Lina Heider: Falsche Gerüchte um elfjährige Abiturientin
Faktencheck
Afghanistan-Herkunft erfunden:Falsche Gerüchte um elfjährige Abiturientin
von Oliver Klein und Nils Metzger
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Lina Heider ist Deutschlands jüngste Abiturientin. Ihr Erfolg wird überschattet von Fake News über ihre Herkunft und einen vermeintlichen Medienskandal. Was steckt dahinter?
Die elfjährige Lina Heider hat in Bonn ihr Abitur gemeistert.
Mit nur elf Jahren das Abitur in der Tasche - die Leistung von Lina Heider aus Bonn sorgte in der vergangenen Woche für Schlagzeilen in ganz Deutschland. Doch inzwischen hat die Geschichte für die Familie eine belastende Wendung genommen. Denn statt in Ruhe mit ihrer Tochter feiern zu können, steht die Familie plötzlich im Zentrum einer Kampagne in den sozialen Medien.
Die Behauptung: Lina und ihre Familie stammten eigentlich aus Afghanistan. Und Medien würden das gezielt verschweigen. Man wittert einen rassistischen Medienskandal. Doch an all dem ist nichts dran.
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Familie stellt klar: Es gibt keine afghanischen Wurzeln
Auch ZDFheute berichtete auf verschiedenen Kanälen über Deutschlands jüngste Abiturientin. Ein Reel auf Instagram dazu wird 2,6 Millionen Mal angesehen. Doch viele der Reaktionen und Nutzerkommentare sind kritisch, fordern dazu auf, die Herkunft Lina Heiders zu erwähnen oder formulieren den Vorwurf, man wolle Afghaninnen und Afghanen schlecht darstellen. Unter den Kommentaren auf Instagram heißt es etwa:
"Lina Heider ist ein Hazara-Mädchen aus Afghanistan!" Oder: "Wenn es negative Schlagzeilen oder Hetze gegen Migrant*innen gibt, verweist ihr vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk doch auch nicht zögerlich auf die Herkunft." "Klar, damit kannste keinen Hass schüren." Und: "Weil die deutschen Medien vor Neid platzen, wenn sie erfahren, dass ein Ausländer besser ist als die."
Aber die Behauptung ist falsch. Die Familie erkärte gegenüber ZDFheute: Lina sei in Deutschland geboren, auch die Eltern kommen nicht aus Afghanistan, die Familie habe keinen Fluchthintergrund. Man bittet darum, die Privatsphäre der Familie zu respektieren und wolle derzeit keine weiteren Stellungnahmen abgeben.
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Wie sich das Gerücht verbreitete
Wo das Afghanistan-Gerücht seinen Anfang nahm, lässt sich schwer nachvollziehen. Zur Verbreitung beigetragen haben etwa die reichweitenstarken Kanäle des Islam-Influencers Tarek Baé mit rund 400.000 Followern. Er veröffentlichte beispielsweise am 6. Juli einen Instagram-Post mit dem Vorwurf: "Ihre Eltern flüchteten aus Afghanistan nach Deutschland. Das erwähnt kein Medium."
Der Post sammelt über 50.000 Likes, in den Tagen danach erscheinen auch auf anderen Kanälen zu migrantischen Themen ähnlich lautende Veröffentlichungen. Selbst englischsprachige Kanäle zu Afghanistan mit Hunderttausenden Followern greifen die Falschinformation international auf, feiern ihre vermeintliche Landsfrau und kritisieren Rassismus in Deutschland.
Als Quelle seiner Information schreibt Baé auf Instagram, sie stamme "aus der afghanischen Hazara-Community in Deutschland". Eine Anfrage von ZDFheute an Baé blieb bislang ohne Antwort. Doch kurz nach der Anfrage passte Baé die Beschreibung seines Posts an, schreibt dort nun:
Korrektur: Die Eltern sind nicht aus Afghanistan geflüchtet. Ich habe mich bei der Familie für die Weiterverbreitung entschuldigt.
„
Influencer Tarekt Baé
Der eigentliche Bildpost Baés mit der Falschinformation selbst bleibt jedoch weiterhin online. Eine Entschuldigung Baés hat Familie Heider nach deren Aussage bisher nicht erreicht.
Anderswo sind die Darstellungen unverändert. Der Account "SOS Balkanroute" beklagt: "Die europäischen Medien schreien den Namen Afghanistan heraus, wenn ein Afghane einen Fehler macht. Aber wenn eine Afghane wie dieses Mädchen mit 11 Jahren das Abitur schafft, erwähnen sie nicht einmal ihr Herkunftsland. Sie schreiben nur: 'Ein Mädchen hat mit 11 das Abitur gemacht.'"
Wenn es um den Nahost-Konflikt geht, ist Tarek Baé eine der einflussreichsten deutsch-muslimischen Stimmen. Doch der Influencer unterhält Verbindungen zu islamistischen Kreisen.
von Ninve Ermagan
Exklusiv
Viele Migranten fühlen sich medial diskriminiert
Dabei wird die mediale Darstellung von Migranten und insbesondere solchen aus Afghanistan auch mit Grund kontrovers diskutiert. Der Mediendienst Integration weist in seinen Auswertungen darauf hin, dass bei ausländischen Tatverdächtigen eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit der Nennung der Herkunft bestehe als bei deutschen Verdächtigen. Mehrere Fälle aus den vergangenen Jahren, in denen aus Afghanistan geflüchtete Täter Menschen und insbesondere Kinder angegriffen haben, führten zu einer breiten medialen Berichterstattung.
Viele Afghaninnen und Afghanen in Deutschland sehen sich von Diskriminierung betroffen, schreibt der Sachverständigenrat für Integration und Migration. Und die zu Radikalisierung arbeitende Nichtregierungsorganisation Violence Prevention Network aus Berlin verweist darauf, dass Medienkritik und Anzweifeln von Berichterstattung auch in vielen islamistischen Kreisen inzwischen verbreitet seien.
Der erfundene Fall von Lina Heiders vermeintlicher afghanischer Herkunft zahlt nun auf dieses Konto ein. Die Richtigstellungen dürften deutlich weniger Menschen erreichen als die Falschinformation. Das Vertrauen in Medien könnte hier unbegründet Schaden genommen haben.
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