Geologe zu Blatten-Drama: "Bergstürze werden deutlich häufiger"

Interview

Geologe zu Blatten-Drama:"Bergstürze werden deutlich häufiger"

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An sich sind Bergstürze ein natürliches Phänomen in den Alpen, sagt Geologe Michael Krautblatter. In den vergangenen 15 Jahren nahmen sie aber aufgrund des Klimawandels zu.

Geologe Prof. Michael Krautblatter.
Felsstürze wie im Kanton Wallis habe es schon immer gegeben, erklärt Geologe Prof. Krautblatter. In den nächsten zehn bis 20 Jahren sei mit weiteren Fällen zu rechnen. 30.05.2025 | 16:40 min
Nach dem Gletscherabbruch in der Schweiz herrscht im betroffenen Lötschental weiter höchste Anspannung. Das Wasser in dem See, der hinter den herabgestürzten Eis- und Gesteinsmassen entstanden ist, stieg am Freitag weiter an.
Allerdings gab es auch Anlass zu leiser Hoffnung: Aus dem See begann Wasser durch den Schutt- und Geröllberg hindurch abzufließen, was die Gefahr einer zerstörerischen Riesen-Flutwelle senkte. Die Gefahr sei aber nicht vorbei, warnten die Behörden.
Am Mittwochnachmittag war ein großer Teil des Birchgletschers im Kanton Wallis abgebrochen. Rund drei Millionen Kubikmeter Gestein und Eis stürzten ins Tal und auf die Häuser im Dorf Blatten.
Bergstürze sind in den Alpen kein neues Phänomen, sagt Geologe Michael Krautblatter bei ZDFheute live. Sie treten jedoch seit rund 15 Jahren immer häufiger auf, auch in Folge des Klimawandels. Er spricht auch über die Langzeitfolgen für die Region.
Sehen Sie das ganze Interview mit Michael Krautblatter oben im Video oder lesen Sie es nachfolgend in Auszügen. Das sagt Krautblatter zu ...

... der Wahrscheinlichkeit von Bergstürzen:

Felsstürze wie in Blatten habe es schon immer gegeben, sagt Geologe Krautblatter. Er spricht von einem "ganz normalen Phänomen" und definiert einen Bergsturz als Abgang von über einer Million Kubikmetern Gestein. Diese Art von Abbruch gehe viel weiter und tiefer ins Tal, habe entsprechend auch längere Auslaufweiten.

Das Ökosystem in den Alpen ist schon immer davon geprägt, dass es solche Stürze gab.

Michael Krautblatter, Geologe

Das sei ein "natürlicher Bestandteil der Abtragung der Alpen". In den vergangenen 15 Jahren habe man jedoch häufiger Felsstürze beobachten können, inzwischen seien es hunderte.
Die Gefahr weiterer Abbrüche am Kleinen Nesthorn bleibe bestehen, wahrscheinlich noch für die nächsten Monate bis Jahre. Es brauche Zeit, bis sich wieder ein neues Gleichgewicht einstelle: "Es ist nicht so, dass jetzt alles runter ist und dann ist das Kleine Nesthorn stabil", warnt Krautblatter.
Die Auswirkungen auf umliegende Berge schätzt Krautblatter als "nicht so groß" ein. Während eines Bergsturzes gebe es zwar leichte, seismische Erschütterungen. Die seien jedoch kleiner als typische Erdbeben.
Ein Blick auf den abgelassenen Ferdener Stausee in Ferden. Ein großer Teil des Dorfes Blatten im Lötschental im Kanton Wallis wurde unter Massen von Eis, Schlamm und Felsen begraben.
Im Schweizer Lötschental fließt das aufgestaute Wasser ab - mit einer Gerölllawine wird nicht mehr gerechnet. Weitere Evakuierungen sind vorerst nicht geplant.31.05.2025 | 0:19 min

... zu der Rolle des Permafrosts:

Einige Experten gehen davon aus, dass auch das Auftauen des Permafrosts für Gletscherabbrüche wie in Blatten verantwortlich sein kann. Der beginnt ab 3.000 Meter Höhe.
Laut Krautblatter sind die Alpen ab 3.000 Meter Höhe gefroren. Der Frost sei quasi der "Kitt der Berge" - er halte das geklüftete Gestein besser zusammen. Damit würden die obersten 15 Meter stabilisiert. Taut der Frost, ändert sich laut Krautblatter auch die Druck- und Zugfestigkeit des Gesteins, sie sinke um 20 bis 40 Prozent. Damit würden große Abstürze wahrscheinlicher.
Blatten Erdsturz
Der Frost sei aber noch aus einem anderen Grund ein wichtiger Faktor für die Stabilität der Berge: Klüfte im Gestein seien eigentlich immer vom Eis versiegelt. "Das heißt, es kann kein Wasser rein", erklärt der Geologe. Weil aber das Eis mittlerweile schmelze, könne Wasser eindringen. So entstünden 20 bis 30 Meter hohe Wassersäulen in Gesteinsspalten, die enormen Druck ausübten.
Krautblatter fasst somit drei Faktoren zusammen, die im Zusammenspiel die Wahrscheinlichkeit für Felstabstürze erhöhen: Das Eis wird weicher, die Gesteinsfestigkeit nimmt ab und es gibt höhere Wasserdrücke.
Sandra Susanka in Wiler
Mit einer Flutwelle oder einer Schuttlawine rechnen die Behörden jetzt nicht mehr. Aus Wiler in der Schweiz berichtet Sandra Susanka. 31.05.2025 | 1:11 min

... zu den möglichen Folgen des Bergsturzes:

Das Dorf Blatten ist von rund neun Millionen Kubikmetern Material verschüttet, das den Fluss Lonza staut. Die Sedimentmassen sind laut Krautblatter von Eis durchsetzt. Dieser Umstand werde das Erscheinungsbild des Tals lange beeinflussen.
Zwar suche sich der Fluss jetzt einen neuen Weg. Bis der aber wieder ein richtiges Flussbett habe, vergehen laut dem Geologen wahrscheinlich Jahre und Jahrzehnte. Es komme darauf an, wie stark man nachhelfe.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind den Einsatzkräften die Hände gebunden. Das Gebiet ist zu instabil. Mit schwerem Gerät einzugreifen, um zum Beispiel eine Drainage zu legen, sei deshalb nicht möglich, erklärt Krautbaltter. Man sei drauf angewiesen, welchen Weg sich das Wasser "selber sucht".
Aus diesem Grund beobachten Experten die Eis- und Felszusammensetzung sehr genau. Man könne nur hoffen, dass das abfließende Wasser nicht an Eismassen vorbeigleite. Durch Reibungswärme könnten die auch schmelzen und eine Flutwelle auslösen.
Das Interview führte Victoria Reichelt, zusammengefasst hat es Michèle Mertes.
Quelle: ZDF, AFP

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