Frankreich: neues Gesetz zur Sterbehilfe

Neues Gesetz in Frankreich:Sterbehilfe unter strengen Voraussetzungen

von Carolin Auen, Paris
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Ausbau der palliativen Einrichtungen und Sterbehilfe - darüber debattierten Frankreichs Abgeordnete seit Mitte Mai. Nun stimmte das Parlament dem Vorhaben zu.

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Vor drei Jahren hat Monique Berthomé-Bel ihre Diagnose erhalten: Sie hat eine nervenzerstörende, nicht heilbare Krankheit. Schnell war ihr klar, dass sie selbst über ihr Lebensende bestimmen möchte. Die ehemalige Krankenschwester hat eine genaue Vorstellung davon, was für sie erträglich ist: "Ich will nicht anfangen zu sabbern, Windeln zu tragen. Ich möchte selbstständig leben, lesen, Musik hören. Und das wird immer schwieriger", sagt sie. Bisher seien die Symptome noch leicht, manchmal fallen ihr Wörter nicht ein und sie ist wackelig auf den Beinen. "Wenn ich gezwungen bin, von anderen abhängig zu leben, dann habe ich meine Grenze erreicht."

Zur Sterbehilfe bisher nach Belgien

Für Berthomé-Bel bedeutet das Überschreiten dieser Grenze: der Weg nach Belgien. Dort ist aktive Sterbehilfe im Gesetz verankert, hat sie vor wenigen Wochen die vorgeschriebenen Gespräche geführt. Mit Ärzt*innen und einem Psychologen. Ihre Akte wurde geprüft und angenommen. Jetzt liegt es an ihr, den Zeitpunkt zu bestimmen.
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Was das französische Gesetz vorsieht

Am Dienstag stimmten die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung zwei Gesetzesentwürfen zum Lebensende zu. Der erste sieht einen Ausbau der palliativen Einrichtungen in ganz Frankreich vor - also Einrichtungen, die sich darauf konzentrieren, schmerzmindernd zu behandeln und todkranke Menschen auf ihrem letzten Lebensabschnitt zu begleiten - der zweite befasst sich mit der Sterbehilfe.
Fünf Kriterien sollen bei letzterem vorgeschrieben sein: Die Person muss
  • volljährig sein,
  • die französische Nationalität oder einen Wohnsitz in Frankreich haben,
  • die Entscheidung frei und aufgeklärt treffen,
  • eine schwere, unheilbare und tödliche Krankheit in fortgeschrittenem Stadium haben
  • und darunter beständiges oder unerträgliches physisches oder mentales Leid erfahren.
Im nächsten Schritt müssen die Gesetzestexte vom Senat geprüft und angenommen werden.
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Unklarheiten bei Definitionen und der Patientenverfügung

Insbesondere zwei Punkte sind umstritten. Laut der Gesundheitsaufsichtsbehörde Haute Autorité de Santé ist die Definition des Krankheitsfortschritts sehr individuell und vor allem durch die betroffene Person zu bewerten. Per Definition des Gesetzestextes müsste die Einschätzung allerdings bei den behandelnden Ärzt*innen liegen.
In Bezug auf die Patientenverfügung kommt es ebenfalls zu einem Widerspruch: Mit dem neuen Entwurf kann eine Person Sterbehilfe nur in Anspruch nehmen, wenn sie selbstständig diese Entscheidung trifft. Wie es sich mit einer im Vorfeld ausgefüllten Patientenverfügung verhält, ist nicht berücksichtigt.

Sterbehilfe löst gesellschaftliche Debatte aus

Die Debatte beschäftigt die französische Öffentlichkeit schon seit mehreren Jahren. Anders als die Abgeordneten, ist die Bevölkerung sich laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop aus 2024 einig: Mehr als 90 Prozent der Befragten sprechen sich für die Möglichkeit der Sterbehilfe aus. Bei den Ärzten und Ärztinnen sind es 74 Prozent (Ifop, 2025). Mehr als drei Viertel geben an, bereits von Patient*innen nach der Möglichkeit gefragt worden zu sein.
"Es gibt Situationen, in denen die Medizin komplett ohnmächtig ist, die Schmerzen zu lindern," erklärt Philippe Lohéac vom Interessensverband ADMD, der sich für das Recht einsetzt, in Würde zu sterben. "Dort, wo die Palliativmedizin nicht ausreicht, ist es gut, eine andere Möglichkeit zu haben, die es allen erlaubt, selbstbestimmt über ihr Lebensende zu entscheiden." Für seinen Verein könne eine aktive Sterbehilfe nur zusammen mit dem Ausbau der palliativen Einrichtungen, wie etwa Hospize, funktionieren, sagt er. Hier hinke Frankreich zu sehr hinterher.
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Problem: Fehlende palliative Einrichtungen

In diesem letzten Punkt sind sich Befürworter und Gegner des Gesetzes einig. Die fehlende Infrastruktur in Frankreich dränge kranke Menschen dazu, sich gegen das Leben zu entscheiden. Tugdual Derville, Sprecher des Vereins Alliance Vita, erklärt, man müsse die Verletzlichsten der Gesellschaft schützen.

Das, was wir wollen, ist, dass man die Menschen pflegt, sie schützt, sie begleitet. Anstatt ihnen zu verstehen zu geben, dass es eine Lösung gibt, in Frankreich oder im Ausland.

Tugdual Derville, Alliance Vita

Selbstbestimmt leben und sterben

Monique Berthomé-Bel geht es vor allem um Autonomie: "Ich möchte nicht, dass ein Arzt für mich entscheidet. Ich bin ein vollwertiges Wesen und es liegt an mir, die Entscheidungen zu treffen, die mich angehen." Wann und ob sie die Reise nach Belgien tatsächlich antritt, hat sie noch nicht entschieden. "Was die Zukunft für mich bereithält, entscheidet über mein Vorgehen", erklärt sie.

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