Proteste gegen Präsident Vučić:Serbien zwischen Protest und Korruption
Fast täglich gehen in Serbien Menschen auf die Straße: gegen Korruption, gegen die Regierung. Präsident Vučić nutzt derweil eine Militärparade, um seine Macht zu demonstrieren.
Serbien kommt nicht zur Ruhe - Studierende, Landwirte und Bürger gehen auf die Straße - gegen Korruption, Machtmissbrauch und wachsenden Einfluss Russlands.
24.09.2025 | 6:28 minWer den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić am vergangenen Wochenende bei der großen Militärparade in Belgrad beobachtete, wie er zufrieden tausende Soldaten und hunderte Panzer und Raketenwerfer an sich vorüberziehen sah, der konnte eigentlich nur einen Eindruck haben: da ist einer ganz im Reinen mit sich selbst.
Fast täglich Demonstrationen gegen Vučić
Diesen Eindruck konnten auch die wenigen Demonstranten am Rande des großen Waffenaufmarschs nur begrenzt trüben. Allerdings hält sich der Protest gegen die Politik von Präsident Vučić hartnäckig, fast jeden Tag gibt es im Land kleinere oder größere Demonstrationen gegen ihn. Demonstrantin Zorana sieht ihr Land auf falschem Kurs.
Ich glaube nicht, dass Präsident Vučić das Land in die richtige Richtung führt. Meine persönliche Überzeugung ist, ich bin für die EU und ich würde gerne sehen, dass das Land in diese Richtung geht. Für mich ist das nur natürlich und normal.
Zorona, Demonstrantin
Balkan-Experte Vedran Džihić glaubt, dass Präsident Vučić noch autoritärer vorgehen könnte.
06.09.2025 | 15:06 minDie meisten der tausenden Besucher der Parade dürften allerdings auf Vučićs Seite stehen. Wobei ein großer Teil mit Bussen herangekarrt wurde, sagen Beobachter, wohl mit Unterstützung von Vučićs Partei SNS und ihren Amtsträgern. "Wir brauchen Europa nicht", meint Batica Stojiljković.
Die Russen sind unsere orthodoxen Brüder, also sollten wir uns nicht von ihnen trennen.
Batica Stojiljković, Passant
Demonstranten nennt Vučić "Terroristen"
Zuletzt gerieten regierungskritische Demonstranten und Vučićs Sicherheitskräfte heftig aneinander. Immer öfter eskaliert die Gewalt. Für Vučić sind die Demonstranten "Mörder" und "Terroristen".
Doch für die Demonstranten rutscht Serbien immer tiefer ab in die Autokratie. Der Zusammenbruch des Bahnhofsvordachs in Novi Sad mit 16 Toten im November letzten Jahres, hat sich als die Spitze eines weit größeren Eisberges aus Korruption, staatlicher Vetternwirtschaft, Justizversagen und Unterdrückung der Pressefreiheit entpuppt.
Belgrad, Anfang September: Zehntausende Serben protestierten friedlich und forderten Neuwahlen. Auch andernorts gab es Proteste. In Novi Sad ging die Polizei mit Schlagstöcken gegen Demonstrierende vor.
02.09.2025 | 2:14 minAuf dem Korruptionsindex von "Transparency International" steht Serbien im weltweiten Vergleich auf Platz 105. Eine Interviewanfrage des ZDF zu Korruption und Strafverfolgung im Land an das Justizministerium blieb ohne Antwort.
Korruption als Methode
Ivan Ninić ist der Anwalt der Mutter von einem der Opfer des Unglücks in Novi Sad. Die Methode der Korruption in Serbien sei bei allen größeren Bauprojekten im Lande gleich, sagt er.
Aus den großen Infrastrukturprojekten wird Geld herausgezogen, um Wahlkampagnen zu finanzieren oder ein bequemes und hedonistisches Leben der Spitzen des Staates, zum Beispiel des Präsidenten oder Leuten aus seiner Umgebung, der Minister oder Direktoren von Staatsfirmen.
Ivan Ninić, Anwalt
Der Kern des Ganzen sei ein Herrschaftssystem, das Präsident Vučić in den 13 Jahren seiner Regierung perfektioniert habe. "Er hat einen Plan gemacht, um alle Institutionen und Individuen zu unterwerfen". Vučić habe eine "absolute und dominante Kontrolle bei Sicherheitsbehörden errichtet", einen Wechsel an der Spitze vieler Medienunternehmen durchgesetzt und die Justiz unter seine Kontrolle gebracht.
Er hat die Kontrolle über die wirtschaftlichen und finanziellen Ströme im Land erreicht.
Ivan Ninić, Anwalt
Pressefreiheit in Serbien bedroht
Auch die Pressefreiheit wird immer stärker bedroht. Bei der Organisation "Reporter ohne Grenzen" rangiert Serbien in punkto Pressefreiheit auf Platz 96. Igor Božić, Nachrichtendirektor von N1, einem der wenigen verbliebenen regierungskritischen Sender im Land, berichtet von Beschimpfungen der Regierung und heftigen Drohungen anonymer Unterstützer der Regierung. Für ihn hat Serbien längst den Status einer Demokratie verloren. "Serbien ist definitiv eine dysfunktionale Demokratie, oder wie ich es gerne ausdrücken würde: Schon jetzt regiert ein autoritäres Regime Serbien."
Demokratiebewegung fordert EU zum Kurswechsel
Und die EU, deren demokratische und rechtsstaatliche Regeln in Serbien mit Füßen getreten werden? Sieht offenbar weg oder noch schlimmer: Lobt Präsident Vučić wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch im Oktober 2024 als Reformer in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.
Das ist Hohn in den Ohren der Demokratiebewegung. Rasa Nedeljkov vom regierungskritischen "Center for Research, Transparency and Accountability" fordert die EU zu einem Kurswechsel auf. "Wir rufen die europäischen Mitgliedstaaten, die europäische Union auf, sich viel mutiger auf die Seite des serbischen Volks zu stellen und nicht auf die Seite des serbischen Regimes. Das serbische Volk will Teil der europäischen Union sein."
Das serbische Regime würde dagegen gerne auf ewig den Kandidatenstatus beibehalten und von den finanziellen und anderen Vorteilen profitieren. Aber es will nicht Teil eines Systems der Herrschaft des Rechts sein.
Rasa Nedeljkov, Center for Research, Transparency and Accountability
Wie der Konflikt weitergeht, ist schwer abzusehen. Am 1. November jährt sich der Tag des Unglücks von Novi Sad zum ersten Mal. Dann könnte das Ausmaß des Protestes eine neue Dimension erreichen.
Michael Bewerunge ist Leiter des ZDF-Auslandsstudios Wien.
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