Gewalt an Schulen: Messergewalt unter Jugendlichen nimmt zu
Angriffe nehmen zu:Messergewalt unter Jugendlichen: Was Schulen tun
von Dominik Müller-Russell
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Immer häufiger setzen Kinder und Jugendliche bei Auseinandersetzungen ein Messer ein. Polizei, aber auch Schulen machen sich Gedanken, wie die Entwicklung sich stoppen lässt.
Messerattacken unter Kindern und Jugendlichen sind ein wachsendes Problem. In Bielefeld geht die Polizei an die Schule, um aufzuklären. Was steckt hinter den steigenden Zahlen?04.07.2025 | 3:06 min
Ist die Schule ein sicherer Ort? Die sechste Klasse der Gesamtschule Rosenhöhe in Bielefeld an diesem Juni-Morgen auf jeden Fall. Zwei Polizisten stehen im Klassenzimmer, um den Kindern zu erklären, dass es keine gute Idee ist, ein Messer dabei zu haben - ob in der Schule, in der Stadt oder wo auch immer. Und weil auch Kinder in der sechsten Klasse der Polizei nicht unbedingt alles glauben, haben die Beamten ein Video mitgebracht.
Darin kommt ein Betroffener zu Wort, der einen Messerangriff knapp überlebt hat. Außerdem ein Täter, der nun hinter Gittern sitzt, auch ein Priester, ein Imam, ein Influencer. Die Botschaft aller: Nehmt kein Messer mit, egal aus welchen Gründen. Auch nicht zur Selbstverteidigung. Denn was man dabei hat, setzt man ein - und viel zu schnell hat man sein Gegenüber mit einem Messer tödlich verletzt. Nur ein bisschen zustechen geht nicht.
Nachdem ein 12-Jähriger an einer Grundschule in Berlin-Spandau mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt wurde, wurde jetzt der tatverdächtige 13-Jährige gefasst.23.05.2025 | 1:50 min
Zunahme von Messergewalt unter Kindern und Jugendlichen
Die Mühe, die die Bielefelder Polizei sich macht, hat einen Grund. "Schon in der Grundschule kommt es vor, dass Eltern ihrem Kind ein Messer mitgeben, weil sie glauben, dass das Kind dann sicher ist", berichtet Hauptkommissarin Gabi Ballmann. "Das erschreckt mich."
Und auch die Polizeistatistiken der Länder sind eindeutig: Messergewalt unter Kindern und Jugendlichen hat zugenommen. In Nordrhein-Westfalen gab es 2023 über 3.500 Messerangriffe im öffentlichen Raum, ein Plus von 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Täter sind in aller Regel männlich (93 Prozent) und jung: Knapp die Hälfte aller ermittelten Verdächtigen war unter 21 - davon acht Prozent Kinder bis 13 Jahre.
Ein Viertel der Verdächtigen war jugendlich (zwischen 14 und 17). Von den Tatverdächtigen sind 45 Prozent Ausländer, 55 Prozent sind deutsche Staatsbürger. Bei der Vorstellung dieses "Messer-Lagebilds" nannte der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, auch "Männlichkeits-Gehabe" als einen wichtigen Grund.
Schüler werden auf dem Pausenhof angegriffen, das ist Alltag an der IGS Büssingweg in Hannover. Sowohl Lehrer, Schüler als auch Eltern sind mit der Situation überfordert. Wo liegt die Ursache für die vermehrte Gewalt?19.03.2024 | 1:51 min
Arzt: Bedrohungsgefühl ist gestiegen
Professor Marc Allroggen ist leitender Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Ulm. Zu seinen Patienten gehören unter anderem aggressive Jugendliche mit schwieriger Vorgeschichte. Er beobachtet:
In bestimmten jugendlichen Subkulturen gilt ein Messer als Statussymbol, als Ausdruck von Männlichkeit und Stärke. Ein Messer zu tragen, ist Teil dieser Subkultur.
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Prof. Marc Allroggen, Uniklinik Ulm
Zum anderen behandelt er auch verunsicherte Jugendliche, die Gewalt erfahren haben, und die nun ein Messer mit sich tragen, weil ihnen das ein Gefühl von Sicherheit gebe. "Man muss an die Ursachen ran", sagt Marc Allroggen - also an die Lebenssituation von schlecht integrierten Jugendlichen oder auch an die Bewältigung von belastenden Lebensereignissen. Und auf der anderen Seite an die Gründe, warum das Bedrohungsgefühl in der Gesellschaft gestiegen ist.
In Harsefeld versetzt eine Jugendbande Schüler in Angst: Nach den Gewaltvideos von Schlägereien, die im Netz kursieren, warnen Schulen und Behörden nun Eltern und Schüler - die Polizei ermittelt.08.07.2025 | 2:16 min
Neues Sicherheitskonzept an Schulen in Essen
Nicht nur in Bielefeld macht man sich Gedanken, wie sich die Entwicklung stoppen lässt. In Essen haben sich Schülerinnen und Schüler, auch Lehrerinnen und Lehrer zuletzt unwohl gefühlt, wegen zunehmender Gewalt und Aggressionen, bei denen auch Messer immer wieder eine Rolle gespielt haben. Muchtar Al Ghusain, der Essener Bildungsdezernent, sagt:
Wir wollen, dass das subjektive Sicherheitsgefühl wieder wächst, und dass alle sich wohl und sicher fühlen an unseren Schulen.
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Muchtar Al Ghusain, Essener Bildungsdezernent
Die Stadt Essen hat deshalb Anfang Juli 2025 für alle Schulen ein neues Sicherheitskonzept beschlossen. Es sieht zum einen bauliche Maßnahmen vor wie Schließzylinder, die verhindern, dass fremde Personen Schulgebäude betreten können, und neue Alarmsysteme. Auch zusätzliches Sicherheitspersonal kann eingesetzt werden. Außerdem sollen Kinder und Jugendliche Toleranz lernen und Frustrationen aushalten können.
Nach der Corona-Pandemie stieg die Kinder- und Jugendkriminalität wieder an. Trotz zwei Jahrzehnten rückläufiger Trends sorgen aktuelle Vorfälle für Besorgnis. 08.02.2024 | 2:02 min
Schulleiter: Demokratisches Verhalten schulen
Lukas Rüenauver leitet die Gustav-Heinemann-Gesamtschule, er hat das neue Konzept mit ausgearbeitet. "Wir überlegen: wie kann man demokratisches Verhalten schulen. Dass man eben auch die Meinung des Anderen anhören muss. Dass man argumentieren muss. Anstatt sich direkt aufs Maul zu hauen."
Oder zum Messer zu greifen. Viel Arbeit machen sich Pädagogen, Polizei und auch die Politik mittlerweile, dass Schulen sichere Orte sind - und Kinder und Jugendliche nicht auf die Idee kommen, sich bewaffnen zu müssen.
Dominik Müller-Russell ist Reporter im ZDF-Landesstudio in Nordrhein-Westfalen.
Insbesondere unter Kindern und Jugendlichen ist die Zahl der Gewaltdelikte laut aktueller Kriminalstatistik erneut gestiegen. Experten sehen mehrere Gründe für die Entwicklung.