Energiepolitik ohne Ideologie benötigt | Terra-X-Kolumne

Kolumne

Terra X - die Wissens-Kolumne:Ideologiefreie Energiepolitik wird gebraucht

von Axel Kleidon und Harald Lesch
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Revival der Kernenergie? Und China setzt auf Kohlekraft? Der nüchterne Blick auf Daten zeigt, dass Photovoltaik und Wind weltweit gewaltig auf dem Vormarsch sind.

Terra X - Die Wissens-Kolumne: Axel Kleidon und Harald Lesch

Energiepolitik wird von starken Interessen getrieben. Kein Wunder, denn mit Kohle, Öl und Gas lässt sich sehr viel Geld verdienen. Woher sollen wir also wissen, wohin sich unser Energiesystem entwickelt? Die weltweiten Trends in der Stromerzeugung zeigen ganz klare Muster und können einfach durch Physik erklärt werden.
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Innovation verdrängt Altes

Das lässt sich deutlich aus den Daten herauslesen: Wenn Neues entsteht und sich durchsetzt, dann folgt es einem charakteristischen Muster. Erst wächst es explosionsartig oder exponentiell, bis es Altes verdrängt hat und den Markt beherrscht. Danach verlangsamt sich das Wachstum.

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

Die resultierende Funktion sieht aus wie eine S-Kurve. In der Wissenschaft wird sie auch logistische Funktion genannt. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo man dieses Muster schon beobachtet hat, zum Beispiel bei Smartphones oder LEDs, aber auch bei Ausbreitung von Epidemien oder Wachstum von Populationen.
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Exponentielles Wachstum folgt der S-Kurve

Auch bei der Stromerzeugung können wir diese Entwicklung beobachten. Das wird einfacher, wenn wir die S-Kurve annehmen und uns das Verhältnis von Photovoltaik und Wind zur restlichen Stromerzeugung ansehen. Das steigt dann nämlich unbeschränkt exponentiell, da der Rest immer kleiner wird. Eine Wachstumsform, die häufig unterschätzt wird.
Dieses Verhältnis von PV und Wind wächst dabei um 12 bis 20 Prozent pro Jahr, egal ob wir uns die Trends in Deutschland, Europa, China, in den USA oder weltweit ansehen.

Globaler Boom trotz regionaler Unterschiede

Dabei sind die Trends in der gesamten Stromerzeugung sehr unterschiedlich. Während der Strombedarf in Deutschland, Europa und den USA stagniert, wächst er in China gewaltig - in den letzten 25 Jahren ist er dort um das Zehnfache gestiegen. Dieses starke Wachstum bedeutet, dass auch Kohle und Kernenergie in China zulegen - nur eben längst nicht so stark wie Photovoltaik und Wind.
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Viel Abwärme und großer Kühlwasserbedarf

Wir sehen also, alte Technologien wie Kohle- und Kernkraftwerke werden durch Modernes verdrängt. Und das aus gutem Grund. Diese Kraftwerke nutzen Wärme als Zwischenschritt der Stromerzeugung. Sie setzen also einen Brennstoff ein - Kohle oder radioaktives Material -, es entsteht Wärme, und lediglich aus einem Teil davon kann Strom erzeugt werden.
Der größte Teil gelangt als Abwärme in die Umgebung, in der Regel über Kühltürme. Dieser Zwischenschritt über Wärme bei der Stromerzeugung ist physikalisch ineffizient. Zusätzlich bedarf es riesige Mengen an Kühlwasser, das der Umwelt entnommen werden muss - ein Problem bei zunehmender Trockenheit in Deutschland.

Innovation in der Photovoltaik schreitet voran

Diese Kraftwerke sind zudem wesentlich komplexer als die einfachen Solarpaneele und Windturbinen. Und "einfach" bedeutet, dass die Stückkosten bei der Herstellung sinken, je mehr hergestellt wird.
Diese sogenannten Lernkurven sind gerade bei Photovoltaik gewaltig. So haben Solarpaneele vor 25 Jahren noch mehr als das 20-fache gekostet im Vergleich zu heute. Bei konventionellen Kraftwerken findet man solche Kostenreduktionen nicht.
Grafik: Harald Lesch umgeben von Windrädern, E-Auto, Einstürzendem AKW und Solarzellen
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Kein deutscher Sonderweg, sondern Vorreiterrolle

Natürlich geht das nicht ohne neue Herausforderungen. Photovoltaik und Wind erzeugen nicht auf Knopfdruck Strom, sondern wenn das Wetter es erlaubt.
Bei uns in Deutschland trägt der Strom allein aus Photovoltaik und Wind bereits 43 Prozent zur Stromerzeugung bei. Damit liegen wir weltweit im Spitzenbereich. Auch wenn die Wachstumstrends weltweit ähnlich sind, führen wir die weltweite Entwicklung um mehrere Jahre mit an.

Effizientere Strommärkte, bessere Netze, mehr Speicher

Dementsprechend stoßen wir dabei auch früher auf die Probleme, die es mit sich bringt, wenn die Stromerzeugung durch Photovoltaik und Wind dominiert wird. Für den Abgleich mit dem Verbrauch bedarf es effizientere Strommärkte, bessere Netze, mehr Speicher und andere Innovationen. Das lässt sich als Chance begreifen: Auch hier kann Deutschland bei der Technologie zukünftiger Stromversorgung eine führende Rolle einnehmen.
Wir sehen also: Erneuerbare Energien sind keine Ideologie - sie sind die Zukunft und wir erleben gerade ihren weltweiten Durchbruch. Ideologen - das sind die ewig gestrigen, die an veralteten Technologien wie der Kernkraft hängen. Oder aber diejenigen, die selbst durch den Verkauf fossiler Brennstoffe enorm profitieren und uns am Fortschritt hindern.
Grafik: Harald Lesch vor Fotovoltaikanlagen und Windrädern
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... ist studierter Physiker, leitet eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Biogeochemie und lehrt an der Friedrich-Schiller Universität Jena. Meistens forscht er daran, wie die Erde Energie in verschiedenste Formen umwandelt und wo dabei die Grenzen liegen, mit einem Blick auf das ganze Erdsystem.  Dies wendet er an, um Klima, Klimawandel und die Rolle des Lebens besser - und einfacher - zu verstehen und abzuschätzen. Das hat auch ganz praktische Bedeutung, für die Folgen des Klimawandels und für die Grenzen von erneuerbare Energien. Seine Arbeitsgruppe schreibt über die eigene Forschung auch auf dem Blog earthsystem.org.

... ist Astrophysiker und Moderator für Terra X und Leschs Kosmos, erklärt für das ZDF die Welt. Besonders interessiert ist er an komplexen Systemen und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Und an Boule, Schach und Klavier. Seit 2016 ist er mit "Terra X Lesch & Co." auch als Youtuber aktiv.

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