Überempfindlich gegen Geräusche:Misophonie - Wenn Schmatzen Wut auslöst
Ekel, Ärger oder etwa Wut - zu solchen Reaktionen kommt es bei manchen, wenn sie ganz bestimmte Geräusche, oft Kauen oder Schmatzen, hören. Was helfen kann.
Schmatzen oder andere Essensgeräusche lösen bei Menschen mit Misophonie Ekel oder Wut aus. Was gegen die Überempfindlichkeit hilft.
Quelle: Colourbox.deLärm stört, keine Frage. Aber manche Menschen reagieren bereits auf bestimmte Geräusche, oft Kau- und Schmatzgeräusche, überempfindlich: Sie empfinden beim Hören eine starke Aversion oder Ekel, der schnell in Ärger oder Wut umschlagen kann. Parallel kommt es bei Betroffenen etwa zu Herzklopfen, Muskelanspannung, Schweißausbrüchen, innerer Unruhe oder einer veränderten Atmung. Dieses Phänomen nennt sich Misophonie.
"Allerdings ist das keine etablierte Diagnose, sondern der Versuch, eine Empfindung zu beschreiben", sagt der Mannheimer Psychosomatiker und Psychotherapeut Thomas Weiss. Bei den meisten löse jedes laute Geräusch ein Unwohlsein aus, so Weiss. "Bei Misophonie sind es nur ganz bestimmte Geräusche, auf die Betroffene abnorm reagieren."
Der Name setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern "Misos" für Hass und "Phone" für Geräusch. Misophonie bedeutet also "Hass auf Geräusche". Warum manche Menschen eine Misophonie entwickeln und andere nicht, ist bislang noch nicht wissenschaftlich geklärt. Oft treffe es eher sehr sensible und zurückhaltende, schüchterne Menschen, erklärt Psychosomatiker Thomas Weiss. Häufig konzentriert sich die Geräuschempfindlichkeit auf nahe Angehörige. Schätzungen zufolge leiden vier bis fünf Prozent der Gesamtbevölkerung unter einer mehr oder weniger ausgeprägten Misophonie.
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Bei Misophonie-Betroffenen kann die überempfindliche Reaktion auf Geräusche beim Essen und Trinken begrenzt sein, aber auch andere Geräusche umfassen. Das können zum Beispiel neben Kau-, Schmatz- und Schluckgeräuschen sowie Schlürfen auch folgende sein: Räuspern, Husten oder Schniefen, mit Gelenken knacken, auf Tastatur tippen, mit Kugelschreiber klicken, tropfende Wasserhähne, Kindergeschrei.
Dadurch kann ein Essen im Kreis von Familie oder Freunden zur Qual werden. Hinzu kommt, dass Betroffene sich für ihre heftigen Reaktionen auf bestimmte Geräusche oft zutiefst schämen und fürchten, nicht ernst genommen zu werden. Belastend sei auch, dass die Betroffenen oft ausgerechnet gegenüber geliebten Menschen in bestimmten Momenten Wut und Hass empfinden, sagt Thomas Weiss. Schlimmstenfalls kann dies zum sozialen Rückzug führen.
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"Der erste Schritt ist, mit der Familie beziehungsweise mit den Freunden zu reden", erklärt Psychotherapeut Thomas Weiss. Es sei wichtig, andere über die eigenen Gefühle bei bestimmten Geräuschen zu informieren, damit sie die Reaktionen, die sie erleben, einordnen und Verständnis entwickeln können.
Im nächsten Schritt können Betroffene versuchen, ihre Aufmerksamkeit in andere Bereiche zu lenken. Ein Entspannungsverfahren kann dazu beitragen, dass man sich selbst für bestimmte Geräusche desensibilisiert.
Ablauf der Entspannungsmethode
Bei etwa als störend empfundenen Essgeräuschen im Familienkreis setzt man sich mit Kopfhörern, die kein Geräusch an die Ohren lassen, erst etwas entfernt vom Esstisch, später direkt an den Tisch. So nimmt man Essgeräusche nicht wahr und kann entspannen.
Im nächsten Schritt versucht man gedanklich, die Essgeräusche mit etwas Positivem zu assoziieren - zum Beispiel: "Schmatzen ist doch ein Zeichen dafür, dass es jemandem schmeckt." Und schließlich versucht man, auch ohne Kopfhörer am Esstisch mit anderen zu sitzen und Essgeräusche entweder mit etwas Positivem in Verbindung zu bringen oder sie zu ignorieren.
Bringt dieses Entspannungsverfahren in Eigenregie Betroffene nicht weiter, könne laut Weiss eine Verhaltenstherapie womöglich zielführend sein.
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