Jugend in Niederlanden zu Wahl gespalten:Doch nicht die weltoffenen Nachbarn von nebenan?
von Renée Severin, Amsterdam
In den Niederlanden positionieren sich junge Männer vermehrt am rechten Rand. Es ist ein Symptom einer gespaltenen Jugend - zwischen Weltoffenheit und Rechtsruck.
Nach dem Scheitern der Regierung wählen die Niederlande ein neues Parlament. In Umfragen liegt Geert Wilders vorn - mit seiner rechtspopulistischen Partei will aber keiner regieren.
29.10.2025 | 1:33 minEs ist dunkel und eng, Menschen sind aneinandergepresst. Über der Tanzfläche flackert das Licht im Takt der Bässe. Im "Shelter" (dt. "Bunker") in Amsterdam mischen sich Einheimische und Touristen. Nachtclubs wie dieser gehören zu den Attraktionen, die Amsterdam weltberühmt machen.
"Die Nacht ist ein Ort, an dem jeder frei sein und sich entfalten kann", sagt Noah Kurstjens gegenüber ZDFheute. Der Club-Manager ist gerade mal 25 Jahre alt, hat in der Szene Karriere gemacht. Ein Club für alle, "das passt sehr zu Amsterdam und den Niederlanden", findet Kurstjens. Hier scheint es zu stimmen, das Klischee von den weltoffenen Niederlanden. Es gibt aber auch die andere Seite: Rechtsruck und Spaltung - auch unter den Jüngeren.
Wahl in den Niederlanden: Populisten gewinnen unter jungen Männern dazu
Bei den Parlamentswahlen könnte die rechtspopulistische "Partei für die Freiheit" (PVV) von Geert Wilders erneut stärkste Kraft werden. Wie auch in Deutschland ist in den Niederlanden das Interesse an populistischen Parteien in den letzten Jahren gestiegen. Das legt etwa ein Bericht der Universität Utrecht dar. Vor allem junge Männer positionierten sich demnach zunehmend am rechten Rand.
Zum zweiten Mal innerhalb von knapp zwei Jahren wählen die Niederländer ein neues Parlament. ZDF-Korrespondent Andreas Stamm mit einer Einschätzung aus Den Haag.
29.10.2025 | 1:15 minEin Trend, der sich schon unter Teenagern abzeichnet, erklärt Nikki Dekker. Sie forscht an der Universität Amsterdam zur Polarisierung von Jugendlichen.
Wir sehen eine große Spaltung zwischen Jungen und Mädchen.
Nikki Dekker, Erziehungswissenschaftlerin, Universität Amsterdam
Jungs neigten eher zu konservativeren Werten, besonders bei Geschlechterrollen, erläutert Dekker.
... ist Doktorandin an der Universität von Amsterdam. Dort forscht sie an der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Im Fokus ihrer Untersuchungen zur Polarisierung unter Jugendlichen stehen Zwölf- bis 18-Jährige und ihre Haltung etwa zu Themen wie Geschlechterrollen und LGBTQ-Themen.
Dekker betont: "Polarisierung an sich ist nicht problematisch." Verschiedene Meinungen seien wichtig, aber Polarisierung könne ein Problem werden, wenn sich Gefühle einmischen und Menschen aufgrund dessen nicht mehr miteinander sprechen.
Wahlkampf und Politik auf TikTok
Auch TikTok spiele dabei vermutlich eine wichtige Rolle, so Dekker. Schließlich seien soziale Medien die wichtigste Nachrichtenquelle junger Menschen. Zwar sind mehrere politische Parteien auf der Plattform aktiv.
Aber insbesondere Thierry Baudet, Parteichef des rechtspopulistischen "Forum für Demokratie" (FvD), nutze die App, um junge Männer anzusprechen und traditionelle, männliche Stereotype zu stärken: "Die Plattform ist für sie nützlich, um die jungen Erstwähler zu erreichen", sagt Dekker.
Wohnungsnot und Asylrecht sind die dominanten Themen im Wahlkampf der Niederlande. Rechtsaußen Geert Wilders weiß das für sich zu nutzen. Doch niemand will mit ihm koalieren.
22.10.2025 | 6:29 minMigration dominiert niederländischen Wahlkampf
Den niederländischen Wahlkampf dominierte in den vergangenen Wochen dabei vor allem ein Thema: Migration. Auch bei den jüngeren Wähler*innen spielt das eine Rolle. Mittlerweile gebe es in den Niederlanden - vor allem in den Provinzen - die Einstellung, dass Ausländer nicht gewollt wären, meint Melle van Gent. Er ist 32, ZDFheute trifft ihn in einer Bar. Ab und zu hilft er dort aus.
Wir sind nicht die freundliche Nation, für die uns alle halten.
Melle van Gent, aus Amsterdam
Jeder sei nur willkommen, solange er etwas mitbringe, das sei laut van Gent die Einstellung vieler Menschen im Land. Er selbst ist für stärkere Grenzkontrollen - Migration aufhalten könne man nicht, meint er.
Ohnehin ist ihm eins wichtiger: bezahlbare Wohnungen. Der Amsterdamer kann sich in seiner Heimat langfristig keine Wohnung mehr leisten. Ein Problem, das viele und insbesondere die Jungen trifft. "Politik ist gerade nur populistisch, die regeln eh nichts", meint van Gent. Wirklich repräsentiert fühlt er sich nicht.
Migration, Wohnungsnot und ein gespaltenes Land kurz vor der Abstimmung. Rechtspopulist Geert Wilders liegt in den Umfragen vorn, doch die politische Zukunft ist offen.
25.10.2025 | 1:30 min"Stem Jong" will mehr Nachwuchs im Parlament
Van Gent sei kein Einzelfall, berichtet Nikki Trip von "Stem Jong". Die 28-Jährige hat die Nichtregierungsorganisation vor einigen Jahren gegründet, um Erstwähler zu mobilisieren und für mehr junge Politiker*innen zu werben. Vor allem Letzteres sei wichtig, um junge Menschen und ihre Sorgen im Parlament sichtbar zu machen.
Die Gen Z hat andere Probleme als die Babyboomer. Ihre Probleme verdienen auch Aufmerksamkeit.
Nikki Trip, Vorsitzende "Stem Jong"
Trip beobachtet zuletzt, dass es vor allem kurzfristige Themen auf die politische Agenda schaffen. Die junge Generation sei aber darauf angewiesen, dass auch Langfristiges eingebracht und angepackt werde. Dazu zählt etwa das Klima, das in diesem Wahlkampf untergegangen sei.
Neuer Wind in der niederländischen Politik: Henri Bontenbal von den Christdemokraten und der Sozialdemokrat Frans Timmermans treten bei der Parlamentswahl gegen Geert Wilders an.
24.10.2025 | 2:04 minJung und alt sollen sich verbinden
Deshalb sei es wichtig, dass die Jungen zusammenhalten, entgegen der Spaltung, meint die "Stem Jong"-Vorsitzende. "Wir müssen uns aber auch mit den Älteren verbinden", fordert Trip.
Es gehe um Repräsentation für alle, Vielfalt im Parlament - ein Ansatz, der wohl der Parteienlandschaft in den Niederlanden entspricht. Diese ist stark fragmentiert, weshalb Parteien miteinander koalieren müssen, wenn sie regieren wollen.
Schlussendlich braucht die niederländische Politik dabei zwar nicht zwingend das Klischee der Weltoffenheit. Aber immerhin müssen sie wohl eines sein: kompromissbereit.
Renée Severin ist Redakteurin in der ZDF-Redaktion "Europa"
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