Pflegende Angehörige am Limit:"Ich kann ja meinen Vater hier nicht alleine lassen"
Die Versorgung kranker und alter Menschen liegt in Deutschland größtenteils bei den Angehörigen. Viele reduzieren für die Pflege ihren Job. Entlastung fehlt - auch finanziell.
Laut einer AOK-Studie benötigen pflegende Angehörige immer mehr Zeit für ihre pflegebedürftigen Partner, Eltern oder Kinder. Viele können nicht mehr Vollzeit arbeiten, andere müssen ganz aufhören.
06.10.2025 | 4:00 minGerhard Paschirbe war als Allgemeinmediziner jahrzehntelang für seine Patienten im Einsatz, Tag und Nacht. Jetzt, mit 86 Jahren, braucht er selbst Unterstützung, ist pflegebedürftig mit Pflegegrad 2.
Geistig noch fit, fehlen ihm für die alltäglichen Arbeiten wie kochen, einkaufen, putzen und Fahrten zum Arzt die Kräfte. Das erledigt seit zwei Jahren sein Sohn Jörn Paschirbe. Er ist dafür extra aus Berlin zurück in die Heimat gezogen und lebt und unterstützt seinen Vater im Elternhaus.
Pflege von Angehörigen: Welche Anträge auf Unterstützung je nach Bedarf und Situation wo zu stellen sind.
12.05.2025 | 2:45 min"Es ist mir ein Bedürfnis, meinen Vater zu pflegen", sagt er. Im Rahmen der gesetzlich geregelten "Familienpflegezeit" konnte Jörn Paschirbe seine Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche reduzieren. Das ist laut Familienpflegezeitgesetz bis zu 15 Stunden pro Woche möglich. Voraussetzung ist, dass sein Vater einen Pflegegrad hat.
Familienpflegezeit nur begrenzt möglich
Aus Kulanz seines Arbeitgebers darf er als Disponent eines Logistikunternehmens sogar im Homeoffice arbeiten. Doch die Familienpflegezeit ist auf maximal zwei Jahre beschränkt.
Wie es dann weitergeht, weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Ich kann ja meinen Vater hier nicht alleine lassen und zurück nach Berlin gehen.
Jörn Paschirbe
Laut statistischem Bundesamt trugen schon 2023 pflegende Angehörige die Hauptlast bei der Versorgung kranker und alter Menschen. Nur 14 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland leben im Heim. 19 Prozent werden mit Hilfe von Pflegediensten zu Hause versorgt. Die weitaus meisten, nämlich 67 Prozent, werden überwiegend von Angehörigen und Freunden zu Hause gepflegt.
Das Mitmach-Pflegeheim in Gernsheim könnte Vorreiter sein: In einer Art WG leben pflegebedürftige Menschen zusammen und werden zum Teil von festem Personal, aber auch von Angehörigen versorgt.
06.10.2025 | 3:01 minDIW: Informelle Pflege wird wichtiger
"Angehörige und andere nahestehende Personen sind der größte Pflegedienst Deutschlands", sagt Johannes Geyer, stellvertretender Leiter der Abteilung Staat im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e.V. Er hat gemeinsam mit anderen Autoren für das DIW eine Studie erstellt und ist überzeugt:
Im Zuge des demografischen Wandels wird die informelle Pflege in den nächsten Jahren noch bedeutender werden.
Johannes Geyer, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Auch finanziell werden pflegende Angehörige zum Teil alleingelassen. Viele reduzieren ihre Arbeitszeit, um für ihre pflegebedürftigen Angehörigen da zu sein. Andere geben ganz den Job auf.
Tagespflege entlaste pflegende Angehörige und hat viele Vorteile gegenüber der immer teurer werdenden stationären Pflege.
08.11.2024 | 1:38 minPflegelohn gefordert: Angehörige sollen entschädigt werden
Laut AOK ist die durchschnittliche Pflegezeit für Angehörige seit 2019 von 43 auf 49 Stunden 2024 gestiegen, mehr als ein Vollzeitjob beansprucht. Für die Lohneinbußen gibt es keine Entlastung, abgesehen vom Pflegegeld, das Pflegebedürftigen je nach Pflegegrad zugestanden wird.
Der Sozialverband VdK fordert einen Pflegelohn. VdK-Präsidentin Verena Bentele erklärt: "Das Pflegegeld ist dafür da, den Alltag in der Pflege zu finanzieren und nicht gerade als Lohnersatz gedacht für die Angehörigen."
Und gerade die vielen Angehörigen, die pflegen, insbesondere die Frauen, die ihren Job reduzieren oder sogar ganz aufgeben, haben einfach extrem hohe finanzielle Einbußen. Hier braucht es auf jeden Fall eine Kompensation.
Verena Bentele, Präsidentin Sozialverband VdK
Folgt man der Prämisse "ambulant vor stationär" in der Pflege, braucht es laut Bentele auch dringend mehr unterstützende Angebote, um pflegende Angehörige im Alltag zu entlasten. Dazu gehörten Treffpunkte für Pflegende und ihre Angehörigen, mehr Möglichkeiten zur Nutzung von Kurzzeitpflegen und Nachtpflegeplätzen, damit auch die Familienangehörigen einmal frei machen könnten.
Debatte um Pflegegrad 1
In der Debatte um den Pflegegrad 1 hält der VdK das offiziell genannte Einsparvolumen von circa 1,8 Milliarden Euro bei einem möglichen Wegfall für übertrieben, denn viele Leistungen würden ohnehin nicht abgerufen, auch wegen fehlender Angebote. Umso größer sei aber der Schaden bei einer Streichung.
Pflegeheime und Pflegedienste stehen vor dem Kollaps: Steigende Löhne und Kosten treiben Eigenanteile auf Rekordniveau, Bewohner rutschen in die Sozialhilfe.
16.09.2025 | 8:25 minDenn bei der Pflegestufe 1 gehe es darum, das häusliche Umfeld so zu gestalten, dass die Versicherten länger zu Hause leben könnten. Das sei wichtig, weil die meisten Menschen zu Hause leben wollten und es ohnehin nicht genügend Heimplätze gebe.
Susanne Seidl berichtet aus dem ZDF-Studio Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin.
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von Ingeborg Rüthers und Julia Bug