Politologe: SPD-Papier "im Geiste des Kalten Krieges"

Interview

Politologe Bonacker:SPD-Papier "im Geiste des Kalten Krieges"

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Das sogenannte Manifest prominenter SPD-Politiker sorgt für Wirbel. Das Papier verkenne die aktuelle Konfliktlage mit Russland, sagt Politologe Bonacker bei ZDFheute live.

Thorsten Bonacker ordnet die Forderungen des Manifests der SPD-Linken ein.
Abrüstung sei in der jetzigen Lage nicht sinnvoll, sagt Friedens- und Konfliktforscher Thorsten Bonacker.11.06.2025 | 15:45 min
Ein Teil der SPD, darunter Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich und Außenpolitiker Ralf Stegner, fordert in einem sogenannten Manifest eine Abkehr von der derzeitigen Aufrüstungspolitik und Gespräche mit Russland. Die geplante Erhöhung der Verteidigungsausgaben halten sie für "irrational". Mit dem Papier stellen sie sich gegen die schwarz-rote Bundesregierung und die eigene Parteiführung.
Keine der Forderungen sei neu, sagt der Friedens- und Konfliktforscher Thorsten Bonacker von der Universität Marburg bei ZDFheute live. Es sei eine berechtigte Diskussion, aber sie werde schon seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geführt. Die SPD habe eine lange Tradition in der Friedens- und Entspannungspolitik - aber in der aktuellen Konfliktsituation gehe das "Manifest" in eine falsche Richtung.
Sehen Sie das ganze Interview oben im Video oder lesen Sie es hier in Auszügen.
Das sagt der Politologe Thorsten Bonacker ...

... zu den im "Manifest" formulierten Forderungen:

Das Papier sei "im Geiste des Kalten Krieges geschrieben worden", sagt Bonacker. "Viele der Autorinnen und Autoren sind auch in dieser Zeit politisch sozialisiert worden" - das merke man dem Papier sehr stark an. Es gebe Bezüge zur Entspannungspolitik in dieser Zeit. Allerdings ließen die Autoren des Papiers laut Bonacker außer Acht, dass das heutige Russland nichts mehr mit der Sowjetunion von 1988 zu tun habe.
In den 1980er-Jahren habe man es mit einer "Systemkonkurrenz mit Leitplanken" zu tun gehabt - "und beide Seiten bewegten sich aufeinander zu und beide Seiten wussten, wo die jeweiligen Grenzen waren", sagt Bonacker. Es seien zwei hochgerüstete Blöcke in einer Entspannungspolitik gewesen, die sich gegenseitig anerkannten.

Wir haben es jetzt mit einer fundamental anderen Situation zu tun und da scheint mir das Papier unangemessen.

Thorsten Bonacker, Politologe

"Es wird ein Krieg in Europa geführt, von Russland begonnen und geführt" - das sei eine völlig andere Lage als in den 1980er Jahren, auf die sich das Papier aber im Grunde beziehe. "Da geht das Manifest in eine falsche Richtung." Es sei "unangemessen sowohl in der Beschreibung der Situation als auch in Bezug auf die Instrumente, die vorgeschlagen werden", so Bonacker.
Boris Pistorius vor Kameras - er äußert sich zu Manifest
Das Manifest prominenter SPD-Politiker entfacht einen innerparteilichen Streit.11.06.2025 | 2:29 min

... zu den Schwächen des Papiers aus SPD-Reihen:

Auf der einen Seite werde zu Recht konstatiert, "dass wir eine neue europäische Verteidigungspolitik brauchen, dass wir uns auch ein Stück weit von den USA unabhängig machen müssen". Zugleich heiße es in dem Papier jedoch, dass "wir eigentlich nicht weiter in Verteidigung, sondern in andere gesellschaftliche Felder investieren müssen". Diese Argumentation sei "hochproblematisch" und schüre Populismus.
Das "Manifest" enthalte keinerlei Instrumente dafür, wie die Forderung einer neuen europäischen Verteidigungspolitik umgesetzt werden soll.

Da schweigt das Papier (...) und sagt vor allen Dingen, was man nicht machen soll.

Thorsten Bonacker, Politologe

SGS Zimmermann Sievers
Die Position des "Manifests" mehrerer SPD-Politiker sei in der Partei "nicht mehrheitsfähig", so die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, Diana Zimmermann. 11.06.2025 | 2:46 min

... zur Forderung nach Gesprächen mit Russland:

Der Eindruck, dass politisch gar nicht gesprochen werde, sei nicht richtig. Gespräche mit Russland fanden die ganze Zeit auf verschiedenen Kanälen statt, sagt Bonacker. Allerdings sehe man aktuell, "was Gesprächsangebote an eine aggressive Seite bewirken". Sie würden vor allen Dingen als Signal der Schwäche wahrgenommen und führten zu einer Zunahme der Gewalt. Genau das sei in den letzten Tagen geschehen: "Russland hat die schwersten Angriffe seit Beginn des Krieges geflogen, obwohl es Gesprächsangebote gab."

... zu Stärken des "Manifests"

Die Autoren wiesen aber zu Recht darauf hin, so Bonacker, dass es wichtig sei, sich in internationalen Institutionen zu engagieren und dort auch weiter zum Beispiel auf die völkerrechtliche Ächtung des Einsatzes von Nuklearwaffen zu dringen. Es sei eine Stärke des Papiers, internationale Kooperation zu betonen und das Einhalten von internationalen Regeln zu fordern.
Putin ist vor einer Karte der Ukraine zu sehen.
In einem "Manifest" fordern mehr als hundert SPD-Mitglieder Gespräche mit Russland und ein Ende des Aufrüstens. Was das für die Außenpolitik bedeutet – ZDFheute live ordnet ein. 11.06.2025 | 25:35 min
Quelle: ZDF

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