Für viele Jugendliche gehören Kopfschmerztabletten bereits zum Alltag. Die „Aktion Mütze – Kindheit ohne Kopfzerbrechen“ soll zeigen, wie man Kopfschmerzen ohne Tabletten behandeln kann. Leiter der Aktion, Prof. Dr. Hartmut Göbel, im Gespräch.
„Über 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen leiden unter Kopfschmerzen. Aus umfangreichen Untersuchungen an Schulen hat sich ergeben, dass Kopfschmerzen das Hauptgesundheitsproblem sowohl bei den Schülerinnen und Schülern als auch bei den Lehrern sind“, so der Leiter der Schmerzklinik in Kiel, Hartmut Göbel. „Ich habe überlegt, dass man ein ähnliches Konzept braucht wie zur Gesunderhaltung der Zähne. Die Zahnärzte sind in die Schulen gegangen und haben den Kindern beigebracht, wie man die Zähne putzt und auf deren Gesundheit aufpasst.“
Darauf aufbauend hat Hartmut Göbel zusammen mit der Lehrerin Karin Frisch ein Unterrichtskonzept mit Materialien entwickelt, um Kopfschmerzen in der Schule entgegenzuwirken. Es enthält Arbeitshefte, Elternbriefe, Informationsbroschüren und einen Film, der die wichtigsten Elemente der Kopfschmerzprävention zusammenfasst. „Wir haben das Konzept an mehreren Schulen getestet. Das Ergebnis war so durchschlagend positiv, dass wir uns entschlossen haben, eine bundesweite Aktion durchzuführen“, so Hartmut Göbel. Durch ein Präventionsgesetz haben Krankenkassen das Konzept in ihre finanzielle Unterstützung aufgenommen und bundesweit durchgesetzt. Zudem sind viele Kultusministerinnen und –minister Schirmherrinnen oder -herren des Projektes.
„Unser Ziel ist, dass das Projekt fest in den Lehrplan an Schulen aufgenommen wird. Aufgrund des bisherigen Erfolges wird das Projekt auch auf Jugendliche und Studenten ausgeweitet. Wir entwickeln ein Projekt zur Kopfschmerzprävention an den Universitäten. Es befindet sich an großen Universitäten bundesweit in der Testphase und wird sehr gut angenommen. Darüber hinaus arbeiten wir auch an Konzepten zur Kopfschmerzprävention im Erwachsenenalter, denn auch in Betrieben und in der Arbeitswelt ist es ein wichtiges Thema“, erläutert der Kopfschmerzexperte.
Nach internationalen Kopfschmerzkriterien treten bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten Kopfschmerzen des Migränetyps (37 Prozent) und des Spannungstyps (34 Prozent) auf. Insgesamt sind Mädchen häufiger betroffen als Jungen. Rund zwei Prozent der Kinder und Jugendlichen haben bereits einen sogenannten „Medikamentenübergebrauchs“-Kopfschmerz.
Quelle: Imago / Science Photo Library
Es gibt bereits seit über 30 Jahren Langzeitstudien, die belegen, dass Kopfschmerzen zunehmen. Laut aktuellen Ergebnissen leiden bereits ein Drittel der Kinder und Jugendlichen unter Migräneattacken. Ein Grund für die Zunahme der Kopfschmerzen ist, dass die Diagnosekriterien bisher international voneinander abwichen. Es ist daher anzunehmen, dass Kopfschmerzen auch schon früher auftraten, jedoch nicht sachgerecht diagnostiziert und dokumentiert wurden. „Wir wissen heute, dass Migräne durch genetische Risikofaktoren bedingt wird. Diese angeborene Risikobereitschaft führt dazu, dass das Sinnessystem sehr schnell Reize aufnimmt und intensiv auf sie reagiert. Kommt es dann zu einem Energiedefizit bricht die Nervenfunktion zusammen und Entzündungsfaktoren werden freigesetzt“, erklärt Neurologe Hartmut Göbel. Die veränderte Lebensgestaltung ist ebenfalls ein Grund für die Zunahme von Kopfschmerzen: Alles muss immer schneller gehen, somit müssen auch Kinder immer häufiger und immer intensiver Reize verarbeiten.
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Stress, Überaktivität, Auslassen von Mahlzeiten, mangelnde Pausen, Überlastung, Unregelmäßigkeiten im Tagesrhythmus und zu wenig Schlaf. „Umgekehrt sollte es daher ermöglicht werden, dass im Tagesverlauf diese Verhaltensfaktoren vermieden werden und ein stabiler Alltag ermöglicht wird“, so Hartmut Göbel.
Zu diesen gehören vor allem die Reduktion von Konzentration und Aufmerksamkeit. Ein schwerer pulsierender, pochender, hämmernder Kopfschmerz, führt oft zur Bettlägerigkeit. Schwere Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen sowie Lärm- und Lichtüberempfindlichkeit erlauben es den Kindern nicht, am Leben teilzunehmen. Folglich können die Kinder nicht konzentriert am Unterricht teilnehmen oder gar zur Schule gehen.
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Auf Schulkindern lastet ein hoher Leistungsdruck und gleichzeitig wollen sie ein umfangreiches Freizeitverhalten absolvieren. Die Werbung verspricht, dass die Tabletten den Kopfschmerz abschalten. Hinzu kommt, dass sie für geringes Geld frei verfügbar zu kaufen sind. Es ist verlockend, einfach ein Medikament einzuwerfen, anstatt sein Verhalten zu ändern. Besonders problematisch ist es allerdings, wenn zusätzlich psychotrope Substanzen wie Koffein oder Codein in den Schmerzmitteln enthalten sind. Sie führen zu einer Veränderung des Befindens, an das sich besonders Kinder schnell gewöhnen und als Folge noch mehr Medikamente benötigen.
Am wichtigsten sind die Regelmäßigkeit, der Gleichtakt und die Konstanz. Es sollten im Alltag feste Zeiten eingebaut werden. Hier gilt die Regel: Weniger ist mehr. Kinder sollten sich auch einmal langweilen und nichts tun. Es fällt gerade Migränepatienten besonders schwer, zur Ruhe zu kommen und Ausgleich zu finden.
Quelle: Imago / Westend61
Auch hier gilt das gleiche: Regelmäßigkeit und Maßhalten sollten im Vordergrund stehen. Der Medienkonsum sollte im Alltag begrenzt sein.
Ausdauersport und Ausgleichssport sind wichtige Möglichkeiten, dem Körper und insbesondere dem Nervensystem mehr Sauerstoff zuzuführen, eine bessere Durchblutung und auch psychische Entspannung zu ermöglichen.