Wohnungsnot: Architekten fordern Sanierungen statt Neubauten

Interview

Wege aus der Wohnungsnot:Eigenheim: "Bauen, bauen, bauen" reicht nicht

von Christina Zühlke und Michael Haselrieder
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Immer mehr Menschen suchen Wohnraum. Die Immobilienpreise sind rasant gestiegen. Eigenheime werden unbezahlbar. Die Pläne der Regierung greifen zu kurz, kritisieren Experten.

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Es wirkt wie die perfekte Garten-Idylle. Kinderlachen, Hockeyschläger-Geklapper. Emily und Guido Schwarz aus Oberhausen kommen ganz schön ins Schwitzen, während sie gegen ihre Kinder Luna und Samuel spielen. Aber eigentlich ist den Eltern gar nicht zum Lachen zumute. Sie stehen unter Druck. Denn sie müssen ein neues Zuhause für die Familie finden. In den Sommerferien sollen sie ausziehen.
Das Haus, das sie gemietet haben, wurde verkauft. Sie bekamen die Kündigung wegen Eigenbedarfs.

Das reißt einem den Boden unter den Füßen weg.

Emily Schwarz, Mutter

Und sie ergänzt: "Man macht sich Sorgen um seine Kinder." Die Familie möchte jetzt ein eigenes Haus kaufen, um künftig unabhängig von Vermietern zu sein. Schon 20 Häuser haben sie angeschaut. Aber bei den wenigen, die von der Größe und vom Preis passten, bekamen sie eine Absage.
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Die Konkurrenz sei riesig, sagt Guido Schwarz: "Wir suchen jetzt seit sechs Monaten, haben Makler eingeschaltet, Suchprofile hinterlegt, selber Anzeigen geschaltet. Nur das Richtige war noch nicht dabei."
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Baupreise steigen um 19 Prozent

Das große Problem für alle, die ein Eigenheim suchen: Die Baupreise sind rasant gestiegen. Seit 2021 um 19 Prozent. Selbst Menschen, die gut oder sehr gut verdienen, können einen Kauf kaum noch finanzieren. Die neue Bundesregierung will reagieren.
In seiner ersten Regierungserklärung vergangene Woche spricht Bundeskanzler Friedrich Merz von Wohnen als einer der "wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit." Seine Antwort: "Bauen, bauen, bauen."
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"Deutschland ist im Grunde fertig gebaut"

Aber "bauen, bauen, bauen" sei keine Lösung, hält die Architekturprofessorin Elisabeth Broermann dagegen:

Es ist enttäuschend, dass auch diese Regierung nicht versteht, dass wir von diesem Mantra 'Neubau' wegrücken müssen.

Elisabeth Broermann, Architekturprofessorin

Neu bauen habe in den vergangenen Jahren nicht zu mehr bezahlbarem Wohnraum geführt und sei auch jetzt der falsche Fokus, kritisiert Broermann, die sich auch bei Architects for Future engagiert.
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Sie und andere Experten fordern: Statt neu zu bauen auf die Gebäude zu schauen, die es schon gibt: "Deutschland ist im Grunde fertig gebaut", sagt Broermann. Man müsse alte Gebäude sanieren, um ein oder zwei Etagen erweitern und auch leerstehende Industrie-Gebäude zu Wohnraum umbauen, erklärt die Architektin.

Sanierung und Nachverdichtung statt Neubau

Ihre Forderung: Aus der Bauordnung müsse ein "Umbauordnung" werden, damit Sanierung und Umbau leichter werden. "Nachverdichtung" nennen es Stadtplaner, wenn nicht neu gebaut, sondern bestehender Wohnraum erweitert wird.
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Nachverdichten statt neu bauen, das wünscht sich auch Guido Schwarz in Oberhausen von der neuen Bundesregierung: "Wir sind hier in einer Region, wo auch gar nicht mehr wirklich viel Platz ist. Je mehr Fläche hier im Ruhrgebiet noch versiegelt wird, umso weniger Grün ist da."

Viele Häuser leerstehend oder zu groß

Und was ist mit dem großen Traum vom Einfamilienhaus? Der müsse nicht platzen, sagt Architektin Broermann:

Statistisch gesehen haben wir genügend Einfamilienhäuser für die Familien, die es in Deutschland gibt. Die wohnen nur nicht da drin.

Elisabeth Broermann, Architekturprofessorin

Neuer Wohnraum müsse deshalb so geplant werden, dass es für ältere Menschen reizvoll und sinnvoll sei, umzuziehen. Vielen Senioren seien ihre Häuser zu groß, aber es fehle an Alternativen, so Broermann.
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Angebote für generationsübergreifendes Wohnen fehlen

Emily und Guido Schwarz könnten sich auch vorstellen, mit jungen Familien und Senioren gemeinsam in einem Haus zu wohnen: "Sich Räume, den Garten und die Gartenpflege zu teilen, viele Kinder, die gemeinsam im Garten spielen können, sich gegenseitig mehr zu unterstützen, auch ältere Menschen dabei zu haben - das wäre eine sehr, sehr schöne Wohnidee, die aber so hier nirgendwo angeboten wurde."
Wohnraum neu verteilen und kreative Wohnkonzepte entwickeln - davon steht im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wenig. Mit "bauen, bauen, bauen" allein wird sich die drängende Frage der Wohnungsnot in Deutschland aber nicht beantworten lassen.

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