Kessler-Zwillinge wählten Sterbehilfe - so ist die Rechtslage

Debatte um assistierten Suizid:Kessler-Zwillinge wählten Sterbehilfe - so ist die Rechtslage

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Sie entschieden sich, gemeinsam zu gehen - und nahmen dafür Sterbehilfe in Anspruch. Der Suizid mit Beihilfe von Alice und Ellen Kessler wirft Licht auf ein umstrittenes Thema.

Alice und Ellen Kessler, Archivbild

Alice und Ellen Kessler sind gestorben, sie wählten den gemeinsamen Suizid durch Sterbehilfe.

Quelle: SVEN SIMON

Der selbst gewählte Tod der Kessler-Zwillinge Ellen und Alice wirft ein Schlaglicht auf das Thema Sterbehilfe und die immer wieder aufflammende Debatte darüber. Seit Jahren wird hierzulande um rechtliche Regelungen zum sogenannten assistierten Suizid gerungen.

Nicht zuletzt, weil das Bundesverfassungsgericht 2020 ein wegweisendes Urteil dazu gesprochen hat. Das im Grundgesetz verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst laut dem höchsten deutschen Gericht "als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben".

Die zentralen Fragen zum Thema im Überblick.

Wie ist die rechtliche Lage zur Sterbehilfe in Deutschland?

Aktive Sterbehilfe - also eine Tötung auf Verlangen, etwa durch eine Spritze - ist strafbar. Erlaubt ist aber der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, wenn das dem Willen des Patienten entspricht. Gleiches gilt für indirekte Sterbehilfe.

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Davon wird gesprochen, wenn es um die Schmerzlinderung geht und Patienten infolge der Medikamente früher sterben. Auch die Beihilfe zur Selbsttötung ist straffrei - sie kann in der Beschaffung oder Bereitstellung eines tödlichen Mittels bestehen, das der Patient allerdings selbst einnimmt.

Was hat das Bundesverfassungsgericht 2020 entschieden?

Die Richter erklärten den Strafrechtsparagrafen 217, der seit Ende 2015 geschäftsmäßige Sterbehilfe verbot, für nichtig - weil er "die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert".

"Geschäftsmäßig" hat dabei nichts mit Geld zu tun, sondern bezieht sich darauf, dass das Angebot "auf Wiederholung angelegt" ist.

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Aus Sicht des Gerichts schließt das Recht auf selbstbestimmtes Sterben die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Das gelte ausdrücklich für jeden, nicht nur für unheilbar Kranke. Eine Regulierung sei aber möglich.

Das Urteil verpflichtet Mediziner und Medizinerinnen aber nicht, gegen ihre Überzeugungen Sterbehilfe zu leisten. Auch gibt es keinen Anspruch auf Hilfe.




Was sagt die Politik?

Der Bundestag befasste sich in der vergangenen Legislaturperiode mit einer möglichen Reform. Dabei arbeiteten Abgeordnete verschiedener Parteien je nach persönlicher Überzeugung bei dem Thema zusammen. Schließlich standen 2023 Initiativen zweier Abgeordnetengruppen zur Abstimmung. Doch keiner der beiden Vorschläge bekam eine Mehrheit.

Eine neu konstituierte überfraktionelle Gruppe arbeitet nach Auskunft des SPD-Abgeordneten Lars Castellucci aktuell wieder an einem Gesetzesentwurf zur Neuregelung des assistierten Suizids. Ein konkreter Zeitpunkt, wann der Vorschlag in den Bundestag eingebracht werden kann, ist aber noch unklar.

Was sagen Kritiker?

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz kritisiert, dass sich das freiverantwortliche Handeln des Sterbewilligen nicht überprüfen lasse. Es gebe keine Kriterien, die die Autonomie von Entscheidungen zweifelsfrei ermitteln lassen.

Eine gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung ist aus Bryschs Sicht in jedem Fall zu verbieten. "Denn wo Geld fließt, geht die Selbstbestimmung verloren."

Auf dem Bild ist ein Paar Hände zu sehen. Eine Hand hält ein Wasserglas, während die andere eine Pille in die Hand einer alten Frau legt.

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Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mahnt, Menschen dürften nicht unter Druck gesetzt werden, durch Suizid oder Beihilfe zur Selbsttötung aus dem Leben zu scheiden. Die Suizidprävention müsse daher dringend gestärkt werden.

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Welchen Weg haben die Kessler-Zwillinge gewählt?

Sie haben sich an die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) gewandt, die wie andere Vereine Sterbebegleitung vermittelt. "Sie hatten uns beide zudem ausdrücklich gestattet, im Nachhinein über die Umstände zu sprechen", sagt Sprecherin Wega Wetzel.

In Vorgesprächen kläre ein Jurist die sogenannte Freiverantwortlichkeit, also dass niemand beispielsweise aus einer psychischen Krise heraus entscheidet. Ein Arzt lege dann an einem gewählten Termin einen Zugang, über den der Mensch, der seinem Leben ein Ende setzen möchte, sich selbst ein hoch dosiertes Narkosemittel spritze. Danach werde die Polizei verständigt.

Quelle: dpa

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