Frühkindliche Bildung:Sprachförderung gegen sinkende Leistungen von Grundschülern?
von Katja Belousova und Sue Odenthal
Sprache, Motorik, Sozialverhalten: Die Basiskompetenzen von Grundschülern sinken deutlich. Woran das liegt und wie bundeseinheitliche Sprachtests und Förderung gegensteuern sollen.
Grundschullehrer beobachten einen deutlichen Abfall bei den Basiskompetenzen von Schülern. So sei das etwa Halten eines Stiftes oder Schneiden mit einer Schere bei manchen Kindern ein Problem.
14.10.2025 | 8:53 minWas ist unter dem bunten Tuch wohl alles versteckt? Diese Frage stellen sich Kita-Kinder in einem Familienzentrum im Nürnberger Süden an einem Donnerstag im Spätsommer. Was zaubert ihre Erzieherin als Nächstes darunter hervor? "Ein Kamm", sagt eines der Kinder, nachdem der Gegenstand auftaucht. Daraufhin wiederholen auch die anderen Kinder das Wort. Spielerisch lernen die Kinder in dieser Runde Deutsch.
Eine verbindliche Sprachförderung gibt es in Bayern erst seit März dieses Jahres. Der Vorkurs, der ein Jahr vor der Einschulung beginnt, ist verpflichtend. Eltern, deren Kinder nicht daran teilnehmen, droht ein Bußgeld. Zuvor wurden im Freistaat zwar schon Kita-Kinder getestet. Kinder, die keine Kita besuchten, blieben allerdings außen vor.
Bund will einheitliche Sprach-Diagnostik und -Förderung
Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) möchte, dass bundesweit mehr Länder diesem Vorbild folgen. Denn bisher sind die Regelungen uneinheitlich.
ZDF frontal hat alle 16 Bundesländer angefragt, ob es für Kinder mit Förderbedarf auch verpflichtende vorschulische Maßnahmen gibt:
- Die sieben Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen und Niedersachsen antworten mit Ja.
- Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz fördern bislang laut eigener Aussage nur Kinder, die keine Kita besuchen.
- Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fördern bisher nicht verpflichtend.
- Aus Berlin und Schleswig-Holstein kam keine Antwort.
Geht es nach den Plänen der Bundesregierung, müssen künftig alle Kinder im Alter von vier Jahren an einer "Diagnostik des Sprach- und Entwicklungsstands" teilnehmen. "Bei ermitteltem Förderbedarf", heißt es im Koalitionsvertrag, "erwarten wir von den Ländern geeignete, verpflichtende Fördermaßnahmen und -konzepte."
Damit wollen Union und SPD auf eine Entwicklung reagieren, die Lehrkräfte an deutschen Grundschulen beobachten: Immer mehr Grundschüler kommen nicht mehr mit den Fertigkeiten in die erste Klasse, die sie für erfolgreiches Lernen bräuchten.
CDU-Bildungsministerin Prien hat sich bei "Markus Lanz" für einen verpflichtenden Sprachunterricht für Kinder mit Förderbedarf ausgesprochen. Eine Kita-Pflicht lehnt sie aber ab.
27.06.2025 | 0:59 minKompetenzverluste bei Kindern in der Grundschule
"Dabei geht es nicht nur um Sprache, sondern es geht um ganz allgemeine Grundkompetenzen", erklärt Susanne Posselt im Gespräch mit ZDF frontal. Sie ist Konrektorin der Nordstadtschule in Pforzheim und Gewerkschafterin beim GEW in Baden-Württemberg.
Posselt beobachtet massive Kompetenzverluste - vor allem in den vergangenen zehn Jahren. Kinder hätten Probleme mit dem Halten eines Stifts, manche könnten nicht mehr mit einer Schere schneiden, andere sich nur schwer in eine Gruppe einfügen - auch die Frustrationstoleranz habe abgenommen.
Und dieser Negativtrend reicht noch weiter. So bestätigte etwa die jüngste Iglu-Studie: In der vierten Klasse erreicht ein Viertel der Kinder nicht mehr den internationalen Mindeststandard beim Lesen - eine deutliche Zunahme im Vergleich zu früheren Erhebungen.
400 Menschen sind in Deutschland im Jahr 2024 ertrunken. Viele, weil sie kaum schwimmen konnten. Vor allem Kinder sind gefährdet, 20 Prozent verlassen die Grundschule als Nichtschwimmer.
25.07.2025 | 2:19 minVeränderung in der Schülerschaft
Untersucht hat das die Bildungsforscherin Nele McElvany. Die Entwicklung lasse sich unter anderem mit den veränderten, sozialen Hintergründen der Kinder und einer immer diverseren Zusammensetzung der Schülerschaft erklären, so die Bildungsforscherin und Psychologin.
"Wir haben auch weniger Eltern, die selber zu Hause lesen, die sozusagen als Lesevorbilder dienen können", sagt sie. Außerdem sei Corona ein wesentlicher Faktor gewesen. Und sie macht noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam.
Wir haben mehr Kinder, die zu Hause nicht die deutsche Sprache sprechen, die also Sprachförderung bräuchten.
Nele McElvany, Bildungsforscherin TU Dortmund
"Wir sehen anhand der abnehmenden Kompetenzen ja ganz klar, dass es uns als Bildungssystem bisher nicht ausreichend gelungen ist, mit dieser Veränderung in der Schülerschaft umzugehen", kritisiert sie.
Lesen inspiriert – es fördert Fantasie, Sprache und Mitgefühl. Zum Welttag des Buches werden Schülerinnen und Schüler bei einer Leseaktion in einer Buchhandlung begleitet.
23.04.2025 | 4:04 minHamburg mit konsequenter Schulpolitik und Testungen
Dabei zeigt ein Bundesland im Kleinen, wie es in der Fläche vielleicht besser klappen könnte. Seit 20 Jahren setzt Hamburg auf eine einheitliche Schulpolitik, mit verbindlichem Test- und Fördersystem: Alle Kinder gehen hier seit 2005 mit viereinhalb Jahren zum Sprach- und Entwicklungsscreening und - wenn förderbedürftig - in einen Kurs in der Vorschule oder Kita.
Und Hamburg setzt nicht allein auf den Faktor Sprache: Die reiche Hansestadt versucht, den Nachteil ärmerer Wohnviertel auszugleichen. Schulen werden anders und besser gefördert. Beispielsweise in Jenfeld, einem Stadtteil, wo soziale Härten, Armut, aber auch Herausforderungen der Zuwanderung und Folgen von Flucht sichtbarer sind als in anderen Teilen der Stadt.
Kein Geld für Hobbys, Urlaub oder Nachhilfe. Die Befreiung aus der Armutsspirale ist schwer.
27.02.2024 | 28:48 minBenjamin Miller, Schulleiter der Grundschule an der Potsdamer Straße, erklärt ZDF frontal, wie das in der Praxis funktioniert: "Wir haben etwas kleinere Klassenstärken und etwas mehr Personal, um uns besser auf die Kinder einstellen zu können."
Und wir haben deutlich mehr Ressourcen für Sprachförderung und Doppelbesetzung und Erzieher und Sonderpädagogen.
Benjamin Miller, Schulleiter in Hamburg-Jenfeld
Eine Strategie mit Erfolg: 2011 lagen Hamburgs Viertklässler beim Lesen und Zuhören im Bundesvergleich noch auf den hinteren Plätzen. Heute sind sie mit Platz 3 und 5 weit vorn dabei.
Kritik an Screenings und Doppeltestungen in Bayern
Hamburgs langer Atem in der Bildungspolitik scheint sich ausgezahlt zu haben. Im Familienzentrum im Süden Nürnbergs stehen sie noch am Anfang der Entwicklung. Leiterin Alice Hinney steht der neu eingeführten Testpflicht bislang skeptisch gegenüber. Denn in der Praxis ruckelt es in Bayern bei der Umsetzung der Sprachscreenings noch.
"Ich verstehe schon den Gedanken dahinter, dass vielleicht auch Kinder erfasst werden, die jetzt noch in keiner Kita sind", sagt Alice Hinney. Aber verbindliche Testungen habe es schon jahrelang gegeben, erklärt sie. Nun würden Kinder teilweise sogar doppelt getestet - einmal wie bisher in der Kita und dann noch zusätzlich in der Schule, wie es die neue bayerische Regelung vorsieht.
In vielen Bundesländern arbeiten in Kitas zunehmend Menschen ohne passende Ausbildung. Die Fachkräftequote sank besonders in Bremen, dem Saarland und Mecklenburg-Vorpommern.
30.09.2025 | 0:24 minAm Ende bleibt aber eine Frage: Ist mehr Deutsch-Förderung im frühkindlichen Alter die Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen, die Pädagogen bei Kindern beobachten? "Das kommt wahrscheinlich auch auf die Stadtteile an", sagt Alice Hinney.
"Bei uns ist die Sprache schon das größte Thema, weil wir hier Kinder mit 30 Muttersprachen haben", erklärt sie. Aber auch das Sozialverhalten spiele bei den Fördermaßnahmen eine entscheidende Rolle.
Das ist ganz wichtig, dass es eben nicht nur Sprache ist. Es muss eine gute Mischung aus allem sein.
Alice Hinney, Kita-Leiterin in Nürnberg
Prien: "Mehrere Probleme, die wir gleichzeitig lösen müssen"
"Wir haben mehrere Probleme, die wir gleichzeitig lösen müssen", erklärt auch Bundesbildungsministerin Prien im Interview mit ZDF frontal.
Es ist Aufgabe der Länder, all diese Problembereiche, es ist leider so, gleichzeitig zu bearbeiten.
Karin Prien (CDU), Bundesbildungsministerin
Die Aufgaben sind gewaltig - und der Bund? Die Ministerin bleibt dabei: "Der Bund hat sich vorgenommen, insbesondere im Bereich der Sprachförderung zu unterstützen", sagt Prien.
Bei der Frage sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten bleiben viele Schulen und Kitas also weiter auf sich selbst gestellt.
Immer mehr Kinder brauchen Sprachförderung. Ein Grund für die Sprachprobleme: zu viel Medienkonsum. Kinderärzte raten: Bildschirmfrei bis drei.
14.11.2023 | 1:06 minMehr zu Kindern und Bildung
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