Sexualisierte Gewalt an Schulen :Ignoriert und vertuscht
von Dorthe Ferber
Erstmals arbeitet eine Studie sexualisierte Gewalt an Schulen auf. Es zeigt sich: Schule ist Tatort und Betroffene finden dort wenig Hilfe.
Eine Studie zum Thema sexualisierte Gewalt an Schulen hat 133 Betroffene über ihre Erfahrungen befragt. Das Ergebnis: Rund 80 Prozent aller Opfer sind weiblich.
03.12.2025 | 1:40 minMit einer Nachricht zum 16. Geburtstag vom Lehrer begannen die Übergriffe bei Luisa, der Austausch änderte sich nach einigen Monaten: "Und dann hat er irgendwann so doppeldeutig geschrieben." Luisa ist eine von 133 Betroffenen, die ihre Geschichte für eine Studie der Unabhängigen Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs an Schulen erzählt hat.
Die Kommission hatte mit einer Kampagne Menschen aufgerufen, vertraulich zu schildern, was sie an Schulen erlebt haben. Die jetzt vorgestellte Studie ist nicht repräsentativ, aber sie zeigt Strukturen auf: 80 Prozent der Betroffenen, die zwischen 1949 und 2010 sexualisierte Gewalt erlebt haben, sind weiblich. Die Täter waren in der Mehrheit der Fälle männliche Lehrkräfte, aber es gab auch Übergriffe durch anderes schulisches Personal oder Mitschüler.
Täter nutzen "Krisenzeiten im Leben" aus
Bei Emma war es ein älterer Junge in der zweiten Klasse der Sekundarstufe I: "Er verging sich in Schultoiletten und leeren Klassenzimmern an mir. Dabei drohte er, meine Familie umzubringen, wenn ich nur ein Wort erzählen würde." Aus Angst schwiegen viele Betroffene lange oder auch aus Scham. Dabei zogen sich die Taten meist über einen längeren Zeitraum.
Bundesfamilienministerin Prien will Kinder und Jugendliche besser vor sexualisierter Gewalt schützen. Die CDU-Politikerin hat dazu mehrere Initiativen vorgestellt.
18.11.2025 | 1:36 minAuch nutzten Täter oft "Krisenzeiten im Leben" Betroffener aus und gaukelten ihnen eine romantische Beziehung vor. Wenn Schülerinnen sich offenbarten, bekamen sie wenig Hilfe, auch das zeigt die Untersuchung. "Kollegiale Loyalität hatte Vorrang", resümiert Bildungsforscherin Edith Glaser als Autorin der Studie.
Experten fordern unabhängige Beschwerdestelle
Es sei erschütternd zu lesen, dass es oft Mitwisser gab und Übergriffe ignoriert oder sogar vertuscht wurden, um den Ruf der Schule zu schützen. In der Folge reagierten Betroffene oft mit sogenannten "Selbsthilfestrategien": Sie schwänzten die Schule, wiederholten eine Klasse oder wechselten die Schule.
Kinderschutz muss Teil der Aus- und Weiterbildung für Lehrkräfte werden
Edith Glaser, Autorin der Studie
Es brauche eine unabhängige Beschwerdestelle, fordert Glaser. Die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt betreffe sowohl einzelne Schulen als auch beispielsweise Aufsichtsbehörden. Daher müsse es in jedem Bundesland Ansprechpersonen und Expertise für die Aufarbeitung an Schulen geben.
Fall in Thüringen: Lehrer zu Haft verurteilt
"Wir wünschen uns, dass diese Fallstudie dazu anregt, sich vor Ort mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche auseinanderzusetzen", betont auch die Sozialwissenschaftlerin Julia Gebrande, die Mitglied in der Aufarbeitungskommission ist.
Familienministerin Prien stellte im Mai den Bericht von Jugendschutz.net zu sexualisierter Gewalt und politischem Extremismus im Netz vor.
20.05.2025 | 40:42 minWie wichtig das ist, zeigt sich angesichts eines aktuellen Falls in Thüringen. Dort wurde jüngst ein Lehrer wegen sexuellen Missbrauchs einer 13-Jährigen zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt.
Die Schülerin hatte sich an den Vertrauenslehrer und an die Schulleitung gewandt, ohne Hilfe zu bekommen. Der Vertrauenslehrer steht nun auch vor Gericht, gegen den Schulleiter wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Dorthe Ferber Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin
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