Aserbaidschan und Armenien: Wer profitiert vom Friedensdeal?
Interview
Aserbaidschan und Armenien:Wer profitiert vom Friedensdeal tatsächlich?
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Unter Vermittlung der USA haben Aserbaidschan und Armenien einen Friedensdeal unterzeichnet. Ein Erfolg für Trump und eine klare Niederlage für Russland und Iran, sagt ein Experte.
Die Karten im Südkaukasus würden durch den Deal zwischen Armenien und Aserbaidschan neu gemischt, so Marcel Röthig von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Das Treffen sei "historisch". 09.08.2025 | 12:40 min
Der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien ist hasserfüllt und Jahrzehnte alt. Doch das könnte der Geschichte angehören. Beide Länder haben in der Nacht einen Friedensdeal beschlossen, initiiert von US-Präsident Donald Trump.
Im Interview erklärt Marcel Röthig von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tiflis, warum das Abkommen ein historischer Schritt ist, ob es nun endgültigen Frieden gebe und warum die Führungen in Moskau und Teheran gar nicht glücklich sein dürften.
Sehen Sie oben das komplette Interview oder lesen Sie es nachfolgend in Auszügen und Zusammenfassung.
"Historisch und sehr hoffnungsstiftend"
Für Experte Röthig ist das unterzeichnete Abkommen "tatsächlich historisch". In so einer Dimension habe es das noch nicht gegeben, die Wortwahl sei hoffnungsstiftend. Zu einem richtigen Frieden sei es aber natürlich noch ein langer Weg.
Es bedeutet nicht nur einen Schritt zum Frieden, sondern auch, dass die Karten hier im Südkaukasus insgesamt gerade kräftig neu gemischt werden.
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Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung
Röthig spricht von einem großen Schritt. Es gebe nun mehr wirtschaftliche Vernetzung, eine kommerzielle Präsenz der USA in Armenien und einen beidseitig erklärten Gewaltverzicht.
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Das sind die Gewinner des Friedensdeals
Teil des Deals ist auch die Einrichtung eines strategischen Transitkorridors, die "Trump Route for International Peace and Prosperity" (TRIPP), durch den Südkaukasus. Damit würde Aserbaidschan, das sich seit Jahren für eine solche Route einsetzt, eine direkte Landverbindung durch armenisches Staatsgebiet mit der autonomen Republik Nachitschewan erhalten. Das hätte zur Folge, dass Armenien im Süden nicht mehr direkt an Iran grenzen würde.
Für Experte Röthig ist deshalb Aserbaidschan der große Gewinner des Deals. Das Land habe seine Maximalforderung erreicht. Es habe jetzt eine Verbindung zur Türkei und damit einen freien Handelsweg "vom Mittelmeer bis ans Kaspische Meer und dann weiter bis nach Zentralasien", analysiert er.
Der Korridor soll Aserbaidschan durch armenisches Territorium hindurch mit Nachitschewan verbinden.
Quelle: ZDF
Doch auch für Armenien sei das ganze ein Erfolg. Die us-amerikanische Wirtschaftspräsenz bedeute Entspannung. Das Land habe keinen Zugang zum Meer, eine geschlossene Grenze zur Türkei und eine massive Abhängigkeit von Russland, erklärt Röthig.
Möglicherweise kann Armenien jetzt im Nachgang, wenn das finale Friedensabkommen ausgehandelt oder unterschrieben wurde, dann auch die Grenze zur Türkei öffnen.
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Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung
Komme es in Folge des Friedensabkommens auch zu einer Entspannung zwischen Türkei und Armenien, gebe es keine Rechtsgrundlage mehr, dass weiterhin russisches Militär in Armenien stationiert sei, sagt der Experte.
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Das sind die Verlierer des Friedensdeals
Und so ist für den Experten der Friedrich-Ebert-Stiftung auch eindeutig: "Die Verlierer des gestrigen Tages sind ganz klar Moskau und Teheran." Die beiden Länder könnten aktuell wenig dagegen tun. Iran sei aktuell geschwächt "wie noch nie" und Russland in der Ukraine geschwächt und gebunden, so Röthig.
Es ist eben ein Zeichen: Russlands Vorherrschaft im Südkaukasus und auch die Ordnungsmacht, die Russland hatte - diese Zeit ist vorbei, die gibt es nicht mehr.
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Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung
Im armenisch-aserbaidschanischen Waffenstillstandsabkommen von 2020 habe noch gestanden, dass Russland den Korridor bilden soll. Jetzt sei davon keine Rede mehr. Röthig resümiert: "Russland ist raus aus dem Spiel". Auch die Beziehungen des Kreml zu den beiden Ländern seien schlecht.
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Kurzfristiger Effekt oder langfristige Lösung?
Trump hat mit seinem Deal mindestens medienwirksam triumphiert. Es gehe dem US-Präsidenten ja auch darum, "kurzfristig einen Effekt zu erzielen oder kurzfristig eine Show abzuziehen", sagt der Experte. Auch hätten die beiden Seiten um die Gunst des US-Präsidenten gebuhlt - sprachen von Friedensnobelpreis.
Es ist ein Schritt, keine Frage, aber es ist eben noch nicht der finale Punkt unter dem Konflikt.
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Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung
Da es seit 35 Jahren tausende Tote gegeben habe, sei man von Aussöhnung der Nachbarn aber noch "sehr, sehr weit weg", so Röthig. Es sei ein Siegfrieden Aserbaidschans, den die USA besiegelt hätten. Armenien habe das Glück, mit Nikol Pashinyan einen pragmatischen Premierminister zu haben.
Quelle: ZDF
Der Konflikt um Bergkarabach ist Jahrzehnte alt. Das weitgehend von Armeniern besiedelte Gebiet unterstand einst armenischen Fürsten, ehe es Anfang des 19. Jahrhunderts an das russische Zarenreich fiel. Mit Gründung der Sowjetunion wurde das Gebiet aufgeteilt. 1923 fiel ein Teil an die aserbaidschanische Sowjetrepublik, das Kernland wurde ein autonomer Bezirk.
1988 stellte das Gebiet den Antrag, von der Unionsrepublik Aserbaidschan zur Unionsrepublik Armenien zu wechseln. Nach Zerfall der Sowjetunion wurde 1992 die Republik Bergkarabach ausgerufen. Sie ist allerdings diplomatisch von keinem Staat anerkannt - auch nicht von Armenien.
Seitdem gibt es immer wieder blutige Kämpfe mit inzwischen mehreren Zehntausend Toten. Beide Seiten werfen sich Völkermord vor. 2020 kam es erneut zu einem Krieg um die Region, in dessen Folge Aserbaidschan die Kontrolle über weitere Teile gewann. Und im September 2022 hat Aserbaidschan armenisches Kernland angegriffen - mit mehr als 200 Toten auf armenischer Seite und dokumentierten Kriegsverbrechen.
Doch auch er stehe unter Druck. Am Abend kam für ihn bereits scharfe Kritik aus der armenischen Opposition. Die sei "in großen Teilen moskaunah", erklärt der Experte. Doch damit der Friedensdeal auch tatsächlich in Kraft tritt, braucht es eine Verfassungsänderung Armeniens. Ob die Regierung dafür ein Quorum zusammenkriege und auch die rund 100.000 Menschen erreiche, die 2023 vertrieben wurden, sei fraglich. Und im kommenden Jahr wird in Armenien gewählt.
Das Interview führte ZDF-Moderator Marc Burgemeister. Zusammengefasst hat es ZDF-Redakteur Kai Remen.