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80. Jahrestag:UNO: Zwischen Weltgewissen und Ohnmacht
von Susanne Lingemann, New York
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Vor 80 Jahren, am 26. Juni 1945, unterzeichneten Delegierte aus 50 Staaten in San Francisco die Charta der UNO. Heute, acht Jahrzehnte später, wirkt das Versprechen brüchig.
Vor 80 Jahren wurde die UNO gegründet
Quelle: dpa
"Wir, die Völker der Vereinten Nationen, entschlossen, die kommenden Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren …" - mit diesem Versprechen beginnt die Präambel der Charta der Vereinten Nationen. Weltweit drohen Konflikte - in Gaza, Sudan, der Ukraine, zwischen Israel und Iran - zu eskalieren, während die UNO oft ohnmächtig zuschauen muss.
Ohnmacht des Sicherheitsrats - Erwartungen an UNGA?
Ein zentrales Problem: Der Sicherheitsrat, eigentlich zuständig für Frieden und Sicherheit, ist durch geopolitische Blockaden oft handlungsunfähig. Reformen, seit Jahren diskutiert, haben wenig Aussichten auf Erfolg. Deshalb wächst der Druck auf die Generalversammlung (UNGA), in der alle 193 Mitgliedsstaaten mit einer Stimme vertreten sind - auch wenn sie formal keine exekutiven Befugnisse hat. Ab September wird Annalena Baerbock (Grüne) für ein Jahr als Präsidentin die Generalversammlung leiten.
Richard Gowan, UN-Experte bei der International Crisis Group, sagt:
Die Generalversammlung kann den Sicherheitsrat nicht ersetzen.
Richard Gowan, UN-Experte bei der International Crisis Group
"Sie ist ein großer, langsam agierender Körper", so Gowan weiter. Dennoch wünschen sich viele Staaten, dass die UNGA stärker auftritt - mit klareren Positionen, vielleicht sogar Sanktionen.
Stimme des Globalen Südens - und eine geteilte Welt
"Während des Kalten Krieges traten viele ehemalige Kolonien bei - das hat die Organisation grundlegend verändert", erklärt Richard Gowan. "Die Generalversammlung wurde zu einem Sprachrohr des Globalen Südens." Diese Dynamik zeigt sich bis heute: lautstark bei Gaza, auffällig vorsichtig beim Krieg in der Ukraine.
Ein historischer Meilenstein der UNO war auch der gleichzeitige Beitritt von DDR und BRD im Jahr 1973 - ein symbolischer Akt, der den globalen Anspruch der UNO widerspiegelte, aber auch die Spannungen des Kalten Krieges sichtbar machte. Seit Oktober 1990 vertritt die BRD in der UNO das wiedervereinte Land. Deutschland ist einer der fünf größten Geldgeber der Weltorganisation.
Debattierklub mit moralischem Gewicht
"Die UNGA ist ein globaler Debattierklub", sagt Gowan - ihre Resolutionen sind nicht rechtlich bindend. Doch politisch haben ihre Botschaften Gewicht. In den vergangenen zwei Jahren stand Gaza im Fokus zahlloser Sitzungen - ohne sichtbare Wirkung auf die Lage vor Ort.
"Früher war die Generalversammlung in mancher Hinsicht wirkmächtiger", so Gowan. Etwa in der Suez-Krise 1956 oder beim Kampf gegen die Apartheid in Südafrika. Heute mangele es oft an politischer Konsequenz.
Neue Herausforderungen, alte Strukturen
Künstliche Intelligenz, digitale Grundrechte, Cyberkriminalität - zu vielen neuen Themen fehle es der UNGA an Durchsetzungskraft. "Die Versammlung eignet sich gut für Debatten über globale Trends oder rechtliche Rahmenbedingungen", so Gowan. "Aber die Regeln des digitalen Zeitalters werden anderswo gemacht." Auch in aktuellen Konflikten sieht er eine besorgniserregende Entwicklung:
Die UN hat immer wieder schwerwiegende Fehler gemacht - Ruanda, Syrien, Srebrenica. Doch heute ist es schlimmer. Großmachtpolitik zerreißt die Organisation. Es gibt weniger Spielraum für Fehler.
Richard Gowan, UN-Experte bei der International Crisis Group
Reformdruck zum 80. Jubiläum
Die neugewählte Präsidentin der 80. Generalversammlung, ruft zum Wandel auf: "In ihrem 80. Jahr stehen die Vereinten Nationen vor existenziellen Herausforderungen. Das darf kein Moment der Verzweiflung sein." Die Organisation müsse sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren - effektiver, schlanker, durchsetzungsfähiger werden, meint Baerbock.
Was kann konkret geschehen? Gowan: "Wenn die Generalversammlung relevant bleiben will, muss sie zeigen, dass sie mehr ist als ein Resonanzraum für politische Statements. In bestimmten Fällen muss sie selbst politisches Gewicht entwickeln."
Ein fragiles Versprechen - doch unverzichtbar
Ob dies gelingt, ist offen. Die Welt wirkt heute zersplitterter denn je. Und doch erinnert die UN-Charta daran, was auf dem Spiel steht. Ihr Versprechen - "Nie wieder" - bleibt auch 80 Jahre später die Grundlage für internationale Ordnung.
"Die UN ist ein lebendiges Wunder", sagte UN-Generalsekretär António Guterres jüngst. "Aber nur wenn wir den Geist der Charta wiederbeleben, kann dieses Wunder weiterleben."
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