Ukraine-Krieg: "Beide können nicht mehr ewig durchhalten"

Interview

Militäranalyst zum Ukraine-Krieg:"Beide können nicht mehr ewig durchhalten"

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Wenig Bewegung an der Front. Putins Sumy-Offensive verpufft. Zur Lage im Ukraine-Krieg und wie es weitergehen könnte - Militärexperte Remmel bei ZDFheute live.

Militärexperte Hendrick Remmel im Interview mit ZDFheute live
Militäranalyst Hendrik Remmel bei ZDFheute live26.06.2025 | 32:20 min
ZDFheute live hat mit dem Militäranalysten Hendrik Remmel vom German Institute for Defense and Strategic Studies - einem Think Tank der Bundeswehr - über das ins Stocken geratene Geschehen an der Front in Ukraine-Krieg, über die Sumy-Offensive sowie den möglichen weiteren Verlauf gesprochen.
Das sagt Remmel dazu, …

… dass es aktuell wenig Bewegung an der Front gibt

Das hat nach Ansicht des Experten auf beiden Seiten Gründe. "Die Russen leiden derzeit an einem zunehmenden Materialmangel, vor allem was Großgerät an Landsystemen angeht, Kampfpanzer, Schützenpanzer, gepanzerter Transportraum." Daher müssten sie primär auf infanterielastige Angriffe zurückgreifen, also Soldaten, die vornehmend zu Fuß oder auf leichten, ungepanzerten Fahrzeugen unterwegs sind. Schlecht ausgebildetes Personal verursache hohe Verluste, zudem könnten die Russen wegen des weiten Drohnennetzes an der Frontlinie nur schwierig Überraschungsmomente erzeugen.

Auf operativer Ebene gelingt es den Russen im Grunde genommen seit über zwei Jahren nicht mehr.

Die Ukrainer indes hätten es geschafft, die Kontaktlinie zu stabilisieren, weil sie Gefechtssituationen vermeiden, in denen die russischen Kräfte so dicht an ihre Stellungen herankommen, dass die Ukrainer sich nicht mehr einfach daraus lösen können. "Sie führen das Gefecht deswegen beweglich, weil sie immer mehr weitreichende Waffen nutzen können." Auch könnten sie bei Kämpfen im urbanen Raum das Gelände sehr gut ausnutzen. So gelinge es ihnen, ihr Personal besser zu schonen und die Brigaden besser zu rotieren. "Deswegen scheitert gegenwärtig die angekündigte russische Frühjahrs- bzw. Sommeroffensive."
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… warum die Sumy-Offensive verpufft ist

Russland verfolge einen kräfteorientierten Ansatz, so Remmel. "Das heißt, ihr Ziel ist es mit einem langsamen Operationstempo und hohen Feuerraten die ukrainischen Streitkräfte abzunutzen, also ihre Kampfkraft zu senken, Soldaten zu töten, zu verwunden, Material zu zerstören, Stellungen zu zerstören." Dennoch gelinge es den Russen mangels Personal und Material nicht, diese Erfolge "auf taktischer Ebene zu operativen Durchbrüchen auszuweiten".

Und das haben die Russen, genauso wie die Ukrainer, im nunmehr vierten Jahr des Krieges einfach nicht mehr in der ausreichenden Menge, um das erfolgreich umzusetzen.

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… welche Alternativstrategien Putin nun verfolgen könnte

"Im Grunde genommen ist seine Strategie unverändert", so Remmel. Wladimir Putin gehe zum einen davon aus, dass die Russen länger in der Lage sind, diese Art des Krieges durchzuhalten. Denn nur weil sie gerade wenig Großgerät zur Verfügung hätten, heiße das "noch lange nicht, dass an Tag X dieser Krieg endet". Die Russen könnten auch in eine Defensivoperation gehen, wo sie nur noch etwa ein Drittel an Material, Munition und Personal benötigten. "Und dann stehen diese 600.000 bis 700.000 russischen Soldaten in der Ukraine ." Das wäre dem Experten zufolge ein Szenario eines eingefrorenen Konflikts, der eher Russland zugutekomme.
Die andere Linie seiner Strategie sei die Zermürbung der ukrainischen Bevölkerung. "Jede Nacht werden ukrainische Städte beschossen, zivile Infrastruktur. Das sind Kriegsverbrechen."
Die dritte Ebene sei das Wirken im Informationsraum. "Das Spielen mit Ängsten, vor allem nuklearen Ängsten." Putin propagiere immer wieder, der Westen eskaliere, man behalte sich nukleare Optionen vor. Jeder wisse, dass das falsch sei.

Es gibt nur einen Staat, der bis jetzt konventionell Schritt für Schritt eskaliert ist, und das ist die Russische Föderation.

Dennoch wirken Remmel zufolge die Desinformationskampagnen und so versuche man die Unterstützung des Westens möglichst weit einzudämmen. Wenn es Russland gelinge, nur ein Mitglied der Nato "umzudrehen und von ihrer Version dieser Geschichte zu überzeugen", würden "große Teile dieser klassischen großen Institutionen des Westens handlungsunfähig".
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… welche Chancen sich für das ukrainische Militär ergeben könnten

"Die sind bis auf räumlich und zeitlich begrenzte Achtungserfolge auf taktischer Ebene aus meiner Sicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorhanden." Zwar gehe es den Russen schlecht - der Ukraine aber auch.

Beide können diese Art des Krieges nicht mehr ewig durchhalten.

Beide Kriegsparteien brauchten Personal und Material, um die Initiative zurückzugewinnen. "Auch wenn die Personalqualität bei den Ukrainern besser ist, die Materialqualität tendenziell auch, ist es dennoch die Masse, die derzeit vor allem beim Personal und bei der Munition die Russen immer noch leicht in der Initiative hält." Der Experte sieht auch nicht, dass sich diese Dynamik ändern wird. Seiner Meinung nach werden die Ukrainer auf absehbare Zeit, "abgesehen von Achtungserfolgen, beispielsweise Operation Spiderweb, nicht zu militärisch relevanten Veränderungen der Dynamik auf dem Gefechtsfeld in der Lage sein".
Das Interview führte ZDFheute-live-Moderator Christian Hoch.
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