Blaukrabbe bedroht Ökosystem:Warum das Mittelmeer mehr Oktopusse braucht
von Andreas Ewels und Michael Nieberg
Die Küsten des Mittelmeers sind unter Druck: Die Blaukrabbe breitet sich rasant aus und bedroht das ökologische Gleichgewicht. Oktopusse könnten die Krabbe in Schach halten.
Im Mittelmeer fühlt sich die Blaukrabbe wohl, dort hat sie keine Fressfeinde und genügend Futter.
Quelle: imago imagesWer in diesem Sommer an der italienischen oder kroatischen Adriaküste gefischt hat, kennt das Problem. Angler und Fischer ziehen nicht mehr nur Doraden oder Seebarsche aus dem Wasser - sondern immer öfter Blaukrabben. Und zwar in Massen. Die ursprünglich aus der Karibik stammende Krabbe hat sich in den letzten Jahren rasant im Mittelmeer ausgebreitet. Was für manche nach einem kulinarischen Abenteuer klingt, ist für die Fischerei und das Ökosystem ein echtes Problem.
Die Muschelzuchtbetriebe in der nördlichen Adria schlagen Alarm. Die Blaukrabbe, heimisch eigentlich an der Atlantikküste, breitet sich immer weiter im Mittelmeerraum aus und gefährdet die Muschelernte enorm.
26.10.2023 | 2:19 minBlaukrabbe zerstört Muschelernte in Italien
Im Mittelmeer fand die Blaukrabbe ein ökologisches Vakuum, das sie nun erfolgreich füllt. Sie ist ein Allesfresser mit Appetit auf Muscheln, Fischlaich und andere Meeresbewohner. Besonders bitter: Die Blaukrabbe macht sich über die Muschelbänke her, die für viele Fischer in Norditalien die Lebensgrundlage sind. In den letzten Jahren hat die Blaukrabbe im Po-Delta in Italien 70 Prozent der Muschelernte zerstört, von anfänglich 30.000 Tonnen im Jahr auf nur noch ca. 9.000 Tonnen in 2024.
Denis Mantoan ist Fischer dort und verzweifelt:
Wir müssen bald die Muschelproduktion ganz einstellen. Das Problem ist enorm, und derzeit können wir es nicht lösen.
Denis Mantoan, Fischer im Po-Delta
Seit 2023 haben bereits 500 Betriebe geschlossen. Denis Mantoan hält sich über Wasser, indem er die Blaukrabbe selber fängt und verkauft.
Die Erwärmung der Ozeane scheint ein Phänomen auszulösen, das die Briten gerade umtreibt. Der Krabbenfang lohnt sich kaum - Oktopoden fressen ihnen die Beute weg.
20.06.2025 | 2:00 minZu viel Klimawandel, zu wenige Oktopusse im Mittelmeer
Doch warum breitet sich die Blaukrabbe so ungehindert aus? Zum einen begünstigt der Klimawandel mit steigenden Wassertemperaturen ihre Lebensbedingungen. Zum anderen liegt die Antwort bei einem Tier, das immer stärker unter Druck gerät: dem Oktopus. Die cleveren Kopffüßer sind nicht nur faszinierende Wesen mit drei Herzen und beeindruckender Tarnfähigkeit. Sie sind auch die natürlichen Fressfeinde der Blaukrabbe. Wo Oktopusse jagen, haben invasive Krabben wenig Chancen.
Hannes Jaenicke trifft unter anderem Artenschützer in Griechenland, nachhaltige Fischer in Indonesien und Forscher, die von den beeindruckenden Fähigkeiten dieser intelligenten Tiere erzählen.
16.09.2025 | 43:30 minNachfrage nach Tintenfisch im Restaurant steigt
Blick in ein Restaurant in Kroatien. Besitzerin Katica Jurasic hat Oktopusse auf der Speisekarte:
Unsere Gäste lieben Oktopusse, egal ob im Topf gekocht oder auf dem Salat.
Katica Jurasic, Restaurant-Besitzerin
Die Nachfrage nach Tintenfischgerichten steigt weltweit, und das Mittelmeer ist längst kein Schongebiet mehr. Fangquoten? Fehlanzeige. Schonzeiten? Gibt es, werden aber kaum kontrolliert. Illegale Fischerei? Alltag. Meeresschutzorganisationen schlagen Alarm: In Italien oder Griechenland wurden Hunderttausende verbotene Oktopusfallen entdeckt - und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Durch den Klimawandel schlüpfen in Tiwi, Kenia, fast nur noch weibliche Meeresschildkröten - denn ihr Geschlecht hängt von der Bruttemperatur ab. Eine Gefahr für die Art.
09.08.2025 | 1:30 minUnzählige Oktopusse aus Fallen befreit
Die Organisation Sea Shepherd hat sich dieses Problem zur Aufgabe gemacht und in den letzten Jahren unzählige Fallen geborgen und Oktopusse befreit. Sehr zum Ärger der Fänger.
Andrea Morello war im Sommer 2025 mit dem Schiff "Sea Eagle" vor der Küste der Toskana unterwegs. Über 8.000 Kilogramm Leinen, Netze und Plastikreusen haben die Umweltschützer entfernt, viele Oktopusse befreit.
Für sie sind die Befreiungsaktionen zwingend notwendig. Ohne Oktopusse fehle ein wichtiger Regulator im marinen Gleichgewicht. Die Blaukrabbe könne sich so ungehindert vermehren, heimische Arten verdrängen und ganze Lebensräume verändern. Das ist nicht nur ein ökologisches Problem, sondern betrifft auch den Tourismus, die Gastronomie und die Küstenwirtschaft.
Italien versucht inzwischen auch, die Blaukrabbe kulinarisch zu "integrieren". Rezepte, Kochshows und Förderprogramme sollen sie auf die Teller bringen. Muschelfischer Denis Mantoan wurde so unfreiwillig zum Krabbenfischer. Er fängt mittlerweile 200 Kilogramm am Tag. Doch Experten sind skeptisch: Die Masse ist zu groß, die Ausbreitung zu schnell. Ein paar Pasta-Gerichte werden das Problem nicht lösen. Nach wie vor wird der Großteil der gefangenen Krabben deshalb im Auftrag der Regierung vernichtet.
Für Oktopus ist Blaukrabbe eine Leibspeise
Was es braucht, ist ein Umdenken, meint der Forscher Wolfgang Slany. Der Oktopus müsse geschützt werden - nicht nur, weil er faszinierend ist, sondern weil er eine Schlüsselrolle im Ökosystem spielt. Er könnte die Blaukrabbe in Schach halten: "Für den Oktopus ist sie eine Leibspeise", erklärt Slany.
Doch im sandigen Boden der italienischen Adria hat es der Oktopus als Weichtier schwer, geeignete Verstecke zu finden. Slany und sein Team versenkten testweise künstliche Höhlen aus Rohren und Kisten auf dem Meeresgrund, wollten so dem Oktopus gern gesehenen Lebensraum schaffen.
Die Versuche stehen noch am Anfang, doch Wolfgang Slany und seine Kollegen von der Organisation Mare Mundi sind optimistisch, dass sie ein Modell für das ganze Mittelmeer entwickeln können. Denn eines ist klar: Wenn der Oktopus verschwindet, wird die Blaukrabbe zur ungebremsten Macht im Mittelmeer und dies kann unabsehbare Folgen für das Ökosystem haben.
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