"Chemsex" nimmt zu in Deutschland:Streeck warnt vor Sucht nach Sex mit Drogen
von Benedikt Bathe
Die Deutsche Aidshilfe geht von einer Zunahme von Sex mit Drogen in Deutschland aus, sogenanntem Chemsex. Der Drogenbeauftragte warnt vor Abhängigkeit und fordert mehr Aufklärung.
Hendrik Streeck zu "Chemsex": Der Drogenbeauftragte fordert mehr Aufklärung ohne Scham.
14.11.2025 | 1:07 minRené hat nicht mehr viel an. Weiße Glanzshorts und Sneaker, das ist alles. Zusammen mit seinem Freund Tobias hat sich René auf dem Klo in einem Berliner Club eingeschlossen. Dann greift er sich zwischen die Beine und holt ein kleines Plastiktütchen hervor.
René und Tobias, die eigentlich anders heißen, verteilen weißes Pulver auf einer Karte und ziehen es durch die Nase. Gleich werden sie zehn Stunden tanzen. Und Sex mit anderen Männern haben. Auf der Tanzfläche bei Techno-Bässen. Oder in einem der abgelegeneren Räume dahinter.
In dem Moment, in dem ich etwas nehme, geht es für mich los. Ich spüre das in meinem ganzen Körper.
Tobias, Mitte 20
Die Krypto-App Sky ECC galt weltweit als eine der sichersten. Deshalb war sie bei Kriminellen beliebt – auch bei der Bande, die 16 Tonnen Kokain nach Deutschland schmuggeln wollte.
13.02.2025 | 16:47 minSo viele Menschen hatten zuletzt Chemsex
Was René und Tobias im Berliner Club machen, wird Chemsex genannt. Geschlechtsverkehr unter dem Einfluss stimulierender Drogen - das erfährt seit den 90er-Jahren zunehmende Beliebtheit in Deutschland, vor allem bei Männern, die Sex mit Männern haben. Aber nicht nur dort.
Doch wie weit verbreitet Chemsex tatsächlich ist, ließ sich bislang schwer beziffern.
Nun legt die Deutsche Aidshilfe erstmals eine Zahl vor. Laut einer noch unveröffentlichten Studie, die ZDFheute vorliegt, hatten in den vergangenen vier Wochen schätzungsweise 42.800 Menschen in Deutschland Chemsex. Die Forscher haben frühere Untersuchungen ausgewertet und für Deutschland hochgerechnet.
Gefahren durch Drogen beim Chemsex
Wirkt entspannend - aber bereits bei einer geringen Überdosierung stark einschläfernd, daher auch als "K.o.-Tropfen" bezeichnet. Größere Mengen können unter Umständen tödlich wirken. Bei akuten medizinischen Notfällen in Chemsex-Settings ist meist G im Spiel.
Eine aufputschende Droge, erkennbar an ihrem strengen Geruch. Führt bei Überdosis zu Rastlosigkeit, Herzrasen und dem Risiko von Paranoia.
Eine hochwirksame Droge, auch unter dem Namen "Tina" gehandelt, die den Wirkstoff Methamphetamin enthält. Sie führt leicht dazu, mehrere Tage wach zu bleiben - aber ebenso leicht in die Abhängigkeit.
Eine neue Substanz in der Szene mit vielen Spitznamen ("Flex", "Alpha"), aber wenig gesicherten Informationen. Bekannt ist nur, dass sie schnell Psychosen auslösen kann.
Die Initiative sidekicks.berlin recherchiert mit Konsumenten zu gängigen Drogen im Zusammenhang mit Chemsex, unterfüttert mit wissenschaftlicher Forschung. Alle Drogen führen bei Dauergebrauch zu einer körperlichen bzw. psychischen Abhängigkeit.
Chemsex: Zahlen steigen
Ein Vergleich mit den Vorjahren sei methodisch schwierig, sagt Dr. Dirk Sander, einer der Autoren der Studie. Aber:
Man kann davon ausgehen, dass es eine Zunahme gibt.
Dr. Dirk Sander, Deutsche Aidshilfe
Das hätten andere Erhebungen gezeigt. Die Studie sei nicht repräsentativ, schränkt Sander ein. Sie biete aber "für die Prävention relevante, belastbare Aussagen".
In Europa boome besonders das Kokain. Das Vorgehen der USA werde den Drogenhandel nicht bremsen, so der Leiter der Europäischen Beobachtungsstelle für Organisierte Kriminalität.
24.10.2025 | 12:22 minZehntausende sorgen sich um ihren Konsum
Urs Gamsavar arbeitet bei der Deutschen Aidshilfe zum Thema Chemsex, hat als Sozialarbeiter selbst Menschen begleitet, "die wegen Chemsex tief gefallen sind", wie er sagt. Einige Konsumenten fänden einen bewussten Umgang, doch viele könnten die Risiken nicht abschätzen.
Auch die Hochrechnung der Aidshilfe zeigt: Etwa 35.500 Männer, die Sex mit Männern haben, machen sich Sorgen um ihren Drogenkonsum.
Beratungsstellen versuchen, das aufzufangen. Aber die Anfragen haben in den letzten Jahren zugenommen - bundesweit.
Urs Gamsavar, Sexualtherapeut
Der Drogenbeauftragte des Bundes, Hendrik Streeck, warnt vor einer neuen Drogenkrise in Deutschland.
24.10.2025 | 4:38 minOhne Scham: Streeck fordert mehr Aufklärung
Hendrik Streeck, der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, warnt im Interview mit ZDFheute ebenfalls vor steigenden Fallzahlen. "Wir sehen in Deutschland, aber auch in Europa immer mehr Chemsex, also Sexualverkehr nur noch im Zusammenhang mit bestimmten Drogen", so der CDU-Politiker. Er sagt:
Wir sollten mehr aufklären, dass da auch bestimmte andere Abhängigkeiten entstehen können, dass man zum Beispiel nur Sex haben kann mit bestimmten Drogen.
Hendrik Streeck (CDU), Drogenbeauftragter der Bundesregierung
Streeck spricht von einem "neueren Phänomen", über das breit geredet werden müsse. Ohne Scham.
Opposition vermisst fehlendes Gesamtkonzept
Der queerpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Maik Brückner, kritisiert, er nehme nicht wahr, "dass die Regierung das Thema Chemsex überhaupt zur Kenntnis genommen hätte, geschweige denn eine schlüssige Strategie mit klarer Umsetzungsperspektive" habe. Stattdessen würden regionale Mittel für Beratungsstellen gekürzt.
Der Linkenpolitiker fordert einen akzeptierenden Ansatz in der Drogenpolitik. Dazu gehöre beispielsweise, Therapieansätze zu verfolgen, die zunächst auf eine Reduzierung des Konsums abzielten statt auf Abstinenz.
Drogen bleiben in Deutschland aus Sicht von Innenminister Dobrindt ein massives Problem. Vor allem wächst der Konsum von harten Rauschmitteln.
24.10.2025 | 1:34 minWenn Sex nur noch mit Drogen geht
Tobias sagt, der Sex mit Drogen sei besser. Enthemmter. Die Gefahren seien ihm bewusst. Er entscheide sich aber von Zeit zu Zeit dafür. Sein Freund kennt aber auch ein schwules Paar, bei dem Sex ohne Drogen inzwischen nicht mehr funktioniert.
Sie können keinen Sex mehr ohne Drogen haben, an einem Mittwochabend zum Beispiel.
Freund von Tobias
Das sei natürlich ein Problem. Sowohl für die Gesundheit des einen Partners als auch für die Beziehung insgesamt. Soweit, sagt Tobias, solle es bei ihm nicht kommen.
Hilfsangebote zum Thema Chemsex
Die Deutsche Aidshilfe informiert unter anderem zum Vorgehen im Notfall auf ihrer Internetseite.
Anlaufstellen gibt es in vielen Städten. Die Deutsche Aidshilfe listet online zahlreiche Einrichtungen auf.
Informationen zu Wirkung und Risiken bestimmter Drogen stehen auf der Seite des Drogeninformationszentrums Zürich oder von Sidekicks Berlin.
Nachrichten | ZDF-Mittagsmagazin:Behörden: Deutschland droht Drogenkrise
von Stefan Schlösser2:28 minGesellschaft | Volle Kanne:Schutz vor Chlamydien-Infektionen
5:02 minVorstoß von CDU-Politiker Streeck:Teure Medikamente: Altersgrenze für Patienten?
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