"Manifest" zu Russland: Breitseite gegen SPD-Chef Klingbeil

Analyse

SPD-Manifest zu Russland:Eine Breitseite gegen SPD-Chef Klingbeil

Diana Zimmermann
von Diana Zimmermann
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Etliche SPD-Politiker fordern in einem sogenannten Manifest eine Annäherung an Russland. Das ist eine Breitseite gegen Parteichef Klingbeil. Befrieden dürfte das die Partei nicht.

SGS Zimmermann Sievers
Die Position des "Manifests" mehrerer SPD-Politiker sei in der Partei "nicht mehrheitsfähig", so die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, Diana Zimmermann. 11.06.2025 | 2:46 min
Es schwingt Geringschätzung mit, wenn sich der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Adis Ahmetovic, zum sogenannten Manifest äußert. Ahmetovic nennt das Papier, unterzeichnet von rund 100 SPD-Friedensbewegten, "inhaltlich in weiten Teilen fragwürdig" und nicht mehrheitsfähig. Er habe "das Papier von fünf der 120 Mitgliedern der Bundestagsfraktion zur Kenntnis genommen".
Der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels nennt die Position "völlig illusionär". Er sagt im ZDF:

Dass manches klingt wie das Narrativ des Kreml, ist hoffentlich keine Absicht.

Hans-Peter Bartels

Neben Ralf Stegner und Rolf Mützenich haben auch die Abgeordneten Nina Scheer, Maja Wallstein und Sanae Abdi unterzeichnet. Sie fordern eine "schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland" und stellen sich damit deutlich nicht nur gegen die außenpolitische Linie der Bundesregierung, sondern auch gegen die ihrer eigenen Fraktion und Partei.
Boris Pistorius vor Kameras - er äußert sich zu Manifest
Ein Manifest prominenter SPD-Politiker fordert von der Bundesregierung eine grundlegende Wende in der Außen- und Sicherheitspolitik - und entfacht einen innerparteilichen Streit.11.06.2025 | 2:29 min

Warum der Zeitpunkt zynisch ist

Beim Parteitag 2023 hatte die SPD eigene Fehler in der Russlandpolitik kritisiert und eine Normalisierung der Beziehungen zur Regierung in Moskau abgelehnt, "so lange Russland sein imperialistisches Ziel der Eroberung und Unterdrückung souveräner Staaten verfolgt". An dieser Linie werde sich nichts ändern, so Ahmetovic.
Viermal fällt in dem vierseitigen Papier das Wort Ukraine, 33 Mal ist von Frieden die Rede. Den will freilich jeder. Wie man da hinkommen soll, verraten die Autorinnen und Autoren nicht.
Dass das so schlicht wie anmaßend Manifest genannte Schreiben ausgerechnet jetzt veröffentlicht wird, da es Gespräche mit Russland gibt, Moskau aber jede Nacht einen neuen Rekord an Drohnenangriffen auf zivile Ziele in der Ukraine aufstellt, betrachten viele inner- und außerhalb der SPD als zynisch.
Feuer und Rauch steigen aus einem Wohnviertel in Charkiv auf.
In der Nacht hat Russland die Ukraine mit so vielen Drohnen wie nie zuvor angegriffen, landesweit sollen es 479 gewesen sein. In Saporischschja wurden mehrere Häuser beschädigt.09.06.2025 | 0:25 min

Manifest fordert starke Bundeswehr

Erst recht die Formulierung, in Deutschland und den meisten europäischen Staaten "hätten sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchten". Ganz so, als ob dies eine freie Entscheidung wäre, nicht eine Reaktion (und im Falle der SPD eine eher späte) auf die Brutalität des russischen Präsidenten Wladimir Putins.
Zwar fordern die Autoren des Manifests eine "verteidigungsfähige Bundeswehr und eine Stärkung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas", streichen aber heraus, dass "allein die europäischen Mitgliedsstaaten der Nato, selbst ohne US-Streitkräfte, Russland konventionell militärisch deutlich überlegen" seien. Fazit: Weitere Aufrüstung schaffe nicht mehr Sicherheit.
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind im Goethepark in Burg angetreten.
Kriegstüchtig soll Deutschland werden, doch der Bundeswehr fehlen Tausende Soldatinnen und Soldaten. Das Problem ist größer, als es die Verantwortlichen öffentlich sagen.01.06.2025 | 3:48 min

Breitseite gegen den SPD-Chef

Die SPD-Spitze will sich nicht äußern, lässt aber wissen, man bewerte das Ganze als Debattenbeitrag für den Parteitag. Und doch ist es natürlich eine Breitseite gegen den Parteichef, den Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil.
Noch vor dem Parteitag kommt auch der Nato-Gipfel, für den die Regierung in vorauseilendem Gehorsam und aus Sorge darum, dass US-Präsident Donald Trump sich sonst verabschieden könnte, bereits fünf Prozent Verteidigungsausgaben (darin enthalten allerdings 1,5 Prozent für Infrastruktur) angeboten hat. Auch das lehnen die Autoren des "Manifests" ab. So wie die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen.
"Alte, Unverbesserliche" seien das, so heißt es im Ministerium. An Auswirkungen auf den Nato-Gipfel glauben sie dort nicht, dafür seien die Unterzeichner zu unbedeutend.
ZDF-Korrespondent Andreas Stamm
Die Nato-Außenminister beraten in Brüssel über Verteidigungsausgaben. Man sei sich bereits beim Fünf-Prozent-Ziel einig, nun würden Details verhandelt, so ZDF-Korrespondent Stamm.05.06.2025 | 1:13 min

Osten sieht Militärausgaben kritisch

Und doch wissen diese einen Teil der Bevölkerung hinter sich. Gerade im Osten werden Aufrüstung und die damit verbundenen Ausgaben kritisch gesehen, haben SPD und auch CDU Mühe, die Stimmung in der Bevölkerung aufzugreifen, ohne ihre offiziellen Parteilinien zu verletzten.
Was die Stationierung der Mittelstreckenraketen anbelangt, schwingt bei den Verfassern des Manifests deutlich Sorge ums eigene Wohl mit. "Die Stationierung von weitreichenden, hyperschnellen US-Raketen-Systemen in Deutschland würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen."
Grafik-Politbarometer: Sollte Deutschland der Ukraine mehr moderne Waffen, auch mit größerer Reichweite, liefern?
ZDF-Politbarometer vom 6. Juni: Sollte Deutschland der Ukraine mehr moderne Waffen liefern?06.06.2025 | 5:27 min

Ähnliche Argumente wie AfD und BSW

Hier auch ist die Ähnlichkeit zur Argumentation von BSW und AfD am deutlichsten, die immer wieder die Kriegssorgen der Deutschen vortrugen und sich damit den Vorwurf einhandelten, die Ängste nur weiter zu schüren. Die "Friedenspartei SPD" müsse diese Diskussion führen, dürfe sie nicht "den Rechtsradikalen oder der Wagenknecht-Partei überlassen", so Ralf Stegner im Deutschlandfunk.
Viel Aussicht auf Erfolg dürfte die Initiative rund um das Manifest nicht haben. Dass sie friedensbewegte Sozialdemokraten befriedet, ist eher unwahrscheinlich, für Unruhe aber sorgt sie sicherlich noch eine Weile. Für Unmut in der Parteispitze ebenfalls.
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