KI in der Medizin: Nie mehr krank - oder lebensfremd?

Debatte bei "Markus Lanz":Nie mehr krank mit KI: Wie lebensfremd ist das?

von Felix Rappsilber
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Schon jetzt sei KI in der Lage, Befunde präziser zu erkennen als "viele Radiologen", sagt Arzt André Nemat bei "Lanz". Langlebigkeit könne dadurch künftig Realität werden.

Markus Lanz vom 27. Mai 2025: Markus Lanz, Alena Buyx, Manfred Lütz, Eugen Brysch, André Nemat
Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 27. Mai 2025 in voller Länge.27.05.2025 | 75:16 min
"Wir können auf der Basis unserer Daten einen digitalen Zwilling erstellen, der Daten schon pränatal über unseren gesamten Lebenszeitraum sammelt und uns irgendwann mal zur Verfügung steht, um Vorhersagen möglich zu machen" - was klingt wie Science-Fiction, prophezeit André Nemat als Zukunft der Medizin.
Der Arzt und KI-Experte sagte am Dienstagabend bei "Markus Lanz":

Ich würde erwarten, dass mir mein digitaler Zwilling bereits so frühzeitig Möglichkeiten eröffnet, wie ich etwas verhindern kann, dass wir Prävention in einer ganz anderen Dimension erleben werden.

André Nemat, Arzt und KI-Experte

Denn: "Wenn wir ehrlich sind, wollen wir gar nicht erst krank werden, um behandelt werden zu müssen." Würde man den digitalen Zwilling als "Crashtest-Dummy" einsetzen, stelle sich die Frage: "Warum muss ich denn dann noch erkranken? (...) Dann sprechen wir wirklich von einem Paradigmenwechsel in der Medizin."

Dann werden Dinge wie Longevity, Langlebigkeit, wirklich Realität.

André Nemat, Arzt und KI-Experte

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Lütz: Digitaler Zwilling ist lebensfremd

Psychiater Manfred Lütz erwiderte: "Das klingt zwar schön, dass man alles weiß, was im Leben passiert, aber es ist sehr lebensfremd."

Das Leben besteht darin, dass man es lebt.

Manfred Lütz, Psychiater

Und weiter: "Wenn ich das ganze Leben damit beschäftigt bin, nur vorbeugend zu leben, (...) dann werde ich vielleicht fünf Jahre älter, aber habe von morgens bis abends nur Diät gegessen, bin durch die Wälder gerannt und habe keinen Spaß am Leben."
Dieser Jugendwahn führe dazu, dass "jeder, der etwas älter ist, abgewertet wird". Wenn man den Alterungsprozess voraussage, stehe das ganze Leben unter dem Schatten dieser Vorhersage. Lütz beharrte:

Man kann eben nicht allem vorbeugen, insbesondere dem Tod nicht.

Manfred Lütz, Psychiater

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Nemat: KI mit hohem Reifegrad

Der medizinische Diskurs über Künstliche Intelligenz drehe sich bislang um die Fragen, ob man sie einsetzen müsse, welche Vor- und Nachteile sie mit sich bringe, kritisierte Nemat.
Er führte Computertomographie und Röntgenbilder als Beispiele an. In der Regel würden Fachärzte für Radiologie "mit einer gewissen Erfahrung" versuchen, Muster im Vergleich mit Normalbefunden zu erkennen.
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Er sagte: "Diese Fähigkeit hat aber die KI weitaus besser entwickelt, als wir das als Menschen tatsächlich machen können. (...) Sie erkennt pathologische Befunde, unnormale Befunde, genauer, präziser als viele Fachärzte für Radiologie."
Weil die KI in der Mustererkennung mittlerweile einen "so hohen Reifegrad" erreicht habe, müsse man sich umgekehrt die Frage stellen:

Wenn wir für unsere Patientinnen und Patienten wirklich die beste Diagnostik und die beste Therapie wollen, können wir es uns eigentlich erlauben, die KI nicht mehr einzusetzen?

André Nemat, Arzt und KI-Experte

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Buyx: KI für "langweiligen Quatsch" einsetzen

Alena Buyx, ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, sprach sich mit Blick auf den demografischen Wandel für die Nutzung von KI-Anwendungen aus:

Wenn [diese Instrumente] richtig gut funktionieren, müssen wir die benutzen, weil wir im Gesundheitswesen Herausforderungen haben.

Alena Buyx, ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates

Buyx weiter: "Wir werden immer älter und wir müssen schauen, dass wir den Laden am Laufen halten." Sie verwies auf die Bürokratie im Gesundheitswesen: "Ich würde mir wirklich wünschen, wir würden KI (...) für den ganzen langweiligen Quatsch einsetzen: die ganze Dokumentation, die Überwachung, all das, was Ärztinnen und Ärzte vom Patienten weg hält."
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Die Frage der Verantwortung

Markus Lanz konfrontierte Buyx mit einem Gedankenspiel: Die KI diagnostiziert einem Patienten einen bösartigen Tumor. Er rechnet mit seinem Tod, weswegen er sich das Leben nimmt. Doch die KI hat sich geirrt. Wer übernimmt die Verantwortung?
"Das kann nur eine geteilte Verantwortung sein. (...) Aber die Letzt- und Gesamtverantwortung muss beim Arzt oder bei der Ärztin liegen", antwortete Buyx, um anschließend zu erklären:

Das sind nicht Systeme, die denken. Das sind nicht Systeme, die Menschen im Gesamtbild erkennen. Das sind nicht Systeme, die eine echte klinische Führung übernehmen können.

Alena Buyx, ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates

Buyx weiter: "Und wenn die gut genug sind, dann sollten Ärzte die nicht ignorieren dürfen."

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