Atombombe-Abwürfe über Japan: Wie wird ohne Zeitzeugen erinnert?

Atombomben-Abwürfe über Japan:Was passiert, wenn die Zeitzeugen aussterben?

Porträt ZDF-Korrespondentin Miriam Steimer
von Miriam Steimer, Hiroshima
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Der 80. Jahrestag des Atombomben-Abwurfs auf Hiroshima und Nagasaki bedeutet: diejenigen, die das selbst erlebt haben, gehen auf die 100 zu. Wie wird die Erinnerung weitergetragen?

Miriam Steimer | ZDF-Reporterin in Hiroshima / Japan
In der Innenstadt sei die Geschichte des Atombomben-Abwurfs "so greifbar", berichtet ZDF-Korrespondentin Miriam Steimer aus Hiroshima.06.08.2025 | 3:28 min
"Selbst wenn ich sterbe, werden die Gedanken und Worte, die ich hinterlassen habe, durch das KI-Modell für mich weitergetragen", sagt Nishioka Hiroshi und hustet heftig. Der 93-jährige im beigen Haus-Anzug ist ein "Hibakusha", ein Überlebender des Atombomben-Abwurfs von 1945. Aus einem Interview mit ihm ist ein Videoanruf geworden, denn wegen seines Gesundheitszustands musste er sich kurzfristig im Krankenhaus behandeln lassen.
Laternen treiben auf Fluss in Hiroshima
In der japanischen Stadt starben am 6. August 1945 etwa 80.000 Menschen, viele weitere an den späteren Folgen. Am Mittwoch jährt sich der Abwurf zum 80. Mal.06.08.2025 | 1:51 min
Er hat den Abwurf der Atombombe in Nagasaki am 9. August 1945 erlebt, seine Schule war 3,3 Kilometer von "Ground Zero" entfernt. Während viele seiner Mitschüler von fliegenden Glasscheiben des Schulgebäudes verletzt wurden, überlebte er.

Die Welt ist an der Oberfläche noch halbwegs friedlich, aber gleichzeitig sind wir in einer Lage, in der es nur einen Funken braucht, um einen Großbrand auszulösen.

Nishioka Hiroshi, 93-jähriger Überlebender des Atombombenabwurfs über Nagasaki

Am 6. August 1945 warfen die USA die Bombe über der japanischen Küstenstadt Hiroshima ab. Es war der erste Atombombenangriff der Weltgeschichte. Der zweite folgte drei Tage später und traf die Stadt Nagasaki. Das Uran in der Bombe hatte eine Sprengkraft von 15.000 Tonnen TNT. Die Explosion geschah 580 Meter über der Stadt Hiroshima. Die Druckwelle erfasste 13 Quadratkilometer. Etwa 140.000 Menschen starben, der Großteil der Häuser wurde zerstört.
Er will, dass seine Erinnerungen ihn überdauern. Dafür hat er sie aufgezeichnet, für ein Modell, das mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz seine Antworten geben soll, wenn Museumsbesucher die "richtigen" Fragen stellen.
Die Explosion einer Wasserstoffbombe im Zuge des Bravo Tests 1954.
Tausende Atomtests, unzählige Opfer, kaum bekannte Folgen: Was hat die Welt 80 Jahre nach den Atombomben-Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 wirklich gelernt? 06.08.2025 | 89:00 min
Wir wollen uns das im Friedensmuseum in Yokohama anschauen, doch vor dem Bildschirm hängt ein Papierschild: "Wird gerade überarbeitet." Auf Technik sollte man sich also nicht unbedingt verlassen, wenn es darum geht, die Erinnerungen der Zeitzeugen weiterzutragen.

Am 6. August 1945 warf die US-amerikanische Luftwaffe die Atombombe mit dem zynischen Namen „Little Boy“ über Hiroshima ab. Drei Tage später folgte eine zweite Atom-Bombe über Nagasaki. Es waren die ersten und bislang einzigen Atomwaffenangriffe der Geschichte. In Hiroshima sollen etwa 70.000 Menschen direkt gestorben, bis Ende des Abwurf-Jahres sollen es etwa 140.000 gewesen sein. In Nagasaki wird die Zahl der Toten bis Ende 1945 auf 70.000 geschätzt. Die genaue Opferzahl liegt wohl noch deutlich höher, weil viele erst an Spätfolgen der Strahlung starben.

Atombomben-Abwürfe über Japan: Immer weniger noch lebende Zeitzeugen

Die Generation der Zeitzeugen wird in den kommenden Jahren aussterben: Diejenigen, die den Abwurf der Atombomben vor 80 Jahren überlebt haben und schon so alt waren, dass sie von ihren Erinnerungen berichten können, gehen auf die 100 zu.
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Also ist die nächste Generation dran. Es gibt immer mehr sogenannte Storyteller, die die Geschichten von Zeitzeugen weitertragen. Teshima Kikuko ist die einzige offizielle Storytellerin, die das in deutscher Sprache macht. Sie erzählt die Geschichte ihrer Tante Hiroku, die den Abwurf der Atombombe auf Miyajima erlebte, einer kleinen Insel 30 Kilometer von Hiroshima entfernt.
Hiroku ist heute 91, doch sie spricht nicht gerne über diese Zeit. Deshalb will ihre Nichte übernehmen: "Sie hat das immer alles in ihrem Herzen verschlossen. Dabei war das viel zu schwer. Ich möchte ihr helfen, dass ihr Herz ein bisschen leichter wird."
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Ein Abschied für immer

Hiroku war damals 11, saß gerade in der Schule, als die Bombe fiel: Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, einige Fenster zersplitterten und über dem Meer sahen sie die große Wolke über der Stadt, so erzählt es Teshima Kikuko. Hiroku ist die Einzige ihrer Familie, die das überlebt hat.
Am Vorabend hatte sie sich am Pier verabschiedet: "Tschüss, bis nächste Woche", sagt Teshima Kikuko und macht die winkende Handbewegung nach. Sie fuhren nach Hiroshima und wollten Hiroku mitnehmen, doch sie entschied sich, auf Miyajima zu bleiben.
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Am Pier der Insel stehend erzählt Teshima Kikuko heute, dass diese Entscheidung ihrer Tante wohl das Leben gerettet hat. Am gleichen Pier wurden noch Tage nach der Detonation Leichen angespült. Sie erzählt von einem 6-jährigen Jungen, der damals mithalf, sie zur Seite zu schieben, und diese Bilder bis heute nicht vergessen kann. Die Leichname der Eltern ihrer Tante und ihrer drei Geschwister wurden - wie so viele andere - nie gefunden.
Wen sie gerne mal durch Hiroshima führen würde? Wladimir Putin, der würde doch auch Deutsch verstehen, sagt sie und lächelt. Sollte er Interesse habe, würde sie ihm gerne die Geschichte ihrer Tante erzählen und ihm ihre Botschaft weitergeben: nie wieder Krieg, nie wieder Atomwaffen.

Am 6. August 1945, einem Montagmorgen, um kurz nach 8 Uhr morgens explodierte die Atombombe über Hiroshima. Zur gleichen Uhrzeit findet 80 Jahre später eine Gedenkfeier statt - mit einer Rekordzahl von 120 teilnehmenden Ländern und Regionen. Belarus, enger Vertrauter Russlands, ist auch dabei, nachdem das Land drei Jahre lang nicht eingeladen wurde. Nordkorea stand nicht auf der Einladungsliste, weil Japan mit dem Land keine diplomatischen Beziehungen unterhält. Russland und China sollen auf die Einladung nicht reagiert haben.

Miriam Steimer ist Korrespondentin für Ostasien und leitet das ZDF-Studio in Peking.
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