Ex-US-General zum Militärbündnis:Hodges: Deutschland muss in der Nato vorangehen
von Ines Trams
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Seit 70 Jahren ist Deutschland Nato-Mitglied. Ex-US-General Ben Hodges zur künftigen deutschen Rolle im Militärbündnis und seine Erwartungen an die Bundesregierung.
Die Nato ist in diesem Jahr 76 geworden. Zwar bekennen sich die USA zur Allianz, doch Handelsstreit und neue Forderungen trüben die Einigkeit deutlich. Aber es gibt auch positive Signale aus Washington.05.04.2025 | 2:50 min
Im Mai 1955 trat die Bundesrepublik Deutschland offiziell der Nato bei. 70 Jahre später steht das Militärbündnis vor enormen Herausforderungen, und die Erwartungen an Deutschland sind groß.
Im Interview mit ZDFheute spricht Ben Hodges, ehemaliger Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa, darüber, wie die künftige Rolle Deutschlands aussehen könnte, was er vom wahrscheinlichen künftigen Kanzler Friedrich Merz (CDU) erwartet und wie sich das Verhältnis Europas zu den USA unter Präsident Donald Trump entwickelt.
Quelle: ZDF/Jule Roehr
... war für die US-Armee auf verschiedenen Positionen tätig, unter anderem bei mehreren Auslandseinsätzen. Zuletzt war er von 2014 bis 2017 Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa. Der 67-Jährige lebt heute mit seiner Frau in Frankfurt am Main.
ZDFheute: 70 Jahre ist Deutschland in der Nato. Wie schauen Sie auf die deutsche Rolle im Rückblick?
Ben Hodges: Meine erste Begegnung mit der Bundeswehr war 1981, als ich als frischgebackener Leutnant in Garlstedt im Norden Deutschlands stationiert war. Ich erinnere mich noch gut, dass die Bundeswehr damals die beste Armee Europas war.
Sie war riesig, sehr gut ausgerüstet, hatte bessere Panzer. Ich war sehr beeindruckt von ihrer Professionalität und der Art, wie sie ihre Aufgaben erfüllte. Dieses sehr positive Bild der Bundeswehr habe ich bis heute im Kopf.
Natürlich haben sich die Zeiten geändert: Nach dem Ende des Kalten Krieges haben alle Nationen, auch meine eigene, ihre Präsenz und Kampfkapazitäten in Europa deutlich reduziert.
Was heute fehlt, ist das, was wir 'Kultur der Einsatzbereitschaft' nennen würden - das 'mind-set', jederzeit kämpfen zu können.
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Ben Hodges, ehemaliger Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa
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ZDFheute: Wie sehen Sie die Rolle, die Deutschland heute in der Allianz spielt? Könnte oder sollte diese Rolle wachsen, falls sich die USA allmählich zurückziehen?
Hodges: Es gibt eine Erwartung, dass das größte und wirtschaftlich stärkste Land Europas in der Nato auch eine entscheidende Rolle innerhalb der Allianz und der Sicherheitsstruktur Europas spielt - so wie es auch in der europäischen Wirtschaftsstruktur eine entscheidende Rolle spielt.
Ich würde also nicht sagen, dass die Erwartungen an Deutschland davon abhängen, ob die USA bleiben oder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Konkret gibt es Dinge, die Deutschland tun kann und tun sollte - auch aufgrund seiner geographischen Lage.
Deutschland ist das logistische Drehkreuz der Nato. Fast alles, was im Krisenfall oder zur Abschreckung oder im normalen Betrieb an die Ostflanke der Nato gebracht werden muss, muss durch Deutschland transportiert werden.
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ZDFheute: Ist denn Deutschland willens, diese Rolle anzunehmen?
Hodges: Ich weiß, dass viele meiner deutschen Freunde in Frankfurt, wo ich lebe, sagen: "Darüber wollen wir nicht reden", sie möchten nicht als Führungsmacht gesehen werden. Ich denke jedoch, dass Deutschlands Rolle darin bestehen sollte, mit gutem Beispiel voranzugehen.
Man muss nicht mit einer Fahne herumwedeln und sagen: 'Ich bin der Anführer.' Man macht es einfach. Und so sehe ich auch Deutschlands Rolle in Europa: indem es handelt.
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Ben Hodges, ehemaliger Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa
Ein großartiges Beispiel war die Entscheidung, die Battlegroup nach Litauen zu entsenden. Ihr wart die Ersten. Und das hat enormen Druck auf alle anderen ausgeübt. Also: handeln. Ich denke, das wird Europa wirklich voranbringen.
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ZDFheute: Gibt es diesen politischen Willen bei der sich bildenden neuen schwarz-roten Regierung?
Hodges: Was ich von Herrn Merz gehört habe, gibt mir Vertrauen, dass er bereit ist, Deutschland in diese Richtung zu führen. Natürlich wird man nie 100 Prozent Zustimmung erreichen.
Aber was ich gesehen habe, ist, dass, wenn unsere Politiker mit uns reden, als wären wir Erwachsene, und erklären, worum es geht, was es kosten wird und warum wir handeln müssen, die meisten Menschen - selbst wenn sie sich beschweren - es letztlich verstehen und es tun.
Ich habe großes Vertrauen, dass die deutsche Bevölkerung, wenn sie spürt, dass ihre Politiker sie ernst nehmen, bereit ist, die Risiken und Kosten zu akzeptieren und voranzugehen. Also: Ja.
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ZDFheute: Deutschland wird die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse lösen. Was braucht es abseits von Geld, um Verantwortung zu übernehmen?
Hodges: Einsatzbereitschaft - das muss die erste Priorität sein. Für jeden Verteidigungsminister ist das Aufgabe Nummer eins: Über Einsatzbereitschaft zu sprechen, sie zu betonen und aufzubauen.
Bist Du bereit, Deinen Auftrag heute Nacht zu erfüllen, wenn es nötig ist? Kannst Du das? Hast Du genug Personal? Sind sie ausgebildet? Hast Du die nötige Munition, den Treibstoff, die Ersatzteile? Verfügst Du über ausreichende Fähigkeiten?
Es geht also nicht nur darum, neue Ausrüstung zu kaufen. Es geht um Ausbildung, Bildung und die gezielte Rekrutierung.
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Ben Hodges, ehemaliger Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa
ZDFheute: Was passiert, wenn Europa - speziell Deutschland - es nicht schafft, seine Rolle zu stärken und mehr Verantwortung für die Sicherheit in Europa zu übernehmen?
Hodges: Leider erscheint es mir so, dass die Trump-Administration keinerlei Respekt für Deutschland oder Europa insgesamt hat.
Teilweise liegt das daran, dass sie den Eindruck haben, trotz offensichtlicher Bedrohungen hätten zu viele europäische Staaten versucht, sich hinter den USA, Polen oder den baltischen Staaten zu verstecken.
Ich glaube, diese Administration hat deshalb keinen Respekt, was sich auch darin zeigt, dass sie Europa bei den Verhandlungen über die Ukraine nicht einbezogen hat. Ihre Haltung war: "Warum sollten wir Euch einen Platz am Tisch geben? Ihr tut doch nichts." Das entspricht zwar nicht der Realität, aber ich denke, es ist die Wahrnehmung.
Und wenn Deutschland es jetzt nicht schafft, diesen Moment zu nutzen, wird das in den Augen der Trump-Administration nur bestätigen, dass Deutschland kein ernstzunehmendes Land ist.
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Ben Hodges, ehemaliger Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa
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ZDFheute: Friedrich Merz, der wahrscheinliche nächste Kanzler hat gefordert, dass wir eine unabhängige europäische Verteidigungspolitik erreichen. Uns lossagen von den USA. Ist das realistisch?
Hodges: Zunächst einmal denke ich, dass wir in den Vereinigten Staaten es noch sehr lange bereuen werden, dass Europa genau das tun wird - dass wir so viel Einfluss in Europa verlieren werden, der uns über Jahrzehnte Vorteile gebracht hat.
Und wenn jemand wie Friedrich Merz - wahrscheinlich der transatlantischste Politiker Deutschlands - so etwas sagt, dann bedeutet es, dass er erkennt:
Deutschland muss handeln, um seine Bevölkerung, seine strategischen Interessen zu schützen.
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Ben Hodges, ehemaliger Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa
Und das ist für mich das Traurige: Dass Merz die USA nicht mehr unbedingt als Teil dieser Wertegemeinschaft sieht oder sieht, dass es künftig nicht mehr so sein könnte. Und ich finde das für uns bedauerlich. Aber wenn man sich die Lage heute ansieht, muss ich leider sagen: Merz hat wahrscheinlich recht.
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ZDFheute: Zum aktuellen sogenannten "Friedensplan" von US-Präsident Donald Trump für die Ukraine, einige nennen es "Diktatfrieden." Was sollte Europa und was sollten wir von deutscher Seite aus jetzt tun?
Hodges: Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass eine US-Regierung sich auf die Seite des Kremls stellt, gegen ein demokratisches Land. Ich kann es nicht erklären, und es ist auch nicht zu rechtfertigen. Europa und die Ukraine sollten sich sofort von diesem Deal distanzieren. Er bringt nur dem Kreml etwas.
Deutschland muss Europa anführen oder gemeinsam mit Frankreich und dem Vereinigten Königreich sicherstellen, dass die Ukraine weiterhin alles bekommt, was sie braucht, um sich jetzt und in Zukunft verteidigen zu können.
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Ben Hodges, ehemaliger Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa
Das Interview führte Ines Trams, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.
Quelle: dpa
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