Kurz nach Ernennung:Frankreichs Premierminister Lecornu tritt zurück
Nur vier Wochen nach seiner Ernennung hat der französische Premierminister Sébastien Lecornu seinen Rücktritt eingereicht. Erst gestern hatte er die neue Regierung vorgestellt.
Der französische Premierminister Sébastien Lecornu ist zurückgetreten.
Quelle: APNur wenige Stunden nach der Vorstellung einer neuen Regierung ist Frankreichs Premierminister Sébastien Lecornu überraschend zurückgetreten. Präsident Emmanuel Macron habe den Rücktritt angenommen, teilte das Präsidialamt in Paris mit.
Lecornu wirft Parteien Blockade vor
Lecornu hat den Parteien im zerstrittenen Parlament vorgeworfen, das Land politisch zu blockieren.
Die politischen Parteien nehmen weiterhin eine Haltung ein, als hätten sie alle die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung.
Sébastien Lecornu, Ex-Premier von Frankreich
"Und im Grunde befand ich mich in einer Situation, in der ich zu Kompromissen bereit war, aber jede politische Partei will, dass die andere politische Partei ihr gesamtes Programm übernimmt", sagte Lecornu in einer Stellungnahme vor dem Regierungssitz.
Ex-Premier wirft Parteien Ringen um Posten vor
Weil es keine klare Mehrheit im Parlament gibt, hätten die Oppositionsparteien sich dazu entschieden, den Weg der Debatte und der Kompromisse zu gehen, sagte Lecornu.
Dazu muss man natürlich seine Einstellung ändern und nicht darauf bestehen, sein gesamtes Projekt und sein gesamtes Programm umsetzen zu wollen.
Sébastien Lecornu, Ex-Premier von Frankreich
Der zurückgetretene Premier beklagte außerdem ein Gerangel der Parteien um Posten bei der Regierungsbildung, das unmittelbarer Auslöser seines Rücktritts war.
Am Vorabend hatte Lecornu die Verteilung der Schlüsselressorts in der künftigen Regierung bekanntgemacht und damit die Konservativen gegen sich aufgebracht, die prompt mit einem Rückzug aus der Regierung drohten. In dieser regieren die Républicains mit dem Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron, die Regierung hat im Parlament aber keine Mehrheit.
Macron hatte Lecornu erst im September zum neuen Premierminister ernannt.
10.09.2025 | 0:21 minRépublicain-Vorsitzender unzufrieden mit neuer Regierung
Der in seinem Amt bestätigte Innenminister und Républicain-Vorsitzende Bruno Retailleau hatte sich noch am Sonntagabend unzufrieden über die Zusammensetzung der neuen Regierung geäußert und eine Krisensitzung seiner Partei für diesen Montag angekündigt. Noch vor Start dieser Sitzung trat der Premier, der aus dem Präsidentenlager stammt, zurück.
Retailleau hatte zuvor ein Drittel der Ministerposten für seine Partei verlangt und war mit der Rolle und dem Gewicht der Konservativen in der neuen Regierung unzufrieden, berichteten Medien unter Verweis auf Parteiverantwortliche. Für Empörung bei den Konservativen sorgte demnach auch, dass der 2024 ausgeschiedene langjährige Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire, der der Mitte-Partei von Macron angehört, überraschend zum Verteidigungsminister bestimmt wurde.
Lecornu hatte erst am Vorabend die Verteilung der Schlüsselressorts in der künftigen Regierung bekanntgemacht und hatte dafür viel Kritik geerntet.
Quelle: AFPDer rechtspopulistische Parteichef Jordan Bardella forderte umgehend Neuwahlen. Dies hatte Macron bislang ausgeschlossen. Hintergrund der Regierungskrise ist der Streit um den Haushalt für das kommende Jahr, in dem Frankreich angesichts seiner Staatsfinanzen massive Einschnitte bei öffentlichen Ausgaben bevorstehen.
Unter dem Motto "Lasst uns alles blockieren" wurde in Frankreich gegen die Regierung und geplante Sparmaßnahmen protestiert.
10.09.2025 | 1:23 minZDF-Korrespondent: "So etwas gab es noch nicht"
"Das ist ein unerhörter Vorgang in der Geschichte der fünften französischen Republik. So etwas gab es noch nicht. Nicht einmal einen Tag, nachdem er sein neues Kabinett vorstellte, ist Frankreichs Premierminister Geschichte", ordnet Frankreich-Korrespondent Thomas Walde die Lage ein.
"Sébastien Lecornu musste nach heftigen, ablehnenden Reaktionen erkennen, dass er keinen politischen Handlungsspielraum hat", so Walde weiter.
Selbst sein eigener Innenminister kritisierte die Zusammensetzung des Kabinetts.
Thomas Walde, ZDF-Korrespondent
Präsident Macron im Dilemma: Lecornus Vorgänger Bayrou musste nach der verlorenen Vertrauensabstimmung seinen Rücktritt einreichen.
09.09.2025 | 1:35 min"Stimmen der Opposition ließen erkennen, dass die Minderheitsregierung von Lecornu kaum eine Chance hatte, den dringend benötigten neuen Haushalt durch das Parlament zu bekommen", erklärt Walde. Präsident Macron, "der mit der Zusammenstellung der Regierungsmannschaft aus alten Getreuen eine Wagenburgmentalität erkennen ließ", sei politisch schwer beschädigt.
Frankreich ist derzeit nicht handlungsfähig. Die politische Lage in Frankreich ist instabil, ein Ausweg nicht erkennbar.
Thomas Walde, ZDF-Korrespondent
Lecornu erst vor vier Wochen zum Premier ernannt
Der 39-jährige Lecornu war der fünfte Regierungschef in weniger als zwei Jahren. Macron hatte ihn erst Anfang September ernannt. Der Präsident ist jetzt gezwungen, erneut auf die Suche nach einem neuen Premierminister zu gehen. Aber auch die von ihm bislang ausgeschlossenen Neuwahlen werden nun wahrscheinlicher. Die neu ernannte Regierung bleibt vorerst geschäftsführend im Amt.
Bayrou hatte die Vertrauensfrage im September verloren. Was der Regierungssturz für Frankreich und Europa bedeutete, analysierte ZDF-Korrespondent Thomas Walde.
08.09.2025 | 1:28 minDer Rücktritt von Lecornu wirkte sich auch auf die Börse in Paris aus: Der Index CAC40 stürzte am Vormittag um fast zwei Prozent ab.
Die Vorgängerregierung unter François Bayrou stürzte bei einer Vertrauensfrage im Streit um den geplanten Sparhaushalt. Das Land hat mit rund 3,3 Billionen Euro die höchsten Schulden in der Europäischen Union.
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