Aufarbeitung: War der Messerangriff in Hamburg vermeidbar?

Aufarbeitung nach Angriff :War die Messerattacke in Hamburg vermeidbar?

von Daniel Thoma
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Vor einer Woche verletzte Lydia S. am Hamburger Hauptbahnhof 18 Menschen mit einem Messer teils schwer. Machten Fehler im System die Tat erst möglich?

Absperrung des Hamburger Hauptbahnhofes, seitlich stehen zwei Polizeibeamte in Warnwesten.
Vor einer Woche erschütterte ein Messerangriff Hamburg. Die Frau, die wahllos auf Passanten einstach, war polizeibekannt.30.05.2025 | 12:28 min
Abubakr war hautnah dabei, als eine Frau am Hamburger Hauptbahnhof mit einem Messer auf mehrere Menschen einstach. "Die Frau mit dem Messer", sagt der gebürtige Tschetschene.

Sie rannte in unsere Richtung und stach auf jeden ein, der auf ihrem Weg lag.

Abubakr, Zeuge

Wenige Momente später griff Abubakr ein. Er stellte der Frau ein Bein und ermöglichte so, dass sie festgesetzt werden konnte, mehrere Minuten, bevor die Polizei eintraf.
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Was löste die Tat von Lydia S. aus?

Die Frau mit dem Messer - so wird es später bekannt - heißt Lydia S. Eine psychisch kranke 39-Jährige aus Braunschweig in Niedersachsen. An diesem Freitagabend verletzt sie innerhalb weniger Minuten 18 Menschen im Alter von 18 bis 85 Jahren, vier davon schwer.
Für die Hamburger Behörden beginnt ein Puzzlespiel. Die ersten Abfragen zu Lydia S. ergeben nicht viel. Sie war in psychologischer Behandlung - so viel ist klar. Aber was am Ende Auslöser dieser folgenschweren Tat war, ist bis heute nicht geklärt.
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Christoph Lenk, sagt:

Ein häufiger Grund dafür, dass solche oder vergleichbare Taten begangen werden, ist, dass sich Menschen bedroht fühlen.

Christoph Lenk, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Wenn man gesund ist, sei das sich nur schwer vorzustellen, so Lenk.
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Warum wurde Lydia S. aus der Klinik entlassen?

Lydia S. - so stellt sich später heraus - leidet schon lange an paranoiden Wahnvorstellungen. Sie soll bereits vier klinische Aufenthalte hinter sich haben.
Am Tag vor der Tat entließen die Ärzte sie aus einer Einrichtung in Bremerhaven. Am frühen Morgen des Tattages fiel sie Bundespolizisten am Hamburger Flughafen auf. Sie blutete im Gesicht, wollte angeblich nach Paris fliegen. Im Nachhinein stellt sich die Frage, wieso die Frau aus der psychiatrischen Klinik entlassen wurde.
Lenk sagt, dass es eine Verbesserung im Zustand der Frau gegeben haben könnte, die letztlich nicht nachhaltig war. Es gebe aber auch die Möglichkeit, dass Lydia S. eine Besserung vorgetäuscht hat.

Gerade Menschen, die eine breite Erfahrung mit der Psychiatrie haben, sind möglicherweise in der Lage, einen Zustand vorzugeben, der in Wirklichkeit gar nicht besteht.

Christoph Lenk

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Am Tag nach dem Messerangriff am Hamburger Hauptbahnhof befinden sich alle Verletzten wieder außer Lebensgefahr. Die Suche nach dem Tatmotiv läuft.24.05.2025 | 1:35 min

Fehlende Vernetzung zwischen Staatsanwaltschaften

Die Ermittlungsbehörden in Hamburg wussten davon bislang nichts. Es gibt kein zentrales Register für Menschen, die bereits psychisch auffällig waren, es gibt keine bundesweite Vernetzung der Staatsanwaltschaften.
Für die Polizisten am Bahnhof war Lydia S. also ein völlig Unbekannte. Dabei leiteten bereits 2021 Beamte in Niedersachsen mehrere Strafverfahren wegen Körperverletzung und Brandstiftung gegen sie ein.
Für Daniel Schaefer von der Hamburger Innenbehörde ist klar, dass es in Deutschland ein deutlich besser vernetztes Risiko-Management braucht. "Wir sehen das ja bundesweit, dass die Polizei immer wieder in Deutschland mit psychisch auffälligen Personen konfrontiert ist. Und darum muss es gehen", sagt Schaefer.

Die Sicherheitsbehörden brauchen frühzeitig eine Warnung zu Personen, von denen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Daniel Schaefer, Innenbehörde Hamburg

Abgesperrte Bereiche in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs sowie mehrere Polizeiautos.
Die Frau, die gestern mit einem Messer wahllos auf Passanten einstach, wurde in eine psychiatrischen Einrichtung eingewiesen. Die 39-jährige war polizeibekannt.24.05.2025 | 1:41 min

Kann Künstliche Intelligenz der Polizei helfen?

Nicht weit entfernt vom Hamburger Hauptbahnhof wird ein weiteres Tool getestet, das zukünftig in der Bekämpfung von Gewalttaten helfen soll. Am Hansaplatz im Stadtteil St. Georg nutzt die Polizei KI-Kameratechnik, um gewaltsame Übergriffe frühzeitig zu erkennen.
Den Erstschlag könne man damit zwar nicht verhindern, sagt Markus Müller vom Fraunhofer-Institut, der die Technik mitentwickelt, aber vielleicht wäre die Polizei entscheidende Minuten früher da gewesen. Die Software befindet sich aktuell noch in der Testphase.
Die Frage bleibt, wieso Lydia S. an diesem Freitagabend überhaupt in der Lage war, ihre schrecklich Tat zu begehen. Die Aufarbeitung hat gerade erst begonnen.
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