Was steckt hinter dem "Wortbruch"-Vorwurf der Grünen?
FAQ
Grüne kritisieren Sondervermögen:Was steckt hinter dem "Wortbruch"-Vorwurf?
von J. Schneider, K. Hinterleitner
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Die Grünen werfen Bundesfinanzminister Klingbeil und Kanzler Merz "Wortbruch" vor. Es geht um das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz in Höhe von 500 Milliarden Euro.
Finanzminister Klingbeil und Kanzler Merz: Die Grünen zweifeln am Versprechen, dass die Mittel des Sondervermögens nicht an anderer Stelle im Haushalt eingespart werden
Quelle: dpa
Die Grünen haben ihre Kritik an den Haushaltsplänen von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) noch einmal deutlich verschärft und ihm sowie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Wortbruch vorgeworfen. Damit ist im politischen Berlin der Streit um den Haushalt neu entflammt. Es geht dabei um nicht weniger als die Zukunft des größten staatlichen Investitionspakets der letzten Jahrzehnte.
Laut aktuellen Zahlen des ZDF-Politbarometers ist eine Mehrheit mit der Arbeit der neuen Regierung um Kanzler Merz eher zufrieden. Stefan Leifert über weitere Ergebnisse.
23.05.2025 | 2:23 min
Grünen-Parteichef Felix Banaszak äußerte sich in der "Süddeutschen Zeitung" empört:
Erst große Ankündigungen machen und dann beim Klima- und Transformationsfonds kürzen - das ist nichts anderes als Haushaltstrickserei.
„
Felix Banaszak, Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen
Banaszak verwies darauf, dass die Grünen der Einrichtung eines kreditfinanzierten Sonderbudgets zur Modernisierung der Infrastruktur und zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen im Umfang von 500 Milliarden Euro nur unter der Bedingung zugestimmt hätten, dass die schwarz-rote Koalition das Geld auch tatsächlich zusätzlich zum regulären Bundeshaushalt in den Standort Deutschland investiert. Daran gibt es aus Sicht der zweitgrößten Oppositionspartei nun erhebliche Zweifel.
Man sei mit dem amerikanischen Kollegen im Zollstreit „noch nicht bei einer Lösung“ angekommen, so Lars Klingbeil vom Treffen der G7-Finanzminister in Banff.22.05.2025 | 5:13 min
Was ist das Sondervermögen genau?
Das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaschutz wurde im März 2025 beschlossen - nach der Bundestagswahl aber noch mit den alten Mehrheitsverhältnissen. Es umfasst 500 Milliarden Euro, die über zwölf Jahre in die Modernisierung Deutschlands fließen sollen. Der Großteil davon - rund 400 Milliarden Euro - ist für Verkehr, Digitalisierung und Energieinfrastruktur vorgesehen. Weitere 100 Milliarden sind für Klimaschutz und Transformation eingeplant.
Um das Sondervermögen auf den Weg zu bringen, benötigte die neue Regierung eine Änderung des Grundgesetzes und dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag.
Abstimmung über Finanzpaket im Bundestag
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Entscheidend für die Zustimmung der Grünen war damals, dass die Mittel zusätzlich zum regulären Bundeshaushalt fließen sollten. Ziel war es, den Investitionsstau aufzulösen, ohne bestehende Etats zu kürzen. Diese Zusage war nicht nur politisches Zugeständnis, sondern auch ein wirtschaftspolitisches Signal: Der Staat investiert in die Zukunft, ohne dabei an anderer Stelle zu sparen.
100 Milliarden Euro sollen an die Länder gehen, auch um Investitionen in den Kommunen zu ermöglichen. Am Beispiel Hannover zeigt sich, wo die Herausforderungen liegen.14.05.2025 | 1:33 min
Wieso kommt es jetzt wieder zum Streit in diesem Punkt?
Seit das Finanzministerium am Montag erste Eckpunkte für die Aufstellung der Haushalte 2025 und 2026 bekannt gegeben hat, hegen die Grünen den Verdacht, dass Finanzminister Klingbeil die Gelder aus dem Sondervermögen doch zweckentfremden und statt für zusätzliche Investitionen für die Haushaltssanierung nutzen wolle. Das widerspräche aus ihrer Sicht der Vereinbarung mit Union und SPD, wegen der die Grünen der Grundgesetzänderung zugestimmt hatten. "Ein solcher Verschiebebahnhof wäre ein klarer Vertragsbruch", heißt es aus Grünen-Kreisen.
Der "Wortbruch"-Vorwurf hat aber noch einen weiteren, strategischen Hintergrund: Die Grünen sind jetzt in der Opposition. Der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Habeck ist weg und mit ihm ging in weiten Teilen auch die grüne Sicht auf Wirtschaft. Ein schmerzlicher Bedeutungsverlust für die Partei, aber auch eine Motivation für die Grünen, die Bedeutung des Klimaschutzes zu betonen. Den Anlass für diese Rückbesinnung lieferte Habecks Nachfolgerin Katherina Reiche (CDU) bereits wenige Tage nach der Regierungsübernahme:
Klimaschutz kann nicht das einzige Ziel des Wirtschaftsministeriums sein.
„
Katherina Reiche, Bundeswirtschaftsministerin
Soll heißen: Anderes ist ab jetzt wichtiger. Felix Banaszak tut folgerichtig das, was ein Oppositionspolitiker tun muss: Seine Partei als Anwalt ihres Kernthemas zu positionieren und die Regierung dabei vor sich herzutreiben.
Die Grünen stimmen dem Sondervermögen nun doch zu, mit erheblichen Änderungen. Der Klimaschutz könne nicht mehr "zur Nebensache degradiert werden", so Britta Haßelmann.17.03.2025 | 5:20 min
Die Verteidigung des Finanzministeriums
Aus dem Finanzministerium wurde der Vorwurf bereits zurückgewiesen: Eine Sprecherin erklärte, es sei weiter geplant, jährlich zehn Milliarden Euro aus dem Sondervermögen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) zu überführen. Zwar würden dort auch einzelne Programme aus dem Bundeshaushalt angesiedelt, doch diese machten nur einen kleinen Teil der Mittel aus. Insgesamt bleibe der KTF damit ein Instrument zusätzlicher Finanzierung.
Tatsächlich hat Klingbeil sicher nie versprechen können, niemals Gelder zu verschieben. Schon bei der grundsätzlichen Abmachung war völlig klar, dass Verschiebungen nötig sein würden, erklärt ZDF-Hauptstadtkorrespondent Wulf Schmiese:
Deswegen gehen Gelder aus dem Kernhaushalt in den KTF ja auch überjährig, wie das im Fachjargon heißt. Also der Planungssicherheit wegen zählt da nicht nur ein Haushaltsjahr.
„
Wulf Schmiese, Stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios
So könne es im ersten weniger und im nächsten mehr Geld für Klima-Investitionen geben. "Am Ende jedoch muss die vereinbarte Summe stehen", so Schmiese.
Für 2025 waren im Wirtschaftsplan unter anderem vorgesehen:
Gebäude: 14,36 Milliarden Euro beispielsweise für klimafreundliche Heizungen oder energetische Sanierungen
Mobilitätswende: 1,58 Milliarden Euro Zuschüsse für Tank- und Ladeinfrastruktur, etwa für E-Ladesäulen
Industriestrom: 3,3 Milliarden Euro für stromintensive Unternehmen als Ausgleich emissionshandelsbedingter Strompreiserhöhungen
Darüber hinaus fördert der KTF beispielsweise den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft oder die Dekarbonisierung der Industrie. In der Vergangenheit wurde auch die E-Auto-Prämie aus dem KTF finanziert. 2023 lag die Summe dafür bei 2,6 Milliarden Euro.
Im Klima- und Transformationsfondsgesetz ist festgehalten, dass insbesondere Maßnahmen förderfähig sind, "die geeignet sind, die Transformation Deutschlands zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Volkswirtschaft voranzutreiben". Auch Maßnahmen zur Förderung der Mikroelektronik, zur Finanzierung der Schienenwege des Bundes und zum internationalen Klimaschutz sind förderfähig.
Der politische Hintergrund
Der Konflikt berührt ein zentrales Thema der Ampelkoalition - den Umgang mit knappen Kassen in Zeiten großer Herausforderungen. Während Union und SPD auf Haushaltsdisziplin pochen, fordern die Grünen massive Investitionen, um Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
"Ohne Investitionen in Klimaschutz, Infrastruktur und Bildung wird Deutschland zurückfallen", warnte Banaszak und forderte Merz und Klingbeil auf: "Streichen Sie nicht bei der Zukunft!"