Evangelische Kirche: Neuausrichtung und Abschied vom Pazifismus

Friedensdenkschrift der EKD:Evangelische Kirche: Abschied vom Pazifismus

von Kira Stütz

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Die Evangelische Kirche in Deutschland positioniert sich neu in der Frage nach Krieg und Frieden. Der Inhalt der Friedensdenkschrift ist umstritten.

Friedensschrift der Evangelische Kirche

Mit einer Denkschrift appelliert die Evangelische Kirche an den "gerechten Frieden". Man müsse sich im Klaren sein, "was über Verteidigungsfähigkeit hinausgeht", so die Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs.

10.11.2025 | 6:52 min

Es ist ein Paukenschlag, der an diesem Montag von der Evangelischen Kirche ausgeht: Im Rahmen der EKD-Synode veröffentlicht die Kirche ihre Friedensdenkschrift und bricht damit mit der Tradition der Friedensbewegung.

Die Friedensdenkschrift ist die dritte ihrer Art. Bereits 1981 und 2007 veröffentlichte die EKD ein vergleichbares Papier. Die nun vorliegende Denkschrift knüpft an ihnen an, setzt aber andere Schwerpunkte.

... wird vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem obersten Leitungsgremium der EKD, veröffentlicht. Sie ist als Diskursgrundlage gedacht und in einem Prozess entstanden, der 2022 von der Synode der EKD angestoßen wurde. Sie will eine ethische Auseinandersetzung anstoßen, sich im gesellschaftlichen Diskurs als protestantische Stimme positionieren, zur Gewissensbildung beitragen und appelliert an die ethische Eigenverantwortung des Einzelnen im Horizont eines protestantisch-christlichen Werteverständnisses.

Die aktuelle Friedensdenkschrift umfasst knapp 150 Seiten und trägt den Titel "Welt in Unordnung - Gerechter Friede im Blick. Evangelische Friedensethik angesichts neuer Herausforderungen".


Evangelische Kirche: Frieden schaffen nun mit Waffen?

Die Evangelische Kirche steht in einer langen Tradition der Friedensbewegung, deren Motto "Frieden schaffen ohne Waffen" prägend war. Noch 2019 hielt sie an ihrer pazifistischen Grundhaltung fest und forderte etwa eine Umstrukturierung der Bundeswehr und Senkung der militärischen Ausgaben. Doch diese Haltung wurde durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine erschüttert.

Ich weiß, dass der Diskurs viele aufwühlt. Mich auch. Viele von uns haben sich lange Jahre in der Friedensbewegung engagiert. Ich auch.

Kirsten Fehrs, Ratsvorsitzende der EKD

Die Konsequenz: Der Rat der EKD rang um eine neue Position, die der veränderten Weltlage Rechnung trägt. Das Ergebnis ist am Montag veröffentlicht worden.

"Religion - Konflikt oder Frieden?": Eine Collage von vier Menschen unterschiedlicher Konfession. Auf der einen Seite schaut eine asiatische Frau in die Kamera. Sie hat kurze Haare und trägt ein den Kollar eines Priesters. Daneben blickt ein älter Herrn in der traditionellen Kleidung eines Rabbiners nach unten. Neben ihm steht ein Priester in einer Soutane am Altar. Auf der anderen Seite schaut ein Imam mit Kippa und Brille in die Kamera. Sein Gesicht ist nur halb zu sehen.

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EKD: Schutz vor Gewalt muss im Zentrum stehen

In Anknüpfung an die Denkschrift von 2007 übernimmt auch das aktuelle Konzept die vier Dimensionen der evangelischen Friedensethik: Schutz vor Gewalt, Förderung von Freiheit, Abbau von Ungleichheiten sowie friedensfördernder Umgang mit Pluralität.

Gleichzeitig betont die Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs, dass der Schutz vor Gewalt im Vordergrund stehen müsse. Um dies zu gewährleisten, spricht sich die Friedensdenkschrift für die Möglichkeit einer "rechtserhaltenden Gewalt" aus. Damit grenzt sich die Evangelische Kirche vom Pazifismus ab.

Christlicher Pazifismus ist als allgemeine politische Theorie ethisch nicht zu begründen.

Aus der Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche

Als individuelle Gewissensentscheidung sei Pazifismus weiterhin anzuerkennen.

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Dilemma in Bezug auf Atomwaffen

Bemerkenswert ist ebenfalls die neue Positionierung in Bezug auf Atomwaffen. Lange galt die Ächtung von Nuklearwaffen in der Evangelischen Kirche als Konsens. Die aktuelle Friedensdenkschrift öffnet nun aber der Position die Tür, dass der Besitz von Atomwaffen politisch notwendig sei.

Wenngleich sie weiterhin betont, dass sich an der ethischen Position der Ablehnung nichts geändert habe, begründet die Kirche diese Positionierung mit der gegenwärtigen politischen Lage. Diese Begründung ist innerhalb der Evangelischen Kirche sehr umstritten.

Lassen sich Wehrpflicht und Freiheit verbinden?

In Bezug auf die Diskussion um Wehrpflicht betont der Rat der EKD in der aktuellen Denkschrift die Bedeutung der Freiwilligkeit. Auch die Präses der EKD, Anna-Nicole Heinrich, unterstreicht: "Das Gut der Freiwilligkeit hat höchste Priorität." Gleichzeitig macht Kirsten Fehrs deutlich:

Eine Dienstpflicht steht nicht im Widerspruch zum Verständnis christlicher Freiheit.

Kirsten Fehrs, Ratsvorsitzende der EKD

Diese Dienstpflicht müsse aber sowohl zivilgesellschaftlich als auch militärisch ausgefüllt werden und eine Wahlfreiheit der Tätigkeitsbereiche beinhalten.

Zudem plädiert der Rat der EKD durch die Friedensdenkschrift für eine allgemeine Wehrpflicht im Sinne der Gleichberechtigung, sodass er alle Geschlechter in der Pflicht sieht.

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Kriegsdienstverweigerung als Chance der Kirche?

Sollte es zu einer Wehrpflicht kommen, so sieht sich die Evangelische Kirche in der Rolle, in Bezug auf Kriegsdienstverweigerung zu beraten und zu unterstützen. In einer Gesellschaft, in der vermehrt Menschen aus der Kirche austreten, scheint die Evangelische Kirche eine Möglichkeit zu entdecken, an neuer Relevanz zu gewinnen. Doch die Positionierung der EKD ist auch kirchenintern umstritten.

Die EKD-Synode geht noch bis Mittwoch. Es werden intensive Debatten erwartet.

Kira Stütz ist stellvertretende Redaktionsleiterin der ZDF-Redaktion "Religion und Leben".

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