Mindestlohn: Ausnahme für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft?
Landwirt braucht Saisonarbeiter:Mindestlohn-Ausnahme für die Landwirtschaft?
von Peter Böhmer
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Sommerzeit ist Erntezeit und Hauptgeschäftszeit. Ohne ausländische Saisonarbeiter könnte Landwirt Jörg Umberg dichtmachen. Auch sie verdienen den Mindestlohn: 12,82 Euro.
Agrarminister Rainer prüft Ausnahmen vom Mindestlohn für Saisonarbeiter. Der Bauernverband fordert 80 Prozent des Mindestlohns. SPD und Gewerkschaften lehnen das als unsozial klar ab.30.06.2025 | 1:47 min
"Die Früchte sind der Chef", sagt Jörg Umberg. Soll heißen: Wenn Himbeeren und Erdbeeren reif sind, müssen sie geerntet werden, sonst verfaulen sie schnell. Seine Leute, derzeit 120, müssen flexibel arbeiten. Dann auch mal bis zu zehn Stunden pro Tag - mehr erlaubt das Arbeitsschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen nicht. Dafür bekommen sie den Mindestlohn von derzeit 12,82 Euro.
Zum Beispiel Katya, eine Sekretärin aus der Ukraine. Oder Anna aus Moldau, dort hat sie in Supermärkten gearbeitet. Oder Nadiia, eine Lehrerin aus der Ukraine: dort ohne Job, weil viele Kinder wegen des Krieges im Ausland sind. "In Deutschland kann man das Drei- bis Vierfache verdienen", sagt sie.
Umberg aus Kirchhellen bei Bottrop zahlt den Mindestlohn ohne Lamentieren. Er ist froh, wenn er gute Leute aus der Ukraine oder Rumänien hat - Deutsche wollen den Job kaum machen.
Bauernverband fordert Mindestlohn-Ausnahme
Knapp 2.700 Euro brutto verdient ein Erntehelfer, nach Abzug einer pauschalierten Lohnsteuer und der Miete bleiben etwa 2.100 Euro netto. Ab nächstem Jahr werden nun 13,90 Euro die Stunde gezahlt, ein Jahr später 14,60 Euro.
Der Verband hat beim Bauerntag Lockerungen etwa bei Tierschutz- und Umweltvorgaben gefordert. Agrarminister Rainer hat bereits Ausnahmen vom Mindestlohn in den Raum gestellt.26.06.2025 | 1:20 min
Für Bauern zu viel: "Wir brauchen eine Ausnahme für saisonale Arbeiten in der Landwirtschaft, weil wir sonst innerhalb Europas schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig sind", sagt Joachim Rukwied, der Chef des Deutschen Bauernverbands.
Die Kulturen und der Anbau würden in andere europäische Staaten abwandern.
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Joachim Rukwied, Chef des Deutschen Bauernverbands
Landwirt: Wenn Löhne steigen, steigen auch die Preise
Denn wenn Löhne steigen, müssen auch Preise steigen. "Wir wissen nicht, ob heimische Ware dann noch in dem Umfang gekauft wird", sagt Landwirt Umberg. Obstanbau sei anders als Schweinezucht oder Getreideanbau nun mal lohnintensiv:
40 bis 60 Prozent unserer Kosten entstehen durch die Löhne.
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Jörg Umberg, Landwirt
Befürchtung der Bauern: Wenn ihre Produkte teurer werden, wird billigere Importware - jetzt schon in vielen Supermärkten zu sehen - auf die Märkte drängen. Denn anderswo in Europa ist der Mindestlohn deutlich niedriger. Deutschland liegt nach Luxemburg, den Niederlanden und Irland auf Rang vier.
Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich sollen mehr Gehalt bekommen. Bis 2027 soll der Mindestlohn auf 14,60 Euro steigen. Rund sechs Millionen Menschen würden davon profitieren. 27.06.2025 | 2:44 min
Doch in Frankreich, sagt der Bauernverband, müssten nur 11,88 Euro gezahlt werden, in Spanien (Hauptkonkurrent etwa bei Gemüse) 8,37 Euro und in Polen (Hauptkonkurrent bei Äpfeln) 7,08 Euro.
Bauernverband will Lohnniveau einfrieren
Der Bauernverband will das jetzige Lohnniveau einfrieren, eine Sonderregelung für Saisonkräfte. Und der Mindestlohn bei Saisonarbeitskräften soll auf 80 Prozent begrenzt werden - wenn er auf über 16,03 Euro steigt. Denn 80 Prozent von 16,03 Euro sind genau 12,82 Euro - der jetzige Mindestlohn.
Heißt: Erst wenn der Lohn auf deutlich über 16,03 Euro steigt, würde auch die Saisonarbeitskraft profitieren. Laut Bauernverband würde "diese Regelung den landwirtschaftlichen Betrieben etwas Luft verschaffen." Sonst müssten viele Betriebe die Produktion wohl einstellen.
Die Gewerkschaft hält das für übertrieben: "Diese Diskussion kennen wir ja schon, seitdem der Mindestlohn eingeführt wurde", sagt Dirk Johne von der IG Bau Agrar Umwelt. "Da haben sie gesagt, es wird überhaupt keine Landwirtschaft mehr geben. Zehn Jahre danach hat sich das schon etwas beruhigt." Und was die Beschränkung auf 80 Prozent angeht: "Wir sind nicht dafür, dass es eine Sonderregelung für Saisonarbeitskräfte gibt. Es gibt keinen Grund dafür."
Das sind ja keine Arbeitnehmer zweiter Klasse. Die kommen ja auch nicht, um den Bauern zu helfen, die wollen ja Geld damit verdienen.
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Dirk Johne, IG Bau Agrar Umwelt
Die Leute bei Umberg haben von der Erhöhung nichts mitbekommen: "Nein, wusste ich nicht", sagt Nadiia, die Lehrerin. "Aber ich find das wirklich gut." Und Katya, die Sekretärin: "Das Gesetz finde ich gut, ich will ja arbeiten und gern auch mehr verdienen."
Es war der erste Bauerntag für Bundeslandwirtschaftsminister Rainer. Für die Landwirte hatte er Geschenke im Gepäck: Etwa die Abschaffung der Agrardiesel-Steuer und der Dokumentationspflichten etwa für Düngemittel. 26.06.2025 | 1:46 min
Landwirt musste Anbauflächen bereits reduzieren
Ihr Chef sieht das anders: "Es läuft etwas aus dem Ruder, wenn Personen, deren Lebensmittelpunkt und ganzjährige Kosten nicht in Deutschland sind, für ein bis zwei Monate Arbeit hier als ungelernte Kraft das Drei- bis Vierfache mehr verdienen als im Heimatland in ihrem erlernten Beruf als Fachkraft."
Wir haben den Anbau in den letzten Jahren bereits deutlich reduziert und gewisse Sorten rausgeschmissen.
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Jörg Umberg, Landwirt
Bei Erdbeeren habe Umberg die Anbaufläche von 40 auf 20 Hektar reduziert, auch bei Äpfeln habe er um die Hälfte gekürzt. Er setzt auf Direktvermarktung: Der Kunde pflückt selbst.
"Pflücken statt bücken" steht an seinen Feldern. Erdbeeren wachsen nicht mehr am Boden, sondern in endlos langen Reihen in Rinnen in Körperhöhe. Die Kundschaft pflückt im Vorbeigehen. Auch Umbergs Arbeitskräfte werden in Zukunft zwar mehr verdienen - aber er wird wohl weniger von ihnen brauchen.
Peter Böhmer ist Redakteur im ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.