Vorbilder vor Ort statt Lehrbuch:Migrationsgeschichte: Mutmacher unterwegs in Schulen
von Thadeus Parade
Die Initiative "2hearts@school" will junge Menschen mit Migrationshintergrund ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen - unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sozialen Hürden.
Thaksan Sothinathan, Sohn tamilischer Einwanderer, will Jugendliche mit Migrationshintergrund stärken. Mit dem Schulprojekt "Two Hearts" schafft er Räume für Gespräche über Herkunft und Zukunft.
01.12.2025 | 2:46 min"Ich bin tamilischer Sauerländer", erzählt Thaksan Sothinathan vor Schülerinnen und Schülern der Anne-Frank-Realschule in Düsseldorf und hat die Lacher sofort auf seiner Seite. Auf die Tafel im Klassenraum hat er dazu ein Bild mit seiner Vita projiziert: Sothinathans Geschichte. Darauf ist eine Kurve mit Höhen und Tiefen abgebildet und zahlreiche Symbolbilder wie Brücken, verschiedene Flaggen oder eine Gitarre.
Es ist sein persönlicher Lebensweg, den er den Schülerinnen und Schülern erzählt - jungen Menschen, die, wie er, ebenfalls in beziehungsweise mit zwei Kulturen groß werden. Denn seine Geschichte ist eine Erfolgsgeschichte: Schule, anschließend Ingenieur-Studium an der RWTH Aachen und aktuell Projektleiter in einer namhaften deutschen Unternehmensagentur. "Wenn ich das geschafft habe, schafft ihr das auch", lautet seine Botschaft an die Klasse.
Bildungsinitiative will jungen Migranten Mut machen - und fördern
Als Sohn tamilischer Flüchtlinge waren die Voraussetzungen für diese Karriere alles andere als selbstverständlich.
Ohne geeignete Vorbilder wäre ich nicht so weit gekommen.
Thaksan Sothinathan
Und genau das ist der Grund, weshalb Thaksan Sothinathan hier in der Klasse als sogenanntes Role-Model im Rahmen der "2hearts"-Bildungsinitiative zu Besuch ist. "2hearts" wurde 2021 gegründet und ist eine Community für junge Menschen mit Einwanderungsgeschichte.
Mehr als ein Drittel der Schüler an deutschen Schulen haben eine Einwanderungsgeschichte. Das birgt Herausforderungen für Lehrer und Lehrplan, besonders bei der Sprachförderung.
26.11.2025 | 2:34 minDas Ziel: junge Talente mit diesem kulturellen Hintergrund fördern und ihnen Zugang zu Netzwerken und Chancen ermöglichen. Mit der Initiative "2hearts@school" will man nun auch gezielt in Schulen hineinwirken, erklärt Johan Filip Axenpalm, der das Projekt koordiniert:
Wir wollen Geschichten mit Vorbildern begreifbar machen, wollen junge Menschen aus sozial herausforderndem Umfeld zusammenbringen mit Menschen, die es geschafft haben.
Johan Filip Axenpalm, "2hearts@school"
"Denn unsere Erfahrung zeigt, dass gerade aus so einer Verknüpfung eine große Motivation entstehen kann", sagt Axenpalm.
Studien: Migrationshintergrund kann Laufbahn erschweren
Dass junge Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland statistisch größere Schwierigkeiten bei Schule, Studium und Berufseinstieg haben, ist in wissenschaftlichen Studien belegt. So fasst zum Beispiel der Sachverständigenrat für Integration und Migration in einem Report 2023 zusammen, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund häufiger über Umwege an Hochschulen gelangen, und erklärt:
Insgesamt lässt sich die Bildungsbenachteiligung von Studierenden mit Migrationshintergrund zu großen Teilen durch die soziale Herkunft erklären.
Sachverständigenrat für Integration und Migration
Zudem würden Menschen mit Migrationsgeschichte seltener beziehungsweise später eine duale Ausbildung beginnen. Dabei würden auch fehlende Sprachkompetenzen eine Rolle spielen. Insgesamt, so das Fazit, sei bei ihnen das Risiko für Studienabbrüche erhöht und der Übergang in passende Arbeitsverhältnisse erschwert.
Aus diesem Grund erzählt auch Lema Yakub ihre Geschichte vor Schülerinnen und Schülern. Als junge Frau musste sie aus politischen Gründen ihre Heimat in Afghanistan verlassen. Nach wenigen Jahren steht sie nun kurz vor dem Abschluss ihres dualen Wirtschaftsstudiums.
Schulleiter schlagen seit vielen Jahren Alarm, dass es zu wenig Lehrer an Schulen gibt. Die Ressourcen und die Zeit fehlt, um Lehrkräfte einzustellen.
28.11.2025 | 1:45 minLehrerin: Solche Angebote sind wahnsinnig wichtig
Eine weitere Erfolgsgeschichte - und die Schülerinnen und Schüler der internationalen Klasse des Dortmunder Paul-Ehrlich-Berufskollegs hören gebannt zu. Die meisten von ihnen sind ebenfalls aus der Heimat geflüchtet, oft sogar ganz allein.
"Solche Angebote sind wahnsinnig wichtig", sagt die Klassenlehrerin Ines Fries. "Solche Geschichten sind viel wichtiger als Lehrbuchwissen."
Im Lehrbuch haben wir oft solche Geschichten, aber die wahren Menschen, die man anfassen kann, mit denen man sich identifizieren kann, die einem erzählen, wie es wirklich war, das ist wertvoller - und deswegen ist das wahnsinnig motivierend.
Ines Fries, Klassenlehrerin
Ein früher Kontakt mit positiven, realen Vorbildern könne also möglicherweise mehr bewirken als Lehrbücher und Unterricht: Bislang sind die Role-Models der "2hearts@school"-Initiative nur an Schulen in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Ziel ist aber, das Programm schrittweise auf ganz Deutschland auszuweiten.
Thadeus Parade ist Reporter im ZDF-Landesstudio in Nordrhein-Westfalen.
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