Weniger Fachkräfte durch Mindestlohn?

Mehr Menschen ohne Ausbildung:Weniger Fachkräfte durch Mindestlohn?

von Richard Luttke
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Millionen Menschen verdienen den Mindestlohn - im Koalitionsvertrag ist eine deutliche Erhöhung vorgesehen. Doch gerade für junge Arbeitnehmer könnte er zur Einkommensfalle werden.

Symbolbild: Ein Auszubildender arbeitet an einer Werkbank.
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Sägen, hämmern, schrauben - Zimmerer-Azubi Mattes Carstens hat sich für ein klassisches Handwerk entschieden. Aktuell arbeitet er mit seinen Kollegen an der Holzverkleidung eines neuen Gebäudes bei Wiesbaden. Vor seinem Ausbildungsbeginn im letzten Jahr half er noch auf Baustellen aus - oft für den Mindestlohn. In seiner Ausbildung verdient er zwar vorerst weniger, doch ihn überzeugte neben dem deutlich höheren Gehalt nach der Lehre, "dass ich eine gewisse Jobsicherheit habe, hinten raus".

Ein gut ausgelernter Geselle findet eigentlich immer Arbeit.

Mattes Carstens, Auszubildender

Noch zwei Jahre - dann hat Mattes Carstens seinen Abschluss in der Tasche. In Deutschland kann das jedoch ein immer größerer Teil der jungen Menschen nicht von sich behaupten.

Immer mehr Menschen ohne Berufsabschluss

Mit Sorge betrachtet man am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) den Trend: "Die Zahl der jungen Menschen ohne Berufsausbildung ist in Deutschland seit vielen Jahren gestiegen - mittlerweile auf 13 Prozent", beschreibt IAB-Forscher Enzo Weber die Situation.
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Einen Grund für den Trend sieht Weber im Mindestlohn. Dieser hebe "die niedrigsten Löhne, also gerade von den Jobs, die oft auch keine Qualifikation erfordern".

Und damit steigt der Anreiz, schnell in einen Helferjob zu gehen, in dem man dann auch schon ganz ordentliches Geld verdienen kann.

Enzo Weber, Forschungsbereichsleiter am IAB

Solche Jobs ziehen einige dann einer mehrjährigen Berufsausbildung mit vorerst niedrigeren Gehältern vor. Gleichzeitig senkt der Mindestlohn laut Weber jedoch die Lohnungleichheit und schmälert den Niedriglohnbereich, was positive Effekte seien.
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Neben dem Mindestlohn ist es vor allem die Zuwanderung junger Menschen ohne formale Qualifikation, die die Zahl der Menschen ohne Berufsausbildung steigen lässt. Ihre Abschlüsse werden oft nicht anerkannt und die Integration in den Arbeitsmarkt verläuft nur schleppend. Zentral ist außerdem, dass sich weiterhin viele Menschen für ein Studium statt einer Ausbildung entscheiden, da dieses als attraktiver wahrgenommen wird.

Trend verschärft den Fachkräftemangel

Dabei wären Ausbildungsplätze vorhanden. Laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer konnte knapp die Hälfte aller befragten Betriebe nicht alle Plätze besetzen, knapp ein Drittel erhielt keine einzige Bewerbung.
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Insbesondere in Industrie, Gastgewerbe, Handel, der Verkehrsbranche und dem Baugewerbe fehlen Bewerber. Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, betont:

Wenn wir heute keinen Lehrling haben, haben wir morgen keinen Gesellen und übermorgen niemanden, der die Firma übernimmt.

Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks

Das Fehlen von gut ausgebildeten Fachkräften ist dabei nicht nur für die Betriebe, sondern vor allem für die Betroffenen ein Problem. Die gut 1,6 Millionen jungen Menschen ohne Berufsausbildung sind häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen und Ungelernte verdienen im Schnitt 700 Euro weniger pro Monat als Menschen mit Berufsabschluss. Dass drei Viertel aller angebotenen Stellen eine Berufsausbildung voraussetzen, verschärft die Lage für sie zusätzlich.
So viel verdient man in diesen Berufen

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Wie kann Ausbildung attraktiver werden?

Um den Trend umzukehren, müsste die Ausbildung attraktiver werden. Für IAB-Forscher Weber gehören vor allem niederschwellige Ausbildungsangebote und eine bessere Berufsberatung zu den Lösungsansätzen. Auch sollten Zuwanderer direkt in eine Ausbildung oder ein Studium gefördert werden. Für ZDH-Präsident Dittrich ist "ein Dreiklang aus Handwerk, Politik und Gesellschaft notwendig, damit wieder mehr junge Menschen in die berufliche Bildung gehen".
Die Frage "Ausbildung oder nicht?" stellt sich für den Auszubildenden Mattes Carstens nicht mehr. Er ist zufrieden mit seiner Ausbildung und möchte auf keinen Fall zu seinem Hilfsarbeiterjob zurück. Mit seinem Abschluss hat er besonders gute Berufsaussichten.
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