Lieferengpässe: Warum viele Medikamente Mangelware sind
Lieferengpässe bei Medikamenten:Warum die Tablette zur Mangelware wird
von Dennis Berger
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Deutschlands Medikamentenregale werden immer leerer werden. Das hat mit Rabattverträgen, einer Abhängigkeit von China und viel Bürokratie zu tun. Ein Überblick.
Nicht in jeder Apotheke sind die Regale gut gefüllt. Der Grund ist der Mangel an Medikamenten.
Quelle: dpa
Die Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist ein Dauerthema geworden: Waren 2013 gerade einmal 42 Präparate nicht verfügbar, sind es 2024 bereits rund 500 Medikamente. Aktuell meldet die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände 550 nicht lieferbare Arzneien - von Kinder-Antibiotika über ADHS-Mittel bis zu Cholesterinsenkern.
Häufig fehlen Antibiotika, manche Substanzen sind so wichtig, dass wir sie nicht ersetzen können.
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Prof. Ulrike Holzgrabe, Pharmazeutin an der Universität Würzburg
Antibiotika sind lebensrettend. Gleichzeitig zählt die WHO Antibiotikaresistenzen zu den größten Gesundheitsgefahren weltweit. Eine neue App soll dabei helfen, Antibiotika seltener und gezielter einzusetzen.22.01.2025 | 1:34 min
Billigproduktion in Fernost - ein Bumerang
Besonders wichtig für die Versorgung sind sogenannte Generika, die Nachahmer-Produkte. Sie sind qualitativ identisch mit den Originalen. Jahrzehntelang verlagerte die Generika-Industrie ihre Produktion in Länder mit niedrigen Lohn- und Umweltstandards. Heute sitzen mehr als die Hälfte der Wirkstoffhersteller in Asien.
Wenn es um rein synthetische Produkte wie Paracetamol geht, dann sind wir abhängig von China
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Prof. Ulrike Holzgrabe, Pharmazeutin an der Universität Würzburg
Holzgrabe erklärt, sind in China Häfen wie Shanghai wegen Corona-Lockdowns oder Sturmwarnungen dicht, "können die chinesischen Hersteller keine Wirkstoffe mehr liefern". Die internationalen Lieferketten seien damit fragiler geworden.
Deutschland ist seit Jahren beim Import von bestimmten Medikamenten von China abhängig. Besonders problematisch ist das bei Antibiotika, zeigt ein bericht aus 2023.25.10.2023 | 1:57 min
Generika - das Rückgrat unter Druck
Generika-Hersteller decken rund 90 Prozent der Arzneimittelversorgung ab - verdienen daran aber vergleichsweise wenig. Von dem Betrag, den Patienten in der Apotheke bezahlen, "bleibt bei den Herstellern kaum etwas übrig", heißt es in der Branche.
Ein wesentlicher Grund: Rabattverträge. Krankenkassen schreiben Wirkstoffe aus und erteilen dem billigsten Anbieter den Zuschlag. Die Folge sind harte Preiskämpfe in der Branche, so Beobachter. Für manchen Wirkstoff gibt es nur noch ein oder zwei Hersteller, die sich gegenseitig im Preis unterbieten.
Die Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt weiter. In Sachsen soll eine Postkarten-Aktion auf das Problem aufmerksam machen.23.01.2025 | 1:42 min
Rabattverträge führen zu Streit und Preisdruck
Die Pharmahersteller kritisieren die Rabattverträge scharf, der zusätzliche Preisdruck durch die Rabattverträge erhöhe das Risiko von Engpässen. So kritisiert der Versitzende der Arbeitsgemeinschaft Pro Biosimiliars in einer Pressemitteilung Mitte Juli:
Extremer Preisdruck führt zur Erosion von Lieferketten und Standorten und letztlich zu Lieferengpässen
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Walter Röhrer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Pro Biosimilars
Die Kassen bestreiten dagegen den Zusammenhang. Sie verweisen auf ihre hohe Gesamt-Lieferquote - und darauf, dass Rabattverträge Planungssicherheit schafften.
Medikamente kosten in Deutschland immer das Gleiche. Der Bundesgerichtshof entschied nun, dass eine Versandapotheke im EU-Ausland vor mehr als zehn Jahren Prämien gewähren durfte.
FAQ
Wenn Verwaltung die Therapie verzögert
Apotheken spüren die Folgen besonders stark. Fällt ein Medikament aus, beginnt die Suche nach Alternativen: Lager prüfen, Arzt erneut kontaktieren, Rezept ändern. "Der Aufwand ist enorm", sagt Holzgrabe. Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands, fordert weniger Bürokratie, damit Patienten schneller ihre Medikamente erhalten.
Ist eine Produktion in Deutschland und Europa die Lösung? Holzgrabe nennt sie "wünschenswert, aber naiv". Niedrige Umweltstandards in Asien sind ein Kostenvorteil. Und der Preis, den Krankenkassen etwa für Antibiotika zahlen, liegt so niedrig, dass eine europäische Produktion kaum möglich ist.
China kämpft derweil mit einer großen Überproduktion an Medikamenten und Vorprodukten - so viel, dass sie teils unter Produktionskosten verkauft werden. "Das macht eine europäische Produktion noch unrentabler", erklärt Holzgrabe.
Dennis Berger arbeitet im ZDF-Team Wirtschaft und Finanzen.