Familienpolitik in Russland:Putins Kinderwunsch - Nachschub für den Krieg?
von Armin Coerper
Mit erheblichem Aufwand versucht Präsident Wladimir Putin, die Russen zur Fortpflanzung zu bewegen. Es winken Prämien, Steuervorteile, günstige Kredite.
Russland will seine demografische Krise überwinden. Denn die Kinder von heute könnten die Soldaten von morgen sein.
12.11.2025 | 12:12 minEs wirkt ein wenig verstörend, wie auf einer Moskauer Bühne die hehren Familienwerte gepredigt, gesungen und gehüpft werden. Wir sind bei der Preisverleihung zur "Familie des Jahres", die in verschiedenen Kategorien ausgezeichnet wird.
Es geht um Größe der Familie, Sportlichkeit, Alter und natürlich um Tradition. Viele Familien wirken eher wie private Waisenhäuser, zum Teil kommen sie mit 15 bis 18 Adoptivkindern auf die Bühne. Stets gekleidet in regionaler Tracht.
Russische Paare entscheiden sich immer seltener für Nachwuchs. Um die Geburtenrate in Russland zu steigern, rief Wladimir Putin zu einem Wettbewerb für die "Familie des Jahres 2025" auf.
12.11.2025 | 2:10 minZwischendurch wird vom Moderatorenduo pro Satz gefühlt mindestens einmal "Familie", "Tradition" und "Werte" dekliniert. Die Nikanorows können in der Kategorie "die junge Familie" überzeugen, denn die Eltern haben das Kinderkriegen bereits mit 16 Jahren begonnen. Jetzt sind sie 35 und acht Kinder weiter. Nummer Neun ist unterwegs.
Putins Familienpolitik ist auch Verteidigungspolitik
Seit Jahren versucht Präsident Wladimir Putin sein Volk zur Fortpflanzung zu bewegen, weil das Reich zur Verteidigung mehr Menschen brauche. Doch die Geburtenrate in Russland bleibt bei durchschnittlich 1,4 Kindern deutlich unter dem Durchschnitt der Welt.
Putin will das Demografieproblem nicht durch Einwanderung, sondern durch vermehrte Reproduktion lösen. Und er will vor allem junge Frauen dazu motivieren, Kinder zu bekommen, denn wer früh anfängt, kann mehr gebären.
Anreize zum Kinderkriegen
So gibt es in einigen Regionen Geldgeschenke für Schülerinnen und Studentinnen bei Schwangerschaft, es gibt günstige Kredite für Familien und Steuervorteile ab dem dritten Kind. Insbesondere an Universitäten soll es Möglichkeiten zur Kinderbetreuung geben: "Wir müssen alles fördern, was hier getan werden kann, an den Universitäten, aber natürlich auch, das versteht sich von selbst, an höheren Schulen und ja: auch an Mittelschulen."
Während Putin Krieg führt und sich immer stärker von Europa abschottet, lockt seine Propaganda eine kleine, aber wachsende Zahl von Deutschen nach Russland.
11.11.2025 | 9:03 minSelbst in der Duma rührt sich dagegen Widerstand: Xenia Goryatschewa ist Abgeordnete der Partei "Neue Menschen", die eigentlich der Kremllinie folgt. Jetzt sieht sie Frauen als Gebärmaschinen diskreditiert: "Wenn staatliche Institutionen dazu genutzt werden, um die Botschaft zu verbreiten: 'Egal, wie alt du bist - gebäre! Wir bezahlen dich dafür" - dann ist das keine Fürsorge. Sondern gefährliche Propaganda. Wenn ein Kind ein Kind zur Welt bringt, dann ist das nichts als eine Tragödie."
Besuch bei der "Jungen Familie des Jahres"
Die Nikanorows, die "Junge Familie des Jahres" haben uns nach Jakutien eingeladen. Es sind sieben Flugstunden von Moskau in den kalten Osten Russlands. Sie leben in einem Dorf mit 700 Einwohnern, auch hier sinkt die Geburtenrate. Vater Aitala leitet den örtlichen Kindergarten, doch aller Preise und Auszeichnungen zum Trotz kommt auch hier die Fortpflanzung nicht recht in Gang.
Es sei schon auch eine patriotische Pflicht, viele Kinder zu zeugen, sagt uns der bald neunfache Vater. Dass Russland aber, wie der Präsident immer wieder betont, seine Werte und Traditionen gegen den Westen verteidigen müsse, das sieht er eher nicht so. "Unsere Traditionen sind sehr streng", sagt er uns.
Mitten in St. Petersburg singen junge Russen Lieder gegen das Putin-Regime. Der Kreml reagiert gewohnt hart. Man dürfe die junge Bevölkerung nicht unterschätzen, so eine Historikerin.
25.10.2025 | 5:40 minDoch die Reise zeigt uns, dass es kein leichtes Leben ist in den Weiten des riesigen russischen Reiches. Auch wenn der Präsident fordert, dass es in diesen Weiten mehr Leben geben müsse. Mehr Kinder eben, für die Kriege, die Russland führt.
Armin Coerper leitet das ZDF Studio Moskau
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