Analyse
SPD-Manifest zu Russland:Eine Breitseite gegen SPD-Chef Klingbeil
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Etliche SPD-Politiker fordern in einem sogenannten Manifest eine Annäherung an Russland. Das ist eine Breitseite gegen Parteichef Klingbeil. Befrieden dürfte das die Partei nicht.
Es schwingt Geringschätzung mit, wenn sich der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Adis Ahmetovic, zum sogenannten Manifest äußert. Ahmetovic nennt das Papier, unterzeichnet von rund 100 SPD-Friedensbewegten, "inhaltlich in weiten Teilen fragwürdig" und nicht mehrheitsfähig. Er habe "das Papier von fünf der 120 Mitgliedern der Bundestagsfraktion zur Kenntnis genommen".
Der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels nennt die Position "völlig illusionär". Er sagt im ZDF:
Dass manches klingt wie das Narrativ des Kreml, ist hoffentlich keine Absicht.
Hans-Peter Bartels
Neben Ralf Stegner und Rolf Mützenich haben auch die Abgeordneten Nina Scheer, Maja Wallstein und Sanae Abdi unterzeichnet. Sie fordern eine "schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland" und stellen sich damit deutlich nicht nur gegen die außenpolitische Linie der Bundesregierung, sondern auch gegen die ihrer eigenen Fraktion und Partei.
Warum der Zeitpunkt zynisch ist
Beim Parteitag 2023 hatte die SPD eigene Fehler in der Russlandpolitik kritisiert und eine Normalisierung der Beziehungen zur Regierung in Moskau abgelehnt, "so lange Russland sein imperialistisches Ziel der Eroberung und Unterdrückung souveräner Staaten verfolgt". An dieser Linie werde sich nichts ändern, so Ahmetovic.
Viermal fällt in dem vierseitigen Papier das Wort Ukraine, 33 Mal ist von Frieden die Rede. Den will freilich jeder. Wie man da hinkommen soll, verraten die Autorinnen und Autoren nicht.
Dass das so schlicht wie anmaßend Manifest genannte Schreiben ausgerechnet jetzt veröffentlicht wird, da es Gespräche mit Russland gibt, Moskau aber jede Nacht einen neuen Rekord an Drohnenangriffen auf zivile Ziele in der Ukraine aufstellt, betrachten viele inner- und außerhalb der SPD als zynisch.
Manifest fordert starke Bundeswehr
Erst recht die Formulierung, in Deutschland und den meisten europäischen Staaten "hätten sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchten". Ganz so, als ob dies eine freie Entscheidung wäre, nicht eine Reaktion (und im Falle der SPD eine eher späte) auf die Brutalität des russischen Präsidenten Wladimir Putins.
Zwar fordern die Autoren des Manifests eine "verteidigungsfähige Bundeswehr und eine Stärkung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas", streichen aber heraus, dass "allein die europäischen Mitgliedsstaaten der Nato, selbst ohne US-Streitkräfte, Russland konventionell militärisch deutlich überlegen" seien. Fazit: Weitere Aufrüstung schaffe nicht mehr Sicherheit.
Breitseite gegen den SPD-Chef
Die SPD-Spitze will sich nicht äußern, lässt aber wissen, man bewerte das Ganze als Debattenbeitrag für den Parteitag. Und doch ist es natürlich eine Breitseite gegen den Parteichef, den Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil.
Noch vor dem Parteitag kommt auch der Nato-Gipfel, für den die Regierung in vorauseilendem Gehorsam und aus Sorge darum, dass US-Präsident Donald Trump sich sonst verabschieden könnte, bereits fünf Prozent Verteidigungsausgaben (darin enthalten allerdings 1,5 Prozent für Infrastruktur) angeboten hat. Auch das lehnen die Autoren des "Manifests" ab. So wie die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen.
"Alte, Unverbesserliche" seien das, so heißt es im Ministerium. An Auswirkungen auf den Nato-Gipfel glauben sie dort nicht, dafür seien die Unterzeichner zu unbedeutend.
Osten sieht Militärausgaben kritisch
Und doch wissen diese einen Teil der Bevölkerung hinter sich. Gerade im Osten werden Aufrüstung und die damit verbundenen Ausgaben kritisch gesehen, haben SPD und auch CDU Mühe, die Stimmung in der Bevölkerung aufzugreifen, ohne ihre offiziellen Parteilinien zu verletzten.
Was die Stationierung der Mittelstreckenraketen anbelangt, schwingt bei den Verfassern des Manifests deutlich Sorge ums eigene Wohl mit. "Die Stationierung von weitreichenden, hyperschnellen US-Raketen-Systemen in Deutschland würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen."
Ähnliche Argumente wie AfD und BSW
Hier auch ist die Ähnlichkeit zur Argumentation von BSW und AfD am deutlichsten, die immer wieder die Kriegssorgen der Deutschen vortrugen und sich damit den Vorwurf einhandelten, die Ängste nur weiter zu schüren. Die "Friedenspartei SPD" müsse diese Diskussion führen, dürfe sie nicht "den Rechtsradikalen oder der Wagenknecht-Partei überlassen", so Ralf Stegner im Deutschlandfunk.
Viel Aussicht auf Erfolg dürfte die Initiative rund um das Manifest nicht haben. Dass sie friedensbewegte Sozialdemokraten befriedet, ist eher unwahrscheinlich, für Unruhe aber sorgt sie sicherlich noch eine Weile. Für Unmut in der Parteispitze ebenfalls.
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