Jugendliche ohne Abschluss: Schulabbrecher in Deutschland
Finanzierung in Gefahr:Wer Schulabbrechern hilft und woran es hakt
von Renée Severin
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Jährlich verlassen zehntausende Jugendliche die Schule ohne einen Abschluss - mit Folgen für ihre weitere Laufbahn. Wie es mit ihnen weitergeht, entscheidet vor allem eins: Geld.
Förderungen und Initiativen, die Schulabbrechern eine zweite Chance geben, sind wegen der prekären Haushaltslage von Streichungen bedroht. 17.05.2025 | 3:58 min
Seit der siebten Klasse wurde Jasmin gemobbt. Für viele sei sie immer anders gewesen, erzählt sie gegenüber ZDFheute, etwa wegen ihrer komplett schwarzen Kleidung. Irgendwann habe sie entschieden, nicht mehr zur Schule zu gehen.
Wie Jasmin verlassen in Deutschland jährlich rund 50.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss, heißt es im Teilhabe-Atlas für Kinder und Jugendliche - mit Konsequenzen für ihre Zukunft.
Projekt in NRW fängt Schulabbrecher auf
"Ganz vielen fehlt die Sicherheit, im gesellschaftlichen Leben klarzukommen", erzählt Alex Besgen. Er leitet das Start-Projekt im nordrhein-westfälischen Hückeswagen. Jugendliche wie Jasmin bekommen hier eine zweite Chance auf einen geregelten Alltag und einen Abschluss.
Bei 'Start' im Oberbergischen Kreis werden junge Menschen aufgefangen, die die Schulen ohne Abschluss verlassen haben. Meist vermittelt über das Jobcenter werden sie hier von Pädagog*innen und Quereinsteiger*innen betreut. Dabei geht es vor allem darum, zurück in den Alltag zu finden, ohne Druck und feste Zeiten oder Abläufe, etwa bei gemeinsamem Kochen.
Parallel lernen die Jugendlichen in Hückeswagen auch für ihren Haupt- oder Realschulabschluss. Die Prüfungen legen sie final an Regelschulen ab. 87 Prozent derjenigen, die die Prüfung ablegen, schaffen den angestrebten Abschluss. Hinter dem Projekt steckt die Ökumenische Initiative aus Wipperfürth. Leiterin Anika Buchheim meint: "Projekte wie dieses müsste es eigentlich in ganz Deutschland geben."
Doch das Projekt steht auf der Kippe, denn die derzeitige Finanzierung wird ab September gestrichen. Bisher zahlt vor allem das Jobcenter Oberberg 70 Prozent. Weil der Bund für 2025 die Mittel gekürzt hat, ist die Förderung bald nicht mehr möglich. Deshalb hat auch der Oberbergische Kreis angekündigt, die übrigen 30 Prozent zu streichen - weil das Projekt dann keine Jobcenter-Maßnahme mehr ist und somit die Rechtsgrundlage für die Finanzierung fehlt.
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Zukunftschancen ohne Schulabschluss eingeschränkt
Dabei sei 'Start' für viele Teilnehmende die letzte Chance - auch um zu realisieren, dass sie nicht verloren seien, betont Projektleiter Alex Besgen im Gespräch mit ZDFheute.
So ganz ohne Abschluss ist es wirklich, wirklich schwer, Fuß zu fassen.
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Bis 2035: Bildungsministerium will Schulabbrecher-Quote halbieren
Bildungsministerin Karin Prien (CDU) kündigte gegenüber der Funke Mediengruppe zuletzt an, den Anteil der Schulabbrecher bis 2035 halbieren zu wollen.
Die Schulabbrecherquote muss deutlich gesenkt werden.
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Karin Prien (CDU), Bundesbildungsministerin
Die Chefin der Agentur für Arbeit, Andrea Nahles, hatte in der Vergangenheit zudem erklärt, Schulabbrecher*innen auf ihrem Weg in den Beruf mehr unterstützen zu wollen. Denn für sie sei die Wahrscheinlichkeit arbeitslos zu werden deutlich höher.
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Rheinland-Pfalz: Mit Schule und Praktikum zum Abschluss
In Rheinland-Pfalz locken ganz besondere zehnte Klassen genau damit: Praktisch arbeiten, schon während der Schule eine berufliche Perspektive entwickeln. Das Konzept "Keiner ohne Abschluss" gibt es landesweit an 20 Schulen, wie an der Erich-Kästner-Realschule plus in Wörrstadt.
Hier werden Schüler*innen aufgefangen, die sonst ohne Abschluss gegangen wären. In einer kleineren Klasse, mit zwei festen Lehrkräften bereiten sie sich an zwei Tagen in der Woche auf den Abschluss vor, an den anderen drei Tagen arbeiten sie im Praktikum. Der Schulleiter hat das Projekt an die Schule geholt.
Die Gesellschaft kann sich nicht leisten, junge Menschen nicht in Lohn und Brot zu bringen.
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Martin Uckert, Schulleiter an der Erich-Kästner-Realschule plus in Wörrstadt
Das Konzept gibt es im Land schon seit 2009. Bis heute haben mehr als 85 Prozent der Schüler*innen so ihren Abschluss und 90 Prozent einen direkten Anschluss auf dem Arbeits- oder Ausbildungsmarkt erreicht, so das Bildungsministerium in Rheinland-Pfalz, das das Konzept auch zahlt.
"Sehr besorgt - aber pragmatisch und optimistisch." So lautet das Fazit der Shell-Jugendstudie zu den 12- bis 25-Jährigen im Land. Befragt wurden mehr als 2.500 junge Menschen.16.10.2024 | 2:37 min
Spenden unterstützen Projekt für Schulabbrecher
Eine finanzielle Sicherheit, die sie sich auch bei 'Start' in Hückeswagen wünschen. Seit Mitte Mai ist immerhin klar, dass das Projekt bestehen bleibt. Eine Stiftung, Kommunen und auch der Oberbergische Kreis - aus anderen Mitteln als zuvor - haben Geld zusammengelegt, allerdings deutlich weniger als bisher.
Deshalb wird das Projekt wohl abgespeckt werden: Streichungen bei den Betreuenden, weniger Plätze für Jugendliche. Um das zu verhindern, kommen immer wieder Spenden aus dem ganzen Kreis. Ob das Jobcenter Oberberg sich jemals wieder beteiligen wird, bleibe "von den Weichenstellungen der Bundespolitik abhängig", heißt es auf ZDFheute-Anfrage.
Bis dahin will Jasmin ihren Abschluss in der Tasche haben. Danach möchte sie eine Ausbildung zur Tiermedizinischen Fachangestellten machen - ihre ganz persönliche Zukunftsperspektive, an einer Regelschule für sie: undenkbar.