Baden-Württemberg:Forscher finden Hinweis auf Treibhausgas-Leck
von F. Obermaier, T. Schultz, S. Stahl, A. Weise
In Baden-Württemberg entweichen offenbar Dutzende Tonnen eines klimaschädlichen Gases - Forschende warnen, Behörden und der mutmaßliche Verursacher wiegeln derweil ab.
Über Jahre hinweg haben Forschende der Uni Frankfurt auffällig hohe Konzentrationen des klimaschädlichen Treibhausgases SF6 gemessen. Sie vermuten dahinter eine Firma aus Baden-Württemberg.
03.12.2025 | 3:18 minDer Chemiekonzern Solvay hat die Klimagas-Emissionen eines Standorts in Baden-Württemberg möglicherweise viel zu niedrig angegeben. Zuletzt meldete das Unternehmen offiziell einen jährlichen Ausstoß von lediglich 56 Kilogramm Schwefelhexafluorid (SF6). Das Treibhausgas gilt als klimaschädlichstes weltweit. Doch Messungen der Goethe-Universität Frankfurt legen nahe, dass es möglicherweise weit mehr ist. Sie messen rund 30 Tonnen SF6, die aus der Gegend des Chemiewerks von Solvay stammen.
Damit wäre der Standort für einen bedeutenden Teil der deutschlandweiten SF6-Emissionen verantwortlich. Solvay erklärte, es habe "alle notwendigen, wissenschaftlich fundierten Maßnahmen" ergriffen, "um die Situation zu bewerten und kontinuierlich zu überwachen". Ein Leck wollte das Unternehmen auf Anfrage nicht bestätigen.
SF6 gilt als das schädlichstes Treibhausgas der Welt. Es wirkt 24.000-mal stärker als CO2. Einmal in die Atmosphäre gelangt, bleibt SF6 dort mehr als 3.000 Jahre bestehen, was die Erderwärmung langfristig verstärkt. Wegen seiner extrem klimaschädlichen Wirkung sind Unternehmen in Deutschland verpflichtet, ihre SF6-Emissionen zu melden. Die vermuteten 30 Tonnen SF6-Emissionen aus Bad Wimpfen entsprechen circa 729.000 Tonnen CO2 - etwa so viel wie 250.000 Sportwagen mit Verbrennungsmotor pro Jahr verursachen. Wegen der Klimaschädlichkeit schränkt die EU die Verwendung von SF6 in den kommenden Jahren zunehmend ein.
Weltweit, so schätzen Wissenschaftler von der Universität in Wien, strömen pro Jahr etwa 10.000 Tonnen SF6 in die Atmosphäre. Während in der EU und den USA in den vergangenen Jahrzehnten SF6-Emissionen deutlich zurückgegangen sind, stiegen diese in China um das Vierfache an: auf geschätzte 5.160 Tonnen pro Jahr. Die USA sollen für etwa 480 Tonnen SF6 und die EU für 250 Tonnen pro Jahr verantwortlich sein.
Forschende schlagen Alarm
Über Jahre hinweg haben Atmosphärenchemiker der Universität in Frankfurt am Main an einer Messstation im Taunus auffällig hohe SF6-Konzentrationen gemessen. Immer wenn der Wind aus dem Süden kam, schossen die SF6-Werte in die Höhe. "Es handelt sich um keine kleinen Schwankungen, keine Messunsicherheiten, sondern um Ausschläge, die deutlich höher waren als an allen anderen europäischen Stationen", berichtet die Atmosphärenforscherin Katharina Meixner.
Als mutmaßlichen Verursacher machten die Wissenschaftler nach Informationen von ZDF frontal und "Spiegel" ein etwa 120 Kilometer entferntes Chemiewerk im baden-württembergischen Bad Wimpfen aus. Betreiber ist Solvay, nach Behördenangaben der einzige Hersteller von SF6 in Europa. Der Stoff wird für die Isolation von Transformatoren verwendet.
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Auf ZDF-frontal-Anfrage erklärte das von der Grünen-Politikerin Thekla Walker geleitete Umweltministerium, die Frankfurter Studie sei "nicht geeignet, anlagenscharf den Nachweis über die Verursachung der Emissionen zu führen."
Das hessische Umweltministerium sieht das anders: "Unserem Haus liegen keine Hinweise vor, die einen anderen Rückschluss zulassen würden." Das Umweltbundesamt verweist darauf, dass mit ähnlichen Messungen bereits illegale Produktionsstätten des ozonschädigenden Kältemittels R11 enttarnt worden seien.
Ausgerechnet das grün geführte Umweltministerium in Stuttgart zweifelt die Forschung an - anders als die Kollegen in Hessen - und teilt auf Anfrage mit, dass Solvay zwar der "einzige Hersteller von Schwefelhexafluorid in Europa" sei. Es gebe aber daneben noch eine "Vielzahl von Verwendern von Schwefelhexafluorid im Regierungsbezirk Stuttgart". Diese - und das ist der entscheidende Punkt - könnten aber als "Quelle ausgeschlossen werden." Das verrät das Ministerium allerdings erst auf Nachfrage.
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Solvay betont derweil, die Ergebnisse der Universität Frankfurt "sehr ernst" zu nehmen, auch wenn die Methodik nicht ausreiche, um Emissionen "eindeutig auf eine einzelne Anlage zurückzuführen." Solvay habe "einen umfassenden Maßnahmenplan mit zusätzlichen Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt", so das Unternehmen.
Das baden-württembergische Umweltministerium teilt auf Nachfrage mit, die Behörde habe Solvay die Anordnung erteilt, die Emissionen durch "technische und organisatorische Maßnahmen" zu senken. Ob das erfolgreich war, steht noch nicht fest. Entsprechende Messergebnisse sollen erst in einigen Wochen vorliegen. SF6-Gas strömt in Baden-Württemberg indes offenbar nach wie vor aus. Es sei "weiterhin eine auffällig hohe Verschmutzung durch SF6" zu beobachten, sagt der Frankfurter Atmosphärenforscher Andreas Engel.
Die Causa Solvay wirft grundsätzliche Fragen auf: Deutschlands Behörden verlassen sich in Sachen SF6 weitgehend auf Angaben der Industrie. Solvay hatte für sein Werk in Bad Wimpfen zuletzt gerade mal die Freisetzung von 56 kg SF6 gemeldet. Jetzt stellt sich heraus: Die Gegend in Baden-Württemberg ist mit 30 Tonnen SF6-Emissionen ein Hotspot mit Extremwerten.
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