Politische Gewalt in den USA:"Millionen sehen eine solche Tat in Echtzeit"
Politische Gewalt ist in den USA längst Alltag - Social Media macht sie aber noch unmittelbarer, emotionaler und polarisierender, erklärt US-Experte Julian Müller-Kaler.
Die Gewaltspirale in den USA fängt an, sich selbst zu bedingen, sagt Politikwissenschaftler Julian Müller-Kaler. Er sieht viel Potenzial für gesellschaftlichen Sprengstoff.
13.09.2025 | 18:25 minNach dem tödlichen Attentat auf den rechtskonservativen Aktivisten und Podcaster Charlie Kirk wächst in den USA die Sorge um die Stabilität der Demokratie. Bei ZDFheute live erklärte der Politikwissenschaftler Julian Müller-Kaler vom Stimson Center in Washington, dass die Tat kein isoliertes Ereignis sei, sondern ein Symptom einer langfristigen gesellschaftlichen Eskalation.
"In den 1960er Jahren hat man selbst bei den schlimmsten politischen Morden erst am nächsten Tag in der Zeitung davon gelesen", sagte Müller-Kaler.
Heute sehen Millionen Menschen eine solche Tat quasi in Echtzeit.
Julian Müller-Kaler, Stimson Center in Washington
Das mache Gewalt nicht nur unmittelbarer, sondern verstärke die emotionale Wirkung auf die Bevölkerung - und die gesellschaftliche Polarisierung weiter.
Politische Gewalt permanent präsent auf Social Media
Der Experte betont, dass die permanente Präsenz politischer Gewalt auf Social-Media-Plattformen und in Livestreams einen entscheidenden Unterschied zu früheren Krisenzeiten darstellt. Während früher politische Attentate nachträglich verarbeitet wurden, können sie heute unmittelbar erlebt und in Echtzeit kommentiert werden. Dies mache die Ereignisse "nahbarer und wahrscheinlich auch unversöhnlicher".
Müller-Kaler sieht darin einen zentralen Treiber der aktuellen Eskalationsspirale. Die schnelle Verbreitung von Bildern und Videos von Anschlägen oder Demonstrationen führe zu einer ständigen Aufladung der politischen Stimmung. Auch Versuche der politischen Opposition, die Lage zu beruhigen, werden dadurch erschwert.
Die Rhetorik in vielerlei Hinsicht ist aufgeladen, auch wenn einflussreiche Persönlichkeiten versuchen, sie nicht weiter anzuheizen.
Julian Müller-Kaler, Stimson Center in Washington
Struktureller Vertrauensverlust in die Demokratie
Ein weiterer Aspekt, den der Wissenschaftler hervorhebt, ist der strukturelle Vertrauensverlust in die Demokratie. Populistische Bewegungen wie die MAGA-Bewegung seien nicht allein Ursache der Eskalation, sondern zugleich Symptom tieferliegender Probleme: stagnierende Löhne, sinkende Lebenserwartung in Teilen der Bevölkerung und das Gefühl, dass politische Institutionen die Probleme der Menschen nicht lösen. Die Sichtbarkeit politischer Gewalt durch Social Media verstärke diese Unzufriedenheit zusätzlich.
Müller-Kaler schließt mit einem klaren Appell: "Ohne eine Wiederherstellung von Vertrauen in demokratische Institutionen und die Möglichkeit, dass Menschen durch das System tatsächlich ökonomisch und sozial profitieren, werden solche Eskalationen nicht abnehmen." Social Media mache die Dynamik nur deutlicher und unmittelbarer sichtbar - und unterstreiche, wie verletzlich demokratische Strukturen in Zeiten tiefer gesellschaftlicher Spaltungen sein können.
Das Interview führte Christian Hoch, zusammengefasst von Jan Schneider.
Mehr zum Mord an Charlie Kirk
- FAQ
- mit Video
Erstes Statement von Erika Kirk:Kirk-Witwe: Mein Weinen wird zum Schlachtruf
- mit Video
Gegenstimme zu Trump?:So redet Utahs Gouverneur Amerika ins Gewissen
von Christian Harz - Interview
Ermordeter US-Aktivist:Politologin: Kirk war Trumps "Bindeglied an die Zukunft"