"Moment der Rückgewinnung von Zeit":Warum wir einfach mal chillen sollten
von Clara Eberle
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Faulenzen, ein unterschätztes Talent? Der hektische Alltag hat uns meist fest im Griff, entspannen ist dabei oft mit schlechtem Gewissen verbunden. Warum es trotzdem wichtig ist.
Einfach mal chillen: Für viele ist das mit einem schlechten Gewissen verbunden. Doch Nichtstun ist durchaus wichtig. (Symbolbild)
Quelle: dpa
Arbeit, Haushalt, Familie und Freunde: Unser Alltag ist durchgetaktet. Selbst in der Freizeit versuchen wir, Dinge effizient anzugehen. Und wenn man dann einfach mal auf der "faulen Haut" liegt, meldet sich das schlechte Gewissen. Dabei hat das Nichtstun durchaus eine Daseinsberechtigung.
Das sagt auch Professor Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen: "Grundsätzlich können Phasen der Ruhe und des 'Faulenzens' eine wichtige, regenerative Funktion zukommen."
Sie fördern mentale Entlastung, Kreativität und emotionale Ausgeglichenheit.
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Ulrich Reinhardt, Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen
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In einer "zunehmend verdichteten Lebensrealität mit hoher Taktung, ständiger Erreichbarkeit und wachsenden Leistungsanforderungen" gewinne das bewusste Innehalten an Bedeutung, erklärt Reinhardt.
Faulenzen: "Gegenbewegung zur ständigen Aktivität"
Nichtstun wird laut Reinhardt dabei nicht als "Ausdruck von Passivität verstanden, sondern als Gegenbewegung zur ständigen Aktivität". Es gehe darum, Kontrolle über das eigene Tempo zu haben, ein "Moment der Rückgewinnung von Zeit".
Aber wie kann das eigentlich aussehen? Heijko Bauer von der Fachgruppe Entspannungsverfahren des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen empfiehlt ein Buch zu lesen, die Natur zu beobachten, Musik zu hören - oder einfach mal Tagträumen. "All das kann diese Art von 'positivem Leerlauf' sein", erklärt Bauer.
Beim berüchtigten "Handy-Daddeln" ist der Experte vorsichtig:
Wenn ich mich berieseln lasse und mein Kopf nicht zur Ruhe kommt, ist das keine tiefe Erholung. Wenn es spielerisch und entspannt ist, kann es durchaus eine Pause sein - ähnlich wie Kreuzworträtsel oder leichte Unterhaltung.
Zentral sei weniger die Aktivität selbst "als das innere Erleben". Faulenzen bedeute, "sich treiben zu lassen und die Selbstwahrnehmung wieder zu spüren".
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Experte: Schlechtes Gewissen hängt mit gesellschaftlichen Normen zusammen
Ob "Faulenzen" dabei wirklich Erholung bringt, hängt für Professor Reinhardt auch mit der eigenen inneren Haltung zusammen. "Wer dabei unter Druck steht oder von Gedanken an verpasste Pflichten begleitet wird, erlebt selten echte Entspannung."
Nichtstun kann dann in Unzufriedenheit oder innerer Unruhe umschlagen.
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Ulrich Reinhardt, Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen
Dass man beim Faulenzen ein schlechtes Gewissen habe, sei auf gesellschaftliche Normen zurückzuführen. "Wer 'nichts tut', steht schnell im Verdacht, Zeit zu verschwenden", so der Experte.
"Wer gezielt zwischen Aufgaben faulenzt, kann Kraft sammeln, um später bessere Leistung zu bringen", sagt Neurowissenschaftler Henning Beck. (Symbolbild)
Quelle: Colourbox.de
Erfolgreiches Faulenzen: Phasen der Ruhe bewusst einplanen
Reinhardt empfiehlt deshalb: Phasen der Ruhe bewusst einplanen, klar benennen und sowohl sozial als auch individuell als legitimen Bestandteil eines ausgeglichenen Alltags verstehen. Der Experte ist überzeugt:
Wenn Erholung als notwendige Voraussetzung für Leistungsfähigkeit anerkannt wird, verliert das Faulenzen seinen Makel.
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Ulrich Reinhardt, Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen
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Aber woran liegt es, dass wir sehr gern auch einfach mal chillen? Laut Neurowissenschaftler Henning Beck ist unser Gehirn dafür verantwortlich. Dieses sei immer darauf Bedacht, den eigenen Aufwand gering zu halten. Pausen lägen "in der Natur des Gehirns".
Noch ein Grund, um einfach mal nichts zu machen: Unser Gehirn wird "leistungsfähiger", so Beck. Der Wissenschaftler vergleicht diesen Vorgang mit Sport. Die echten Erfolge kämen hier auch erst mit der Entspannung nach dem Training. Faulenzen macht uns also gewissermaßen smarter.
Dem Faulenzen wohnt potenziell eine Kraft inne. Wer gezielt zwischen Aufgaben faulenzt, kann Kraft sammeln, um später bessere Leistung zu bringen.
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Henning Beck, Neurowissenschaftler
Von der Wissenschaft gibt es also die Lizenz zum Chillen.
In unserer vom Leistungsgedanken geprägten Gesellschaft hat Faulheit kein gutes Image. Etwas anders sieht das Bernd Imgrund. Für ihn ist Faulsein fast schon eine wertvolle Tugend.