Anschlag auf Weihnachtsmarkt:Magdeburg: Warum es ein Extra-Gerichtsgebäude braucht
von Annette Pöschel
Am 10. November beginnt der Prozess gegen den Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt 2024. Extra dafür wurde eine Art Pop-up-Verhandlungsort gebaut. Warum ist das nötig?
In dem Interims-Gerichtsgebäude soll der Prozess gegen Taleb A. stattfinden.
Quelle: dpaEs ist ein riesiges Gelände im Osten von Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt, etwa so groß wie anderthalb Fußballfelder, eingezäunt, blickdicht, mit Stacheldraht geschützt. Binnen drei Monaten sind hier zwei Hallen in Leichtbauweise entstanden.
Allein der Gerichtssaal misst 60 mal 35 Meter. Die Maße - ein Sinnbild für die Bedeutung des Prozesses für die Rechtsprechung im Allgemeinen und die Geschädigten des Attentats im Besonderen. "Der Anschlag stellt eine Zäsur in der Geschichte des Landes dar", heißt es dazu aus Sachsen-Anhalts Justizministerium.
Ressortchefin Franziska Weidinger (CDU) erwartet eins der größten Strafverfahren der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte:
Man bemerkt sofort, dass der Raum für die Nebenkläger sehr groß ist. Weil wir eben so viele Betroffene haben, die an diesem Verfahren partizipieren. Und das ist die eigentliche Dimension des Prozesses.
Franziska Weidinger, Justizministerium Sachsen-Anhalt
Der Täter von Magdeburg, Taleb A., hat aus der Untersuchungshaft Kontakt mit fünf Opfern seiner Amokfahrt aufgenommen, per Brief. Die Politik zeigt sich empört und fordert, Opfer besser zu schützen.
06.08.2025 | 2:38 minPlatz für Hunderte Nebenkläger
Als Taleb A. am 20. Dezember 2024 mit einem Mietwagen über den Magdeburger Weihnachtsmarkt raste, tötete er fünf Frauen und einen neunjährigen Jungen, verletzte 338 Menschen. Hinzu kommen hunderte Augenzeugen und Angehörige, die psychische Belastungen davontrugen. Ihnen allen müsse die Möglichkeit gegeben werden, an dem Verfahren teilzuhaben. Als Besucher oder Prozessbeteiligte.
Der riesige Saal bietet 450 Nebenklägern - also Menschen, die beim Anschlag zu Schaden kamen, und ihren Rechtsbeiständen Raum. Bislang haben rund 150 die Zulassung vom Gericht bekommen.
Ihre Plätze sind an langen Tischen mit Mikrofonen angeordnet, die hinteren Reihen stehen auf einem Podest für freie Sicht auf die Richterbank und einen Glaskasten am anderen Ende der Halle, in der Ecke, in dem der Anklagte sitzen wird.
Der Hauptsaal in der Leichtbauhalle bietet Platz für Hunderte Personen.
Quelle: dpaOpferbeauftragte: "Gesicht auch sehr nah sehen können"
Dass sich Angeklagter und Nebenkläger gegenübersitzen, sei richtig, so die Landesopferbeauftragte:
Mir haben Leute gesagt, dass sie den Täter mal sehen wollen.
Gabriele Thelen, Landesopferbeauftragte
"Das wird zwar nicht immer Aug' in Aug' sein", so Gabriele Thelen, aber weil überall Übertragungsmonitore hängen, "wird man das Gesicht auch sehr nah sehen können und damit auch seine Regungen".
Durch eine Glaswand getrennt, können in einem Nachbarraum 200 interessierte Bürger und Medienvertreter den Prozess verfolgen.
Im Dezember 2024 raste ein Attentäter in den Weihnachtsmarkt. Die Frage nach der Verantwortlichkeit für die Sicherheitsmaßnahmen bleibt weiterhin ungeklärt.
20.06.2025 | 1:36 minFür manchen Magdeburger erschließt sich nicht, warum dieser Aufwand nötig wurde. Immerhin hat das Land schon vor Verhandlungsbeginn rund 1,7 Millionen Euro an die Baufirma bezahlt - allein für die Errichtung. Hinzu kommen unter anderem noch üppige Monatsmieten, Reinigungskosten und am Ende der Rückbau.
"Mir ist wichtig zu sagen, dass wir diesen Prozess führen müssen in unserem Rechtsstaat", betont Justizministerin Franziska Weidinger (CDU).
Justizministerin: Kosten nicht im Mittelpunkt
Eine Alternative hätte es nicht gegeben. Ihrer Aussage nach gibt es in Sachsen-Anhalt keine passenden Gerichtsgebäude mit den notwendigen Kapazitäten. Und Verhandlungsorte anderer Bundesländer würden mangels Tatortnähe ausscheiden. Die Entscheidung fiel also auf eine Spezialfirma, von der man ein Interims-Gerichtsgebäude anmieten konnte: "Jetzt haben wir die Möglichkeit, hier am Ort des Geschehens die Verhandlung zu führen", sagt Weidinger.
Die Opfer, die Nebenkläger haben genug Raum, können das Angebot nutzen, ihre Rechte wahrzunehmen.
Franziska Weidinger, Justizministerin Sachsen-Anhalt (CDU)
Die Kosten stünden dabei nicht im Mittelpunkt. Am Ende, so heißt es, könnte ein Betrag um die fünf Millionen Euro zu Buche schlagen. Die endgültige Summe ist abhängig von der Dauer des Verfahrens. Stand jetzt könnte das Urteil Mitte März ergehen. Bis 12. März hat das Gericht 46 Verhandlungstage angesetzt.
Annette Pöschel ist Reporterin im ZDF-Studio in Sachsen-Anhalt.
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