Meister im Wechseln: Der HSV und sein Trainer-Verschleiß

Meister im Wechseln:Das endlose Trainerkarussell des HSV

von Ralf Lorenzen
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Kein Fußball-Bundesligist hat in den letzten 20 Jahren mehr Trainer verschlissen als der HSV. Die ZDF-Doku "Always Hamburg" zeigt die letzten Runden dieses Karussells.

Tim Walter

Dezember 2023: Ein unglaubliches Eigentor wird zum Sinnbild einer verkorksten Saison. Trainer Tim Walter muss gehen, Steffen Baumgart übernimmt. Am 32. Spieltag kann ausgerechnet Stadtrivale St. Pauli im Stadion des HSV den Aufstieg perfekt machen. Schon vor dem Spiel liegen die Nerven blank.

22.08.2025 | 30:23 min

Millerntorstadion, Dezember 2023, Derby FC St. Pauli gegen den HSV, winterliche Bedingungen, 27. Minute. HSV-Verteidiger Guilherme Ramos spielt einen Rückpass auf Torwart Daniel Heuer Fernandez, der Keeper holt aus und drischt den kurz vor ihm aufspringende Ball aus einem Meter unter die Latte ins Netz. "Im ersten Moment, als der Ball im Tor lag, war erstmal Fassungslosigkeit", erinnert sich Heuer Fernandez in der ersten Folge der ZDF-Doku "Always Hamburg" an diese Szene.

Längste Amtszeit als HSV-Trainer in diesem Jahrtausend

Eine besondere Dramatik erhielt sie dadurch, dass sie das Schicksal von Trainer Tim Walter zu besiegeln schien. Es war das 0:2 und eine Niederlage im wichtigsten Spiel des Jahres hätte für den ohnehin stark in der öffentlichen Kritik stehenden Walter möglicherweise schon damals das Aus bedeutet.

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Doch der HSV erkämpfte noch ein 2:2 und Walter bekam weitere fünf Spiele Gelegenheit, das Unheil abzuwenden. Nach der zweiten 3:4-Heimniederlage in Folge kam es dann doch zur Trennung. "Keine leichte Entscheidung", sagt Sportvorstand Jonas Boldt vor der Filmkamera zur Mannschaft. "Nach so langer Zeit und so intensiven Erlebnissen."

"Intensiv" beschreibt die Ära von Tim Walter gut, wie mehrere Szenen und Spieleräußerungen der ZDF-Doku untermalen. Ob beim Geburtstagsständchen für Torjäger Robert Glatzel, beim Meckern auf der Trainerbank oder bei der leidenschaftlichen Kabinenansprache: Walter brennt immer. Nichts charakterisiert seinen spektakulären Spiel-Ansatz so sehr, wie die weiten Ausflüge von Torwart Heuer Fernandez, der oft 40 Meter vor dem Tor als letzter Feldspieler agierte.

Das Ende des Walter-Balls

Mit diesem Stil, den die Hamburger Presse "Walter-Ball" taufte, zündete er auch die Fans an, die ihm anders als seinen Vorgängern zweimal den Nicht-Aufstieg verziehen. Mit einer Dauer von gut zweieinhalb Jahren ist Walter der HSV-Trainer mit der längsten Amtszeit seit Frank Pagelsdorf (1997-2001).

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Nirgendwo passt der Begriff des Trainerkarussells wohl besser als in der Vergnügungsstadt Hamburg. "In dieser Stadt herrscht ständig Rummel", kommentiert Sänger H.P. Baxxter, der als einer von vier Erzählern "Always Hamburg" zusätzlichen Lokalkolorit verleiht. "Wer es wagt, sich auf den Trainerstuhl des HSV zu setzen, sollte sich besser gut anschnallen."

Polzins erste Chance

Für die kürzeste Amtszeit sorgte ausgerechnet - neben anderen - der jetzige Amtsinhaber Merlin Polzin, der nach der Entlassung von Walter vom Co-Trainer zum Cheftrainer befördert wurde. Allerdings nur für ein Spiel. "In dem Moment habe ich mich nicht gut gefühlt, was die Mannschaft anging, weil ich Tim (Walter) sehr, sehr loyal und mit voller Überzeugung immer zugearbeitet habe", schildert Polzin die letzten Momente vor dem Spiel bei Hansa Rostock.

Das Spiel endete 2:2 und die Aussagen in der ZDF-Doku legen nahe, dass eine längere Amtszeit von Polzin bei einem anderen Ergebnis schon damals nicht ausgeschlossen gewesen wäre. "Er hat sich in der Woche gut geschlagen", sagt Sportdirektor Claus Costa. "Leider war dann das Ergebnis in Rostock negativ, das Spiel nur bedingt gut, wodurch sich das schwer halten ließ." 

Auch Baumgart ist kein Heilsbringer

Als Nachfolger setzte sich unter drei heißen Kandidaten Steffen Baumgart durch, der sich schon länger als HSV-Fan geoutet hatte. Ähnlich energetisch veranlagt wie Walter, sollte er Stabilität in das bisweilen vogelwilde Spiel des HSV bringen.

"Den ersten Dämpfer gab es dann, als wir hier zu Hause gegen Osnabrück verloren", erinnert sich der damalige Kapitän Sebastian Schonlau. "Dann hieß es auf einmal schon, oh, wissen wir doch nicht, ob das jetzt der Heilsbringer ist." War er nicht. Zuerst musste zwar Jonas Boldt gehen, aber nach dem 13. Spieltag entließ dessen Nachfolger Stefan Kutz auch Baumgart. Und Polzin erhielt seine zweite Chance.

Merlin Polzin ist der 50. HSV-Trainer seit Gründung der Bundesliga 1963. Der erste war Martin Wilke von 1963 bis 1964. Der Trainer mit der längsten und gleichzeitig erfolgreichsten Amtszeit war der Österreicher Ernst Happel, mit dem der HSV zwischen 1981 und 1987 zweimal die deutsche Meisterschaft sowie jeweils einmal den Europapokal der Landesmeister und den DFB-Pokal gewann.

In den letzten 20 Jahren hatte kein anderer Bundesligist so viele Trainer wie der HSV (29). Seit dem Abstieg in die 2. Bundesliga in der Saison 2017/2018 waren dies: Christian Titz, Hannes Wolf, Dieter Hecking, Daniel Thioune, Horst Hrubesch (Interim), Tim Walter, Merlin Polzin (Interim), Steffen Baumgart und Merlin Polzin.


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Always Hamburg - Die Doku-Serie

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