Sanktionen, Arbeit, Bürgergeld: Was Jobcenter-Experten berichten

Debatte um Bürgergeld:Keine Lust auf Arbeit? Was Jobcenter berichten

von Inken Klinge
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Wollen viele Bürgergeld-Empfänger wirklich nicht arbeiten? In Berlin plant die Koalition schärfere Sanktionen und spricht auch von "Totalverweigerern".

Jobcenter in Aachen

Fallmanager in Jobcentern begleiten Langzeitarbeitslose auf ihrem Weg zurück in Arbeit. Die meisten wollen wieder arbeiten, doch ihre Vermittlung ist schwer und dauert meist lange.

26.09.2025 | 1:45 min

Langzeitarbeitslose zu vermitteln, ist schwer und dauert lange. Da sind sich die Fallmanager in den Jobcentern in Wiesbaden und Aachen einig. Manchmal sind sie sogar frustriert, denn ihre Aufgabe ist mühsam.

Auf faule Arbeitslose, die alles ablehnen, treffen sie aber nur selten. "Ich will unbedingt arbeiten", sagt eine junge Frau und hebt ihren sieben Monate alten Sohn im Erdgeschoss des Jobcenters in Wiesbaden aus dem Kinderwagen.

Seit vier Jahren bezieht sie Bürgergeld - zusammen mit dem Kindergeld und Mietzuschuss stehen der alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern knapp 1.500 Euro im Monat zur Verfügung. Noch ist sie in Elternzeit, aber in zweieinhalb Jahren will sie am liebsten direkt arbeiten, deshalb ist sie hier.

Kinderbetreuung und Sprache sind die größten Hürden

Eine abgeschlossene Berufsausbildung hat sie nicht, daher empfiehlt ihr ihre Fallmanagerin aus dem Jobcenter eine Ausbildung in Teilzeit. Für ihren kleinen Sohn guckt sie schon jetzt nach Betreuungsplätzen.

26.09.2025, Berlin: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sitzt in der 29. Plenarsitzung der 21. Legislaturperiode im Deutschen Bundestag. In der sogenannten Haushaltswoche des Bundestages geht das Parlament die Einzeletats der Ministerien für den Bundeshaushalt 2026 durch. Nach Beratungen der Etats der Bundesministerien für Arbeit und Soziales, sowie Wirtschaft und Energie folgt heute eine Schlussrunde zum Haushaltsgesetz 2026.

Seit Monaten gibt es Uneinigkeit ums Thema Bürgergeld. Jobcenter-Mitarbeiter sehen Reformbedarf, doch es komme auf den Einzelfall an. Generelle Sanktionen seien kaum zielführend.

26.09.2025 | 2:53 min

Die Fallmanagerin aus dem Team "Perspektiven für Familien" sagt:

Das größte Hemmnis sind bei uns die Kinder und die Betreuung.

Fallmanagerin, Perspektiven für Familien

Die Vermittler sprechen von Hemmnissen und meinen damit die Gründe, weshalb jemand nicht arbeitet. Ein paar Stockwerke höher betreut eine andere Fallmanagerin Geflüchtete. In ihrem Bereich ist die Sprache das größte Hemmnis, um ihre Klienten und Klientinnen in Arbeit zu bringen. "Die Arbeitgeber erwarten gute Deutschkenntnisse, und das kann ich auch verstehen", sagt sie.

Schwierige Fälle sind die, die unzureichende Deutschkenntnisse haben, keinen Bildungsabschluss und keine Berufserfahrung.

Fallmanagerin für Geflüchtete

Diese Menschen wieder in die Arbeitswelt zu integrieren, könne dauern, meint die Fallmanagerin.

Zusammenarbeit statt Sanktionen

Von den rund 10.000 Arbeitslosen in Wiesbaden, die Bürgergeld beziehen, ist jeder Vierte ein Geflüchteter. Mit Sanktionen komme man aber in all diesen Fällen meist nicht weiter. Wenn jemand mal einen Termin vergessen habe, müsse das nicht gleich eine Kürzung des Bürgergeldes zur Folge haben, sagen sie und setzen auf Zusammenarbeit.

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Wichtig sei es, die Menschen langfristig in Arbeit zu vermitteln. Die allermeisten wollen arbeiten, zeigt ihre Erfahrung. Daher seien die Verschärfungen von Sanktionen, wie sie aktuell von der Regierung in Berlin geplant seien, so auch nicht zielführend, sagt Markus Bilgram, der Leiter der Abteilung für kommunale Arbeitsvermittlung im Jobcenter Wiesbaden.

"Es gibt fast keine Totalverweigerer", meint er und erklärt, was dieser Begriff in der politischen Debatte besagt: "Wenn jemand einen Arbeitsvertrag bei einem Arbeitgeber vorgelegt bekommt und den nicht unterschreibt, dann wird er Totalverweigerer genannt."

Das komme allerdings nicht vor, denn wer erstmal so weit gekommen sei, der unterschreibe in aller Regel auch den Vertrag. Den Wenigen, die das nicht tun, könnten künftig die Leistungen voll gestrichen werden.

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Für die Jobcenter keine Hilfe, stimmt der Geschäftsführer des Jobcenters Aachen, Stefan Graaf, zu. Er ist gleichzeitig Sprecher des Bundesnetzwerks der Jobcenter und ergänzt:

Da gibt es das ein oder andere aus der Praxis, wo wir uns auch wünschen, dass nachgeschärft wird, allerdings ist damit in keiner Weise die avisierte Einsparsumme von fünf Milliarden erzielbar.

Stefan Graaf, Sprecher Bundesnetzwerk Jobcenter

Stefan Graaf und Markus Bilgram sind sich einig: Der Gesetzgeber sollte diejenigen stärker in den Blick nehmen, die erst gar nicht zu Beratungsgesprächen erscheinen. Das seien in ihren Augen die "Totalverweigerer".

Inken Klinge berichtet aus dem ZDF-Studio in Hessen.

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