Immer mehr Dorfgasthöfe müssen aufgeben - Gründe und Folgen

Spagat zwischen Tradition und Moderne:Warum viele Dorfgasthöfe aufgeben müssen

von Antje Klingbeil

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Auf dem Land sind immer mehr Traditionskneipen zum Aufgeben gezwungen. Welche Rolle dabei steigende Kosten spielen und welche Bedeutung das Wirtshaus für die Gemeinschaft hat.

Ein Schankraum eines Gasthofes

Viele Gaststätten in Brandenburg kämpfen gegen das Aussterben. Zwischen 2010 und 2023 mussten fast ein Drittel aller Schankwirtschaften schließen. Die Politik will mit Förderungen dagegen halten.

09.12.2025 | 1:39 min

Aufgeben ist für Margrit Schulz keine Option. Sie ist seit knapp 40 Jahren Chefin im Gasthof Simke in Herzberg, einem Ortsteil der Gemeinde Rietz-Neuendorf in Brandenburg. Das Mobiliar erinnert an die Geschichte des Hauses, das es seit mehr als 200 Jahren als Familienunternehmen gibt.

"Wir haben schon die DDR überstanden, da gab es auch nicht alles", erzählt die Gastwirtin, die heute 76 Jahre alt ist. Während der Corona-Einschränkungen habe sie gekämpft und angesichts der aktuellen Krise gehe es wieder um die Zukunft, ergänzt sie. Dann verweist sie auf die gestiegenen Energiekosten.

Der Gasthof mit großem Saal muss ständig beheizt werden, sonst geht das Parkett kaputt.

Margrit Schulz, Wirtin Gasthof Simke in Ritz-Neuendorf

Das seien fast zehn Prozent des Umsatzes und somit eine echte Herausforderung, erläutert die Wirtin.

Themenfoto Flaute in der Gastronomie

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03.09.2025 | 3:01 min

Veränderte Arbeitsrealitäten in den Dörfern

So wie dem Betrieb von Margrit Schulz geht es vielen Gasthäusern im ländlichen Raum - deutschlandweit. In Brandenburg habe das Sterben direkt nach der Wende angefangen, erklärt Olaf Lücke vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Brandenburg.

Wir haben seit der Wende (...) mindestens 1.000 gastronomische Einrichtungen im ländlichen Raum verloren.

Olaf Lücke, Deutscher Hotel- und Gaststättenverband Brandenburg

Lücke ergänzt: "Wir hatten mal 1.900 (...), und davon gibt es vielleicht noch 500. Das ist dann schon gut geschätzt. Und daran sieht man den dramatischen Aderlass gerade in dieser Branche in den vergangenen Jahren." Die Ursachen seien vielfältig.

Viele hätten damals ihre wohnortnahen Jobs in den Dörfern verloren. Das Pendeln zur Arbeit und die langen Wege machten das traditionelle Feierabendbier dann einfach unattraktiv, sagt Lücke.

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Dreifachdruck: Weniger Gäste, Personalmangel, hohe Kosten

Heute gebe es zusätzliche Herausforderungen, berichtet Lücke. Das seien zunächst einmal die hohen Lebensmittelpreise, die in den letzten Jahren zum Teil um bis zu 30 Prozent gestiegen seien. "Und das ist ja nicht so, wie viele denken, dass die Gastronomen das irgendwo im Großmarkt billiger bekommen (…). Und natürlich die Personalkosten machen uns auch Sorgen."

Man müsse erst mal im ländlichen Raum noch Personal finden und wenn, dann sei es natürlich auch entsprechend teurer geworden. Und das könne sich dann auch nicht mehr jeder Gastronom leisten.

Auf dem Dorf kauft eben keiner ein Rumpsteak für über 40 Euro und geht da jeden Sonntag essen.

Olaf Lücke, Deutscher Hotel- und Gaststättenverband Brandenburg

Doch mit niedrigen Preisen fehle wiederum die Refinanzierung der gestiegenen Kosten für den Betrieb.

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Dehoga: Ohne Gasthof fehlt oft Herz der Dorfgemeinschaft

Das Aus für viele Gasthöfe sei auch ein Problem für die Gemeinschaft und den Zusammenhalt im Dorf, erläutert Lücke. "Es ist ein sozialer Treffpunkt. Wo will man sonst seine Familienfeier machen, seine Geburtstage, bis hin zur Beerdigung." Die Gasthäuser seien Gastgeber in allen Lebensphasen. Das fehle nun. Für den Vorsitzenden der Dehoga Brandenburg hat das Thema auch eine politische Dimension:

Wenn sich (...) junge Menschen nur noch mit einem Kasten Bier irgendwo in die Ecke setzen, in einer Scheune, am Grill, dann ist das eine andere Diskussionskultur, als wenn sie am Kneipentisch in einer Kneipenatmosphäre diskutieren.

Olaf Lücke, Deutscher Hotel- und Gaststättenverband Brandenburg

Es sei sicher jedem klar, dass man da anders miteinander diskutiere, als wie es jetzt immer stärker Raum ergreife.

Das findet auch Roland Holm, Bürgermeister in Bestensee. In seiner Gemeinde muss zum Jahresende die letzte verbliebene Dorfkneipe schließen - der Lindenhof in Pätz.

Es ist schon ein sehr harter sozialer Einschnitt. Viele Leute nutzen die Möglichkeit, in so einer Dorfkneipe nicht nur was zu essen und zu trinken, sondern auch, um sich auszutauschen.

Roland Holm, Bürgermeister von Bestensee

Dazu zählten etwa ältere Leute, die mal zum Skat oder Romméspielen gingen. Aber auch Jugendliche, die etwas Trinken gingen, "ohne, dass man dann halt mehrere 100 Euro am Ende des Abends auf den Tisch legen muss".

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Gasthof setzt auf geplante Feiern und Zimmervermietung

Nicht nur deshalb kämpfen sie hier im Gasthof Simke weiter - setzen auf neue Konzepte. Überleben würde das Traditionshaus heute hauptsächlich mit geplanten Feiern - seien es Geburtstage, Beerdigungen oder Weihnachtsfeiern. Vom Ausschank- und Tagesgeschäft könne sie schon lange nicht mehr leben, erzählt Margrit Schulz. Zudem setzt sie auf Zimmervermietung. Das habe ihr schon in der Corona-Zeit das Geschäft gerettet.

Nicht zuletzt habe sie das Glück, dass Tochter, Schwiegersohn und Enkelin nun hier arbeiten. Insofern schaut sie optimistisch in die Zukunft.

Über dieses Thema berichtete "heute in Deutschland" am 09.12.2025 ab 14 Uhr.
 

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