren. Ein Beitritt zur EU wäre jedoch erlaubt.
Vertragsbrecher bietet einen Vertrag
Im Gegenzug übernimmt Russland als einzige sicherheitsbezogene Verpflichtung das Versprechen - das in einem Gesetz verankert wird -, die Ukraine nicht mehr anzugreifen. Die Unzuverlässigkeit der Versprechen Russlands wurde jedoch durch den Beginn der groß angelegten Invasion im Februar 2022 deutlich unter Beweis gestellt. Das Dokument besagt zwar, dass "die Ukraine zuverlässige Sicherheitsgarantien erhalten wird", enthält jedoch keine Details: Welche Art von Garantien, von wem, unter welchen Bedingungen usw.
Text ist ein großes Durcheinander
Der Text weist mehrere strukturelle und rechtlich-technische Mängel auf. Erstens schreibt er Verpflichtungen von Akteuren vor, die nicht an den Verhandlungen beteiligt waren: in erster Linie die Ukraine, aber auch die EU und die Nato, die Weltbank und die G8. Mit anderen Worten: Der Text behandelt sowohl die Ukraine als auch Europa und andere Akteure als Objekte eines bilateralen russisch-amerikanischen Abkommens, das über ihre Köpfe hinweg geschlossen würde, und nicht als Akteure, die über ihr eigenes Schicksal mitbestimmen können. Dies ist im Grunde eine Rückkehr zur Ära des Kalten Krieges, als Washington und Moskau im Kontext der Bipolarität alles entscheiden konnten.
Zweitens enthält der Text weder sinnvolle Fristen noch eine Abfolge. Es ist völlig unklar, in welchem Zeitrahmen die verschiedenen Maßnahmen stattfinden sollen und in welcher Reihenfolge.
Zu den Autoren
...ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
...ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Drittens, und das ist der wichtigste Punkt: Die Lasten sind ungerecht verteilt. Der Plan verlangt von der Ukraine praktisch irreversible Zugeständnisse, während von Russland nur weniger konkrete und auch reversible Zugeständnisse erwartet werden. So ist beispielsweise das Versprechen Russlands, nicht erneut anzugreifen, eine sehr vage Verpflichtung, die sich jederzeit ändern kann: solche Nichtangriffsverpflichtungen hatte Russland 2014 und 2022 aufgegeben bei dem ersten und zweiten Angriff auf die Ukraine.
Viertens enthält das Dokument keine Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung. So schreibt das Dokument beispielsweise vor, dass russische Truppen nicht in die derzeit von der Ukraine gehaltenen, aber abzutretenden Teile der Region Donezk einmarschieren dürfen - aber es schreibt nicht vor, was passiert, wenn sie dennoch einmarschieren.
Der sogenannte „Friedensplan“ für die Ukraine löst auf allen Seiten hektische Diplomatie aus. Ulf Röller, Armin Coeper aus Moskau und Alica Jung aus Kiew ordnen die Lage ein.
21.11.2025 | 6:10 minKeine glaubwürdigen Strafen für Russland
Wenn dieses Abkommen in seiner jetzigen Form umgesetzt würde, würde es die Ukraine in einer militärisch extrem schwachen, exponierten Position zurücklassen, ohne nennenswerte Verteidigungsmöglichkeiten gegen einen möglichen zukünftigen russischen Angriff.
Sollte Russland die Ukraine erneut angreifen, müssten laut Abkommen die Sanktionen, die nun aufgehoben werden sollen, wieder in Kraft gesetzt werden, zusätzlich zu einer "koordinierten militärischen Reaktion" - aber es wird keine Verteidigungsgarantie erwähnt, sodass die Ukraine allein gelassen würde.
USA wollen wirtschaftliche Vorteile auf Kosten der Europäer
In wirtschaftlicher Hinsicht begünstigt das Abkommen nur die USA, während es sowohl für die Ukraine als auch für Europa Kosten mit sich bringt - auch hier wieder ohne vorherige Konsultation mit ihnen.
Russland will über Souveränität der Nato-Staaten bestimmen
Darüber hinaus sieht Punkt 9 vor, dass europäische Kampfflugzeuge in Polen stationiert werden könnten. Dieser zunächst harmlos erscheinende Punkt könnte implizieren, dass nur europäische, aber keine amerikanischen Jets stationiert werden dürfen. Was bedeutet, dass Russland damit beabsichtigt, in einer entscheidenden Frage der europäischen Sicherheit, nämlich der militärischen Haltung der Nato-Staaten auf dem eigenen Territorium der Nato, mitreden zu wollen.
Punkt 3, der die Nato zu einem Verzicht auf eine weitere Erweiterung verpflichten würde, folgt derselben Logik: Russland erhält ein institutionalisiertes Mitspracherecht in Nato-Angelegenheiten.
Putin wählt seine Worte gezielt. Indem er den Vorschlag allein Trump zuschreibt, öffnet er Kiew eine diplomatische Tür. So könne die Ukraine verhandeln, sagt Moskau-Korrespondent Armin Coerper.
21.11.2025 | 4:02 minKonsequenz: Schwächung des gesamten europäischen Kontinents
Insgesamt würde dieses Abkommen in seiner jetzigen Form dazu führen, dass die Ukraine vom Westen im Stich gelassen würde und vollständig von Russlands Gnade abhängig wäre. Eine zerbrochene, neutralisierte, verwundbare Ukraine würde bedeuten, dass die Sicherheit des gesamten europäischen Kontinents entscheidend geschwächt würde. Dies ist ein Szenario, das Europa um jeden Preis vermeiden muss.
Um dies zu erreichen, müssen alle europäischen Länder, denen die Sicherheit des Kontinents und ihre eigene Sicherheit am Herzen liegt, Kiew in seinen diplomatischen Bemühungen unterstützen, diese 28 Punkte abzuschwächen und sie in einen sinnvollen, fairen und nachhaltigen Plan umzuwandeln, der die Sicherheit aller betroffenen Seiten garantiert.
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