Asylbewerber: Gericht kippt Ausschluss von Leistungen
Nur Bett, Brot und Seife?:Asyl: Gericht kippt Ausschluss von Leistungen
von Svenja Kantelhardt und Daniel Heymann
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Im Eilverfahren hat das Hamburger Sozialgericht den Ausschluss von Leistungen für Asylbewerber für rechtswidrig erklärt. Auch im schwarz-roten Koalitionsvertrag geht es darum.
Laut drei aktuellen Beschlüssen des Sozialgerichts Hamburg haben Asylbewerber in Hamburg wieder Anspruch auf die normalen Leistungen für Asylbewerber.
Quelle: picture alliance / Markus Scholz
In gleich drei Beschlüssen aus den letzten Tagen hat das Sozialgericht Hamburg Leistungsausschlüsse für Geflüchtete vorläufig aufgehoben. Die Antragsteller haben damit bis auf Weiteres wieder Anspruch auf die normalen Leistungen für Asylbewerber. Wie genau diese aussehen sollen und wann sie gekürzt werden können, ist schon länger umstritten - juristisch, aber auch politisch.
Leistungsausschluss als Anreiz zur Ausreise
Im letzten Oktober verabschiedete die Ampel als Teil ihres sogenannten Sicherheitspakets Gesetzesänderungen, um Leistungskürzungen für Asylbewerber zu vereinfachen. Der Union reichte das nicht aus: Im Januar forderte sie in ihren 27 Sofortmaßnahmen zur inneren Sicherheit "wo immer möglich einen gänzlichen Leistungsausschluss". Im schwarz-roten Koalitionsvertrag verständigte man sich nun auf die "konsequente Umsetzung der bestehenden Anspruchseinschränkungen im Leistungsrecht".
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Je nach Bedarfsstufe erhalten Asylbewerber derzeit zwischen 299 und 441 Euro monatlich. Asylbewerber, für deren Verfahren ein anderer EU-Mitgliedstaat zuständig ist, sollen durch einen Leistungsausschluss zur Ausreise bewegt werden. Hilfebedürftigen Ausländern werden nach der entsprechenden Passage im Gesetz nur auf freiwilliger Basis und höchstens für zwei Wochen eingeschränkte Hilfen gewährt.
Unter den Schlagwörtern "Bett, Brot und Seife" wird der niedrige Lebensstandard zusammengefasst: In Hamburg etwa sind ein Bett in einer Halle, Essen und einmalig 8,85 Euro für Hygieneartikel vorgesehen. Für Kleidung, Mobilität oder eine Prepaid-Karte gibt es kein Geld.
Ausreise nicht immer möglich
Das Problem: Asylbewerber können oft nicht ohne Weiteres freiwillig und selbstständig in den zuständigen Mitgliedstaat reisen. Vielmehr muss insbesondere der aufnehmende Mitgliedstaat einer unbegleiteten Rückreise zustimmen. Das verweigern nicht nur wie in diesem Fall Schweden, sondern auch andere Mitgliedsstaaten wie Italien, Griechenland, Polen, Bulgarien und Deutschland selbst: "aus Sicherheitsgründen", wie es in der Dienstanweisung Dublin des BAMF heißt.
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Genau diese Fragen zur Ausreise hatte die Hamburger Ausländerbehörde nach Ansicht des Sozialgerichts nicht ordentlich geprüft.
Der Antragsteller wurde auf die Möglichkeit einer freiwilligen Rückreise verwiesen, obwohl der zuständige Mitgliedstaat Schweden eine solche ausgeschlossen hatte.
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Pressemitteilung des Sozialgerichts Hamburg vom 15.04.2025
Auch begleitete Überstellungen müssen aufwendig zwischen den Behörden koordiniert werden - die Durchführung scheitert häufig, auch unabhängig von einem etwaigen Verschulden der Asylbewerber. Schweden etwa stimmte im letzten Jahr in 1.311 Fällen einer Überstellung zu, doch nur 322 Geflüchtete wurden tatsächlich zurückgeführt.
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Leistungsausschlüsse rechtlich umstritten
Die Hamburger Entscheidung ist kein Einzelfall: Schon mehrere Sozialgerichte äußerten Bedenken mit Blick auf Leistungskürzungen, wenn Schwierigkeiten bei der Überstellung bestehen. Für Pro Asyl ist der Leistungsausschluss "eindeutig verfassungswidrig". Auch weil sich Menschen nicht mit eigener Kraft aus den Sanktionen befreien könnten, erläutert Wiebke Judith, Rechtspolitische Sprecherin der Organisation.
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Das Bundessozialgericht in Kassel legte dem Europäischen Gerichtshof letztes Jahr mehrere Fragen zu Leistungskürzungen wegen Zweifeln an der Vereinbarkeit mit EU-Recht vor. Eine Entscheidung steht noch aus.
Politischer Kurswechsel unwahrscheinlich
In Hamburg zeigt man sich von den Gerichtsbeschlüssen wenig beeindruckt. Eine Sprecherin der Innenbehörde erklärte, man sei von der Rechtmäßigkeit der neuen Regelung zum Leistungsausschluss bei Dublin-Fällen überzeugt und prüfe gemeinsam mit der Sozialbehörde nun die Entscheidungen. Auch der CDU-Abgeordnete Dennis Gladiator versteht das Gerichtsurteil nicht als Absage an den Leistungsausschluss:
Wenn eine entsprechende Rückführung in sichere Erstaufnahmeländer laut Gericht nicht konkret vorbereitet wurde, muss der rot-grüne Senat endlich seine Hausaufgaben machen, um die Rückführungen rechtlich zulässig durchzuführen.
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Dennis Gladiator, Innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion Hamburg
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Das letzte Wort in der Frage dürfte mit der Vorlage des Bundessozialgerichts der Europäische Gerichtshof in Luxemburg haben.
Svenja Kantelhardt und Daniel Heymann arbeiten in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz
Quelle: dpa
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