ÖPNV-Modernisierung: Hamburg testet U-Bahnen im 100-Sekunden-Takt

Engere Taktung mit neuer Technik:Hamburg testet U-Bahnen im 100-Sekunden-Takt

Sven Rieken
von Sven Rieken
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Vor der Nase schließen die Türen und die Bahn fährt los, nächster Zug in zehn Minuten - ärgerlich. Hamburg möchte das ändern: Nächster Zug in 100 Sekunden, so lautet das Ziel.

Hamburg: Eine U-Bahn fährt in den Bahnhof Schlump ein.
In Hamburg sollen sich die Wartezeiten auf den U-Bahn-Strecken dank einer modernen Technik verkürzen (Archivbild).
Quelle: dpa

Ein kleiner Blick zwei Jahre in die Zukunft: Die Revolution auf der Schiene sieht aus wie Stau auf der Autobahn - vom Ende der einen U-Bahn ist der nächste Zug schon zu sehen. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht fahren die Züge der Linie U2 und U4 in Hamburg auf dem neuesten, ersten Bauabschnitt der Strecke. "Unser Ziel", erklärt Projektleiter Jan Bremen, "alle 100 Sekunden kommt eine Bahn". Das sei, so der Hochbahn-Abteilungsleiter, bislang aus Sicherheitsgründen überhaupt nicht möglich gewesen.
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Derzeitige Technik erlaubt engere Taktung nicht

Und damit wieder zurück in die Gegenwart. Zurzeit darf auf jedem Gleisabschnitt, einem Block, immer nur eine U-Bahn fahren - aus Sicherheitsgründen. Fährt ein zweiter Zug in den Block, bremst das Sicherheitssystem den Zug automatisch ab, ein unfreiwilliger Stopp auf freier Strecke. Es entsteht ein Stau, weil dann alle Züge dahinter ebenfalls abgebremst werden.
"Die Zugführer bekommen deshalb immer ihre Geschwindigkeit vorgegeben", erläutert Christoph Kreienbaum vom Betreiber der U-Bahnen in Hamburg, der Hochbahn. So kommen sich die Züge nie zu nahe. Um aber die Taktung deutlich zu erhöhen, müssen die Züge viel dichter hintereinander fahren.
Auf der Zielanzeige eines Linienbusses des Nahverkehrsbetriebs im Landkreises Ludwigslust-Parchim wird der Schriftzug «Autonom in die Zukunft» angezeigt. Mit einem Auftaktworkshop wird das «Kompetenzzentrum autonomes Fahren im ländlichen Raum» gestartet. Ziel ist der Einsatz von fahrerlosen Fahrzeugen als Rufbus für einen flexiblen öffentlichen Nahverkehr in ländlichen Gebieten. (zu dpa: «Fahrerlos durch die Stadt: Autonomes Fahren im ÖPNV
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400 Positionssender für die Ortung

Erste Voraussetzung: die Ortung der Fahrzeuge. Damit die Züge ihre Position auch im Tunnel genau bestimmen, müssen als erstes im Gleisbett kleine Positionssender verbaut werden, sogenannte Balisen - das französische Wort für Boje oder Markierung. 400 sind auf dem ersten Abschnitt der Linien U2 und U4 geplant, die in zwei Jahren den Anfang machen sollen.
Die Steuertechnik hinter den autonom fahrenden Zügen nennt sich CBTC. Das steht für Communication-Based Train Control. Entscheidend ist also, dass sich die Züge permanent untereinander und mit der Leitstelle unterhalten. "Dafür muss das System fehlerfrei arbeiten", fügt Projektleiter Jan Bremen hinzu. In Hamburg testet die Hochbahn die Technik auf einem extra Gleis, das parallel zur Linie U1 verläuft.
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Vorbild: Kopenhagen und London

Die Vorbilder für diese erste Nachrüstlösung sind die Metros in Kopenhagen und London. Dort gibt es bereits komplett fahrerlose Strecken. Wird eine Linie von Anfang an fahrerlos gebaut, ist die enge Taktung kein Problem. Auch Hamburg baut derzeit mit der U5 eine komplett autonome, also fahrerlose Linie.
Bei den Moving Blocks geht es aber um die Nachrüstung der vorhandenen Strecken. Die "Elizabeth Line" in London oder die S-Bahn in Kopenhagen wurden so nachgerüstet. "Mit der Automatisierung des Bestandnetzes werden wir ein neues Niveau erreichen", erklärt Hochbahn-Technik-Vorstand Jens-Günter Lang die Nachrüstlösung, "werden wir ein neues Niveau erreichen." Eben Züge, die einen maximalen Abstand von 100 Sekunden auf der Strecke haben.
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Kapazität könnte sich um 45.000 Fahrgäste am Tag erhöhen

Für den ersten geplanten Abschnitt der Moving Blocks könnte die Kapazität der Strecke um bis zu 50 Prozent steigen. Im konkreten Fall von U2 und U4 von jetzt 90.000 auf dann 135.000 Fahrgäste. Die Fahrer in den Zügen steuern dann zwar noch den Ein- und Ausstieg an den Bahnhöfen. Auf den Strecken dazwischen übernimmt aber der Computer.
So weit die Theorie. In der Praxis müssten also mehr als 40.000 Menschen am Tag auf die Bahn umsteigen. Angelockt von dem Versprechen, nicht mehr 2,5 Minuten auf den nächsten Zug warten zu müssen, sondern nur noch 1,5.
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Kosten: 200 Millionen Euro

Diese Fahrgastwette auf die Zukunft lässt sich das Hamburger Nahverkehrsunternehmen eine Menge kosten. 200 Millionen Euro wird das Projekt "Moving Blocks" bis 2029 brauchen, dann ist die komplette Strecke der beiden betroffenen U-Bahn-Linien mit der neuesten Technik ausgestattet. Entlang der 21 Haltestellen müssen die Ingenieure eine Menge Technik nachrüsten. Auch die 163 U-Bahnzüge der aktuellen Baureihe brauchen ein Upgrade.
Das große Ziel dahinter ist ein Versprechen, das die Hansestadt einlösen möchte: den Hamburg-Takt. Meint: Jede und jeder in der Stadt soll in weniger als fünf Minuten ein Nahverkehrsangebot erreichen und losfahren können. Den Weg zur Haltestelle also inklusive.
Und damit dann eben schon der nächste Zug in den Bahnhof einfährt, wenn der verpasste gerade raus ist, sollen die Moving Blocks die U-Bahnen schneller machen. Das alles ab 2030 - in weniger als fünf Jahren also.
Sven Rieken ist Korrespondent im ZDF-Studio in Hamburg.

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