Schwarz-Rot: Bürokratieabbau - auch in den Ministerien?

Schwarz-rote Regierung:Bürokratieabbau - auch in den Ministerien?

von Frederik Schulz-Greve
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Schwarz-Rot will weniger Bürokratie - auch an der Spitze des Staats. Zuletzt wuchsen die Ministerien. Doch wie aufgebläht ist Deutschlands Verwaltung im internationalen Vergleich?

16.05.2025, Berlin: Karsten Wildberger (CDU), Bundesminister für Digitalisierung und Staatsmodernisierung, spricht im Plenarsaal im Bundestag zu den Abgeordneten.
Karsten Wildberger (CDU) im Plenarsaal des Bundestags.
Quelle: dpa

Es war eine Premiere in mehrfacher Hinsicht, als Karsten Wildberger (CDU), Deutschlands erster Minister für Digitales und Staatsmodernisierung, am Freitag seine erste Rede im Bundestag hielt. Auch wenn sein Amt neu sein mag - seine Forderungen sind es nicht: Der Staat solle im besten Sinne Dienstleister für Bürger und Unternehmen sein, forderte der Minister. "Das heißt: weniger Gesetze, Gesetze, die klarer sind, die einfacher umzusetzen sind. Weniger Bürokratie. Prozesse, die einfach sind, die man versteht."

Und eine Bürokratie, die auf die gestalterische Kraft von Menschen und Unternehmen vertraut.

Karsten Wildberger (CDU), Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung

Wildbergers Stoßrichtung ist klar: Schwarz-Rot will Bürokratie abbauen - für jede neue Vorschrift sollen zwei alte gestrichen werden. Bereits im Wahlkampf war dies eine der Kernforderungen der Union. Der Bürokratieabbau ist ein politischer Dauerbrenner.
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Steuerzahler-Bund: Brauchen kleinere Regierung

Handlungsbedarf sieht Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, dabei auch ganz oben: "Wir brauchen eine kleinere Bundesregierung", fordert er im Gespräch mit ZDF frontal. Zehn Ministerien würden völlig ausreichen, meint er. Zudem brauche es weniger Staatssekretäre und Parlamentarische Staatssekretäre.

Unsere Strukturen müssen effizienter und effektiver werden und am Ende auch digitaler.

Reiner Holznagel, Präsident Bund der Steuerzahler

Zunächst ist das Gegenteil passiert: Mit Wildbergers Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung ist ein zusätzlicher Posten dazugekommen. Außerdem stellen Union und SPD einen Rekord an Staatssekretären und Staatsministern auf. 38 Staatssekretäre sowie Staatsminister sind Teil der Regierung. Der Staat wächst, damit er in Zukunft verschlankt werden soll. Künftig plant Wildberger etwa:
  • einen Stellenabbau von acht Prozent in der Bundesverwaltung und
  • den Wegfall von 25 Posten für Bundesbeauftragte, Bevollmächtigte und Koordinatoren.
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Mehr Planstellen bei Bundesbehörden seit 2018

Denn: In den vergangenen Jahren ging der Trend in den Ministerien zu mehr Posten. Ökonomin und Verwaltungsexpertin Désirée Christofzik von der Verwaltungsuniversität Speyer hat die Planstellen der Bundesbehörden von 2024 mit 2018 verglichen. Das Ergebnis: Seit 2018 stieg die Mitarbeiterzahl in den Ministerien um rund 15 Prozent, im Gesundheitsministerium sogar um 43 Prozent, teils wegen neuer Aufgaben wie der Impfstoffzulassung.
Das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium verzeichnete einen Zuwachs von 34 Prozent. Gründe sind zum Beispiel der Braunkohleausstieg und das Klimaschutzprogramm 2030.

Auch für die Umsetzung von Gesetzen, etwa das "Gute-Kita-Gesetz", schuf man mehr Stellen.

Désirée Christofzik, Deutsche Verwaltungsuniversität Speyer

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Wie schneidet Deutschland international ab?

Von den geplanten Stellen sind allerdings lange nicht alle besetzt. 2020 lag der Anteil unbesetzter Stellen bei elf Prozent. "Wie hoch der Anteil unbesetzter Stellen aktuell ist, lässt sich leider nicht so einfach ermitteln", erklärt Désirée Christofzik.
Dabei erscheint die deutsche Verwaltung in ihrer Gesamtheit im internationalen Vergleich gar nicht so aufgeblasen: 2021 arbeiteten in Deutschland knapp 11 Prozent der Erwerbstätigen im öffentlichen Dienst, während der OECD-Durchschnitt bei knapp 19 Prozent lag. In Dänemark sind es 28 Prozent, in Norwegen 31 Prozent.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Abgrenzung in den Statistiken zwischen staatlichem und privatem Sektor voneinander abweicht. Sarah Necker vom ifo-Institut in München erklärt: "Unterschiede in Definitionen, Datenquellen und institutionellen Strukturen führen zu nicht direkt vergleichbaren Ergebnissen."
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Nordische Länder als Vorbild
1,5 Millionen Beschäftigte in freigemeinnützigen Organisationen wie Caritas, Diakonie und AWO, werden nicht in der Statistik berücksichtigt.

Eine weitere Erklärung ist, dass in Deutschland in vielen Bereichen, z. B. Post, Bahn, Telekom, staatliche Unternehmen privatisiert oder Dienstleistungen an private Anbieter ausgelagert hat.

Sarah Necker, ifo-Institut

Doch warum gelten gerade die nordischen Länder - trotz hoher Beschäftigtenzahlen im öffentlichen Dienst - als Vorbilder für effiziente Verwaltung? Laut dem Wirtschaftsinstitut DIW gibt es einen Unterschied in der Verwaltungsqualität. In Dänemark ist die Regulierungsdichte zwar ähnlich hoch wie in Deutschland, doch die Verwaltung arbeite effektiver.
Das ifo-Institut schätzt, dass deutsche Unternehmen 22 Prozent ihrer Arbeitszeit für Bürokratie aufwenden. Dadurch würden Deutschland jährlich 146 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung entgehen. Beide Institute sehen in der Digitalisierung der Verwaltung eine Lösung.
Aktenberge
Nach Angaben der Krankenhäuser müssen Mitarbeiter etwa drei Stunden täglich für Dokumentationsarbeit aufwenden. Mancherorts muss dafür deshalb extra Personal eingestellt werden.13.11.2024 | 1:31 min

Digitalisierung in Dänemark nicht reibungslos

Peter Hansen, der in Deutschland lebt und in Dänemark arbeitet, kennt die Vor- und Nachteile beider Systeme. "In Dänemark ist fast alles digital, was vieles einfacher und schneller macht, aber nicht immer reibungslos funktioniert." Für Menschen, die sich mit digitalen Systemen unsicher fühlen, wird es schwieriger. In Dänemark benötigen schätzungsweise bis zu 22 Prozent Hilfe, wenn sie die digitale Verwaltung nutzen.
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Problematisch sind auch ständige Systemupdates: "Vor zwei Jahren führte eine neue digitale Signatur (MitID) dazu, dass über eine Million Bürger in die Rathäuser mussten, um sie freizuschalten - das überraschte alle", sagt Hansen.

Viele Backoffice-Systeme sind veraltet, was besonders bei alten Steuervorgängen problematisch ist.

Peter Hansen

Und: Forderungen nach Bürokratieabbau werden selbst im Vorzeigeland Dänemark laut. "Bürokratische Strukturen sollten nicht nur einmalig, sondern laufend auf ihre Angemessenheit und Effizienz überprüft werden," erklärt Verwaltungsexpertin Désirée Christofzik dazu.

Nächste Premiere für Wildberger?

Mit Blick auf die Pläne der Bundesregierung sieht Sarah Necker vom ifo-Institut eine Chance vor allem, wenn damit die regulatorische und politische Aufgabenlast verringert wird. Bisher habe es aber noch keine Regierung geschafft, Bürokratie- und Regulierungsabbau konsequent voranzutreiben, kritisiert sie.
Sollte Karsten Wildberger das am Ende seiner Amtszeit gelingen, wäre das wohl die nächste große Premiere.

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