Ex-Skispringer Thomas Morgenstern:Dann hab ich gesagt: Wenn ich am Kulm stürze, bin ich tot
Ein schwerer Unfall auf der Skiflug-Schanze zwang Thomas Morgenstern zum Karriereende. Heute blickt der Österreicher zurück: Wie lernt man, ohne Angst zu fliegen?
Spricht offen über sein Angst: Ex-Skispringer Thomas Morgenstern.
Quelle: ImagoThomas Morgenstern war einer der erfolgreichsten Skispringer seiner Zeit. Trotzdem beendete er seine Karriere mit gerade einmal 27 Jahren, die mentale Belastung nach seinen Stürzen war zu groß. Ein Gespräch über Angst, mentale Stärke und den Weg zurück in die Luft.
ZDFheute: Thomas Morgenstern, Sie haben eine ganz besondere Geschichte mit Verletzungen und Angst. Können Sie sich noch an Ihren ersten schweren Sturz erinnern?
Thomas Morgenstern: Ja, das war 2003 in Kuusamo. Ich war 17, in super Form, hab mich unverwundbar gefühlt. Es war windig, aber ich hab gedacht: Das ist meine Chance. Viele andere sind auf Sicherheit gesprungen - ich wollte es durchziehen.
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13.03.2025 | 3:16 min
Dann hat’s mich überschlagen. Zum Glück keine groben Verletzungen, aber seitdem hatte ich immer Respekt. Wir Skispringer reden ja wenig über Angst - wir sagen "Respekt". Aber wenn’s windig war, hab ich mich nicht wohlgefühlt.
ZDFheute: Sie sind ja mehrfach gestürzt. Wann wurde das Thema Angst wirklich präsent?
Morgenstern: Beim letzten Sturz 2014 am Kulm. Da war alles ruhig - kein Wind, kein technischer Fehler. Ich hab einfach hinten mit den Skienden zusammengeschlagen, und dann war ich Passagier. Ich kann mich an gar nichts erinnern. Ich bin erst im Krankenhaus aufgewacht, total verwirrt.
Als mir die Krankenschwester sagte, ich sei am Kulm gestürzt, hab ich gesagt: 'Na, wenn ich am Kulm stürze, bin ich tot.'
Ex-Skispringer Thomas Morgenstern
Erst als ich das Video gesehen hab, hab ich realisiert: Das war ich. Und da hat’s Klick gemacht - da war plötzlich Angst da. Ich hab dann realisiert, wie schnell alles vorbei sein kann. Das hat mich verändert, nicht nur als Sportler, auch als Mensch.
ZDFheute: Haben Sie damals sofort gedacht, dass Ihre Karriere zu Ende ist?
Morgenstern: Nein, gar nicht. Ich hab mir auf der Intensivstation noch vorgenommen, bei Olympia 2014 in Sotschi dabei zu sein. Das Ziel hat mir geholfen, schneller zu genesen. Körperlich wurde es auch besser - aber geblieben ist die Angst. Ich wollte zeigen, dass ich’s noch kann. Aber innerlich war es ein Kampf, jeder Sprung war eine Überwindung.
ZDFheute: Wie haben Sie sich nach dem Sturz wieder ans Skispringen herangetastet?
Morgenstern: Ich hab viel gearbeitet - mit Ärzten, mit Mentaltrainern, viel visualisiert, um die Bewegungsabläufe wieder zu verinnerlichen. Aber ich hatte nicht mehr die Sicherheit. Ich war nach vier Sprüngen am Tag völlig fertig, musste mich am Nachmittag auf die Couch legen.
Wir haben gemessen: 180 Puls, obwohl ich kaum körperlich was getan hab. Da hab ich gemerkt, dass mein Körper blockiert.
Olympiasieger Thomas Morgenstern
ZDFheute: Was war dann der Punkt, an dem Sie gesagt haben: Jetzt ist Schluss?
Morgenstern: Im September 2014 beim Training in Innsbruck. Wieder sind die Skienden zusammengeschlagen, fast wie beim Kulm. Ich hab den Sprung noch stehen können, aber da war klar: Der Grat ist zu schmal.
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01.03.2025 | 4:35 minIch hatte zu dem Zeitpunkt schon eine Tochter und damit Verantwortung. Ich war dankbar für alles, was ich erleben durfte - aber es war nicht mehr wie früher. Ich hab aufgehört, mit einem Lächeln.
Morgensterns offener Umgang mit der Angst
ZDFheute: Viele Athleten sprechen ungern über Angst. Warum waren Sie so offen damit?
Morgenstern: Es war keine Strategie. Es war einfach die Realität. Wenn man so etwas erlebt hat, ist es schwierig, wieder an das alte Leistungsniveau heranzukommen.
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06.01.2025 | 6:26 minWir Skispringer reden selten über Angst - aber sie gehört dazu. Man hat Respekt vor der Schanze, vor der Größe. Und nach so einem Sturz bleibt das im Kopf. Ich hab mir gedacht: Warum soll ich’s verschweigen? Es ist, wie es ist.
ZDFheute: Heute sind Sie Hubschrauberpilot. Hat das mit dem Skispringen zu tun - vielleicht die Sehnsucht nach dem Fliegen?
Morgenstern: Eigentlich nicht. Ich hab schon während meiner Karriere den Pilotenschein gemacht - 2008 für Flugzeuge, 2012 für Hubschrauber. Aber klar, das Fliegen ist geblieben. Anfangs war’s nicht einfach, besonders bei Wind, aber mit der Zeit kam die Sicherheit zurück.
Beim Fliegen ist es ein ähnliches Gefühl wie beim Springen: dieser Moment der völligen Ruhe in der Luft. Nur dass ich heute selbst die Kontrolle habe.
Ex-Skispringer Thomas Morgenstern
Die Fliegerei ist mein Leben. Und was passt besser zu einem Skispringer, als weiter zu fliegen - nur halt mit Rotorblättern.
Das Interview führte Sebastian Ungermanns
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