EU-Binnenmarkt: Wie die EU sich wirtschaftlich selbst schadet

Bürokratischer Binnenmarkt:Wie die EU sich wirtschaftlich selbst schadet

Klaus Weber
von Klaus Weber
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Er ist das Herzstück der EU: der freie Handel von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital. Doch der EU-Binnenmarkt funktioniert längst nicht so gut wie angenommen.

Auf eine Europaflagge fallen Euro-Münzen
Der EU-Binnenmarkt kann sein Potential nicht entfalten. Eines der größten hindernisse ist die enorme Bürokratie.
Quelle: dpa

Sein Bruttoinlandsprodukt beträgt 18 Billionen Euro, das sind 18 Prozent des globalen Welthandels. Er sichert rund 56 Millionen Arbeitsplätze in Europa. Doch das volle Potenzial des EU-Binnenmarkts bleibt noch immer ungenutzt.
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Denn Europa kämpft gegen die "Terrible Ten". Die schrecklichen Zehn also. Was wie ein neuer Western von Quentin Tarantino klingt, ist in Wahrheit eine zehn Gründe lange Liste von Handelsbarrieren über Ländergrenzen hinweg.

• Komplizierte Unternehmensgründung und -führung
• Komplexe EU-Vorschriften
• Mangelnde Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten
• Eingeschränkte Anerkennung von Berufsqualifikationen
• Fehlende gemeinsame Standards für Produkte und Dienstleistungen
• Fragmentierte Vorschriften für Verpackungen
• Mangelnde Produktkonformität
• Restriktive und divergierende nationale Vorschriften für Dienstleistungen
• Aufwändige Vorschriften für die Entsendung von Arbeitnehmern in risikoarmen Sektoren
• Ungerechtfertigte territoriale Lieferbeschränkungen, die zu hohen Preisen für die Verbraucher führen

Bürokratie verhindert effizienten Handel

Dabei gilt der Binnenmarkt Europas als Herzkammer der EU und nach über 30 Jahren seines Bestehens sollte man meinen, dass der Zenit des europäischen Handels erreicht sein sollte. Doch das ist ein Trugschluss. Überall gibt es Hemmnisse, die einen effizienteren Warenaustausch verhindern.
Harte Kritik kommt etwa von Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK): "Bisweilen berichten uns deutsche Unternehmen sogar von unverhältnismäßigen und teilweise schikanösen bürokratischen Hürden."

Wenn wir es mit Europa ernst meinen, müssen wir die unnützen und unnötigen Regulierungen endlich auf ganzer Breite abschaffen.

Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin DIHK

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DIHK startet Kampagne gegen Überbürokratisierung

Der Internationale Währungsfonds hat errechnet, dass Anforderungen, Normen und Berichtspflichten innerhalb der EU einem Binnenzoll bei Industriegütern von 44 Prozent gleichkommen.
Bei Dienstleistungen sind es sogar 110 Prozent. "Das bedeutet zum Beispiel, dass ein mittelständischer Maschinenbauer, der seine Maschinen in der gesamten EU installiert, wartet und repariert, für die Entsendung seiner Mitarbeitenden jährlich rund 3.500 Entsendungserklärungen abgeben muss", sagt Oliver Bendig, Leiter der Industrie-Beratung bei Deloitte.
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Länderspezifische Regelungen und Kosten

Wie etwa das der norddeutschen Unternehmerin Birgit Putz. Ihre Firma stellt Blechputzmaschinen für den Bäckereibedarf her. Innerhalb Europas braucht sie für den Transport der Maschinen - je nach Zielland - unterschiedliche Verpackungen. Jedes EU-Land habe eigene Regeln, Gebühren, Kennzeichnungspflichten. Besonders teuer sei Österreich.
Auch wenn die Firma nur eine Maschine dorthin exportiert, muss sie für die 8,15 Kilogramm Pappe und ein Kilogramm Kunststoff, eine jährliche Servicepauschale von 570 Euro sowie 50 Euro Kosten für einen Bevollmächtigten und eine Entsorgungspauschale von 150 Euro zahlen, insgesamt also 770 Euro für rund neun Kilogramm Verpackungsmaterial. In anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Italien oder Frankreich, kommen noch zusätzliche Kennzeichnungspflichten hinzu.
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Kleine Unternehmen haben es schwerer

DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov meint dazu: "Kleine und mittlere Unternehmen, wie das von Birgit Putz, können es sich nicht leisten, eine Person nur für oder mit Verpackungsfragen zu beschäftigen. Dies führt dazu, dass Kunden in einigen europäischen Ländern nicht beliefert werden können."

Das bremst den grenzüberschreitenden Handel aus, statt ihn zu erleichtern.

Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin DIHK

Oliver Bendig kennt weitere Beispiele: "In der EU muss man für den Verkauf von Beleuchtung die erweiterte Herstellerverantwortung in drei Kategorien erfüllen, 16 verschiedene Registrierungen beantragen, mit zehn verschiedenen Behörden interagieren und separate Verwaltungs- und Registrierungsgebühren zahlen."
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EU-Binnenmarkt als Chance gegen Trumps Zölle

Dabei könnte Europa gerade jetzt einen Binnenmarkt ohne Hemmnisse gut gebrauchen. Wahrscheinlich wäre er das beste Mittel gegen Donald Trumps Zölle. Das Beratungsunternehmen Deloitte geht davon aus, dass ein komplett freier Handel dazu führt, dass sich die Absätze der deutschen Industrie in viele wichtige Exportländer des EU-Binnenmarkts verdoppeln. Die EU selbst glaubt, dass eine 2,4-Prozent-Steigerung beim EU-Handel einen 20-prozentigen Exportrückgang in die USA ausgleichen könnte.
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Jetzt sei der Moment, ganz stark nach innen in die EU zu schauen und die europäischen Kapitalmärkte zu stärken, meint Ökonomin Prof. Malmendier. 08.04.2025 | 22:22 min
Oliver Bendig nennt den EU-Binnenmarkt deshalb einen "schlafenden Riesen", der geweckt werden müsse. Immerhin hat die EU die Probleme erkannt und will die verbleibenden Handelshemmnisse nun mit einer neuen Binnenmarktstrategie beseitigen. Ihr Ziel: Aus dem schlafenden Riesen soll ein echter Riese werden.

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