Geheimdienste warnen vor Einsatz von Chemiewaffen durch Russland

Geheimdienste schlagen Alarm:BND: Russland setzt mehr auf Chemiewaffen

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Russland verstößt nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste gegen das internationale Chemiewaffenverbot. Der Einsatz tödlicher Kampfstoffen sei zur Standardpraxis geworden.

Entsorgung von chemischen Waffen (Archivbild)
Entsorgung von chemischen Waffen (Archivbild)
Quelle: photothek

Nach übereinstimmenden Berichten des Bundesnachrichtendienstes (BND), des niederländischen Militärnachrichtendienstes MIVD und des Allgemeinen Nachrichtendienstes der Niederlande (AIVD) verstößt Russland massiv gegen das internationale Chemiewaffenübereinkommen. In einer gemeinsamen Erklärung warnten die Dienste vor dem systematischen Einsatz chemischer Kampfstoffe im Ukraine-Krieg - insbesondere von Tränengas und dem hochgefährlichen Stoff Chlorpikrin.
Chlorpikrin, auch bekannt als Trichlornitromethan, wurde bereits im Ersten Weltkrieg als Lungenkampfstoff verwendet. In hoher Konzentration kann es in geschlossenen Räumen tödlich wirken. Sein Einsatz sei nach Einschätzung der Dienste ein "ernster Verstoß" gegen das Chemiewaffenübereinkommen, das den Gebrauch solcher Mittel unter allen Umständen verbietet.
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BND: "Chlorpikrin ist zur Standardpraxis geworden"

Die Geheimdienste stellen in ihrer Analyse klar: Der Einsatz chemischer Substanzen sei keine Ausnahme mehr, sondern mittlerweile "Standardpraxis" der russischen Streitkräfte. Nach Angaben der ukrainischen Regierung wurden seit Beginn des Krieges im Februar 2022 über 9.700 Einsätze chemischer Kampfmittel dokumentiert. Mindestens drei Todesfälle seien direkt auf die Wirkung dieser Stoffe zurückzuführen. Indirekt, so die Dienste, fordern sie deutlich mehr Opfer, da sie ukrainische Soldaten zwingen, ihre Deckung zu verlassen - woraufhin sie durch konventionelle Waffen getötet werden.
Insbesondere der Abwurf der Substanzen durch Drohnen und Granaten wird von Kiew als gefährliche Eskalation gesehen. Auf einer Informationsveranstaltung für Militärattachés in Kiew bestätigte der ukrainische Generalstab im Mai, dass Russland bislang keine tödlichen Substanzen im engeren Sinne eingesetzt habe. Doch auch der Einsatz von Tränengas, so die ukrainische Seite, verstoße gegen das Völkerrecht - insbesondere gegen die Genfer Konventionen.
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Russland baut Chemiewaffenprogramm offenbar gezielt aus

Neben dem laufenden Einsatz chemischer Mittel betonen die westlichen Geheimdienste auch eine besorgniserregende Entwicklung in Russlands Militärstrategie: Laut BND, MIVD und AIVD investiere Russland massiv in die Weiterentwicklung seines Chemiewaffenprogramms. Die Rekrutierung neuer Wissenschaftler sowie die Ausweitung der Forschung seien klare Indizien für ein systematisches Vorgehen.
Die russische Führung sowie ihre radiologischen, chemischen und biologischen Abwehrtruppen würden den völkerrechtswidrigen Einsatz aktiv fördern. Dies zeige, so die Warnung der Dienste, dass chemische Waffen in Russlands Militärdoktrin zunehmend enttabuisiert und einsatzfähig gemacht werden.
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Russland verstößt nach Angaben des US-Außenministeriums gegen die Chemiewaffenkonvention der Vereinten Nationen. Der Einsatz solcher Waffen sei dabei "kein Einzelfall", hieß es schon 2024.02.05.2024

Politische Reaktionen: "Eine Bedrohung für Europa und die Welt"

In Den Haag informierte der niederländische Verteidigungsminister Ruben Brekelmans das Parlament über die Erkenntnisse. Er sprach von einer "völlig inakzeptablen" Entwicklung und warb für eine "unverminderte militärische Unterstützung der Ukraine". Zudem forderte er weitere Sanktionen und die internationale Isolation Russlands.
Der russische Einsatz senke die globale Hemmschwelle für chemische Kriegsführung und stelle eine wachsende Gefahr nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa und die internationale Ordnung dar.
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Quelle: Reuters, AP, dpa
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