100 Tage Kulturstaatsminister: Warum Wolfram Weimer polarisiert
100 Tage Kulturstaatsminister:Warum Wolfram Weimer polarisiert
von Henriette de Maizière
|
Kulturstaatsminister Weimer hat seiner Behörde das Gendern untersagt. Öffentlichen Institutionen legt er den Verzicht nahe. Auch an anderer Stelle sorgt er für Diskussionen.
Versteht sich als "Kulturverfechter, nicht Kulturkämpfer": Wolfram Weimer
Quelle: dpa
Anlässlich seiner Nominierung zum Kulturstaatsminister sagte Wolfram Weimer, er sei kein Kulturkämpfer, sondern ein Kulturverfechter.
Der ehemalige Publizist hat zu vielen Themen eine Meinung und tut diese auch gerne kund. Zu 35 Jahre deutsche Einheit: "Die Ostdeutschen sind die Helden der letzten 100 Jahre". Zum AfD-Verbot: "Wir werden die AfD nicht wegverbieten können." Aber auch zur Lage in Gaza, zur Richterwahl, zum Fall der Berliner Mauer.
Grünen-Chef Felix Banaszak kritisierte bei "Lanz" die Berufung des neuen Kulturstaatsministers. Wolfram Weimer warf ihm daraufhin "Cancel Culture" vor.20.06.2025 | 65:23 min
Wer öffentliches Geld erhält, soll nicht gendern
Ebenso zum Thema Gendern. Seiner Behörde untersagte er das Gendern in Schreiben - weder Sternchen, noch Doppelpunkte oder Unterstriche sollen verwendet werden. Weimer beruft sich dabei auf die Regeln des Rates für deutsche Rechtschreibung.
Auf Anfrage von ZDFheute teilt eine Sprecherin des Staatsministers mit, die Verwendung solcher Sonderzeichen sei im offiziellen Schriftverkehr derzeit nicht vorgesehen, "da sie nicht Teil der amtlichen Rechtschreibung sind". Jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter stehe "natürlich frei, privat zu gendern". Hier also: privat jede*r, wie sie oder er will. Ansonsten scheut Weimer keine "Empfehlungen" für andere Institutionen:
Ich empfehle halbstaatlichen oder öffentlichen Institutionen, die Regelsprache zu verwenden anstatt ideologischer Kunstsprachen.
„
Wolfram Weimer, Kulturstaatsminister
Verzicht auf Gendern: "Empfehlung" ohne Folgen?
Dies sei keine Anweisung, versucht Weimer zu beschwichtigen, sondern eben eine Empfehlung. Museen, Stiftungen oder Rundfunkhäuser müssten nach seinen Worten auch nicht um ihre öffentliche Förderung fürchten, wenn sie weiter geschlechtersensible Sprache nutzten.
Aber warum empfiehlt er, es besser nicht zu tun? Wegen gemeinsamer Verantwortung für die Verständlichkeit staatlich geförderter Kommunikation, begründet es der parteilose Politiker. Was passiert, wenn Museen und Stiftungen seiner Empfehlung nicht folgen? "Dann folgen sie meiner Empfehlung eben nicht - und entfremden sich von ihrem Publikum", sagte Weimer der dpa.
Schauspieler Paul-Maximilian Pira hält Wolfram Weimer für ungeeignet als Kulturstaatsminister und hat eine Petition gestartet - Tausende haben unterzeichnet.30.04.2025 | 4:45 min
Zensur oder Empfehlung?
Während Weimer die Gesellschaft für deutsche Sprache auf seiner Seite hat, da sie das Gendern nicht empfiehlt, reagieren andere im Kulturbetrieb beißend ironisch: Etwa in einer Pressemitteilung des PEN-Club Berlin lobt dessen Präsident Deniz Yücel überspitzt, "dass der Bundesbeauftragte den Mut aufbringt, sich der Spracherziehung anzunehmen und damit Ansprüche auf eine Rolle in der Kulturpolitik anzumelden, die seit dem Ausscheiden von Kurt Hager im Herbst 1989 vakant geblieben ist".
Hager war Chefideologe der DDR, im SED-Politbüro-Mitglied verantwortlich für die Kultur- und Bildungspolitik. Yücel spielt damit auf staatliche Zensur an, der die Kultur in der DDR unterworfen war. Er erwarte, schreibt Yücel, dass Weimer den Gedanken zu Ende führe und "sich im nächsten Schritt die in Museen und Theatern dargebotenen Inhalte" vorknöpfe.
Dabei ist Yücel selbst kein Verfechter des Genderns, findet aber:
Das beste und nach meinem Dafürhalten einzig überzeugende Argument für das Gendern schien mir schon immer die Schnappatmung, die es bei seinen Gegnern auslöst.
„
Deniz Yücel, Journalist und Präsident des PEN-Clubs
Selten sei dies so glänzend bekräftigt worden, wie nun durch den Staatsminister.
Kulturschaffende und LobbyControl äußerten ebenfalls Bedenken an Weimers Eignung und Unabhängigkeit.30.04.2025 | 1:44 min
Deutscher Journalisten-Verband: "Eingriff in die Rundfunkfreiheit"
Der Deutsche Journalisten-Verband kritisierte den Vorstoß als "Eingriff in die Rundfunkfreiheit". Die Entscheidung von Redaktionen, ob sie in Beiträgen gendern, gehe den Kulturstaatsminister nichts an.
Stefan Koldehoff, Chefkorrespondent Kultur beim Deutschlandfunk befürchtet, in Weimers "Empfehlungen" schwinge "für manche eine Drohung mit" für mögliche weitere Förderungen.
Will Weimer darum das kulturelle Bewusstsein verändern? "Weimers Vorstoß, auch wenn er als Empfehlung getarnt ist, kann durchaus als Eingriff in die Rundfunkfreiheit gesehen werden", sagt Koldehoff. Auch wenn ein Kulturstaatsminister dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine Vorschriften machen darf, da dieser nicht aus staatlichen Geldern finanziert wird.
In Bayern ist vergangenes Jahr ein Genderverbot in Kraft getreten. An Schulen, Hochschulen und Behörden im Freistaat ist die Verwendung geschlechtersensibler Gendersprache nun ausdrücklich verboten.11.04.2024 | 3:20 min
Und dann noch Hufeisen-Theorie
An anderer Stelle polarisiert Weimer außerdem. Auf seinem Instagram-Account hat er dieser Tage zur sogenannten Hufeisentheorie gepostet, und zwar gegen beide Seiten gleichermaßen. Auf Instagram schrieb Weimer Anfang August:
Sowohl die Linksextremen, als auch die Rechtsextremen sind nicht gut für die Demokratie.
„
Wolfram Weimer, Kulturstaatsminister
Er bleibe deshalb beim Hufeisen. Die durchaus umstrittene Hufeisentheorie besagt, dass sich Links- und Rechtsextreme in ihren Positionen näher sind als den Kräften der politischen Mitte.
Und Weimar erweiterte diese These auch auf die Parteienlandschaft im Deutschen Bundestag: In einem Interview mit der Funke-Mediengruppe nannte er Linkspartei und AfD "zumindest gleichermaßen schlecht für Deutschland".
Die Linke sei natürlich eine andere Kategorie als die AfD, aber auch sie wolle eine andere Republik. Weimer plädiert deshalb für eine Brandmauer sowohl zur AfD als auch zur Linken.
Wir sollten schauen, dass wir Linkspartei und AfD tunlichst aus der Macht und dem politischen Entscheidungszentrum der Republik fernhalten - mit allen demokratischen Mitteln, die wir haben.
„
Wolfram Weimer, Kulturstaatsminister
Es wirkt, als habe Weimer sich zur Aufgabe gemacht, konservative Politik neu zu etablieren und dabei provokativ Grenzen auszutesten. Die Aufmerksamkeit dafür ist ihm zumindest gewiss.
Henriette de Maizière ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.